Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Hamburgische Zustände.



Was die Hamburger gefürchtet, was ihnen schon seit Wochen als ein
drohendes Gespenst vorgeschwebt hat: die Blokade der Elbe; was man um jeden
Preis zu vermeiden wünschte, ist trotz aller dagegen angewandten Mittel und
Mittelchen, eingetroffen. Seitdem begegnet man nur noch trüben Mienen, hört
nur noch Klagen und mitunter auch Verwünschungen gegen diejenigen, die man
als die Urheber dieses Unheils betrachtet und mit dem Namen der "Schreier"
belegt, der Jedem ertheilt wird, der höhere Interessen, als die des Gcldsackcs
vertritt. Von dem Strohfeuer des augenblicklichen Enthusiasmus für eine kom¬
mende bessere Zeit, für eine größere Freiheit für Alle, für bessere Staatsverwal¬
tung und Gesetzgebung und gleiche Berechtigung Aller zum Glück und Wohlleben,
ist auch nicht ein Funke mehr lebendig geblieben, und man seufzt, daß es so weit
kommen mußte, wie es kam. Wir möchten allen Reaktionären den Rath ertheilen,
zu uns zu kommen, um sich recht behaglich zu fühlen, und begreifen nicht, wes¬
halb ein Louis Philipp, ein Metternich u. f. w. uns nicht den Vorzug vor dem
freien England gegeben hat. Hier hätten sie kein Einwerfen der Fenster, hier
weder Vorwürfe noch Schimpfreden zu fürchten gehabt und sie würde man nicht
ausgewiesen haben, wie man es vor Kurzem noch erst bei einigen mißbclicbtcn
jungen Schriftstellern that. Denn so weit sind wir schon wieder zurückgegangen,
daß wir, dem übrigen Deutschland zum Hohne, so etwas wagen dürfen, ohne
zu fürchten, Aufruhr zu erregen. Uns ist der vor Kurzem durch die gewaltigen
Bewegungen im übrigen Vaterlande vor Schreck abgefallene Zopf schon mächtig
wieder angewachsen; n"t jedem Tage wird die Sehnsucht nach der "lieben alten
Zeit," die uns uicht nur Brot, sondern- auch Austern, Champagner und was
dazu gehört, in Fülle gab, lauter ausgesprochen und das nun Abgestorbene zu¬
rückgewünscht. Wie man es wohl bei Todten zu machen Pflegt, denen man, so
wie sie starr und machtlos daliegen, alle Sünden zu vergeben und nur noch der
etwaigen guten Eigenschaften zu gedenken pflegt; ganz eben so machen es die
Hamburger mit ihrer alten Verfassung, so viele Verwünschungen, und zwar mit Recht,
man früher auch gegen dieselbe ausgesprochen. Freilich entbehrten unsere Kaufleute,
die reine Geschäfts- und Genußmenschen und keiner Begeisterung für das Höhere fähig


Hamburgische Zustände.



Was die Hamburger gefürchtet, was ihnen schon seit Wochen als ein
drohendes Gespenst vorgeschwebt hat: die Blokade der Elbe; was man um jeden
Preis zu vermeiden wünschte, ist trotz aller dagegen angewandten Mittel und
Mittelchen, eingetroffen. Seitdem begegnet man nur noch trüben Mienen, hört
nur noch Klagen und mitunter auch Verwünschungen gegen diejenigen, die man
als die Urheber dieses Unheils betrachtet und mit dem Namen der „Schreier"
belegt, der Jedem ertheilt wird, der höhere Interessen, als die des Gcldsackcs
vertritt. Von dem Strohfeuer des augenblicklichen Enthusiasmus für eine kom¬
mende bessere Zeit, für eine größere Freiheit für Alle, für bessere Staatsverwal¬
tung und Gesetzgebung und gleiche Berechtigung Aller zum Glück und Wohlleben,
ist auch nicht ein Funke mehr lebendig geblieben, und man seufzt, daß es so weit
kommen mußte, wie es kam. Wir möchten allen Reaktionären den Rath ertheilen,
zu uns zu kommen, um sich recht behaglich zu fühlen, und begreifen nicht, wes¬
halb ein Louis Philipp, ein Metternich u. f. w. uns nicht den Vorzug vor dem
freien England gegeben hat. Hier hätten sie kein Einwerfen der Fenster, hier
weder Vorwürfe noch Schimpfreden zu fürchten gehabt und sie würde man nicht
ausgewiesen haben, wie man es vor Kurzem noch erst bei einigen mißbclicbtcn
jungen Schriftstellern that. Denn so weit sind wir schon wieder zurückgegangen,
daß wir, dem übrigen Deutschland zum Hohne, so etwas wagen dürfen, ohne
zu fürchten, Aufruhr zu erregen. Uns ist der vor Kurzem durch die gewaltigen
Bewegungen im übrigen Vaterlande vor Schreck abgefallene Zopf schon mächtig
wieder angewachsen; n«t jedem Tage wird die Sehnsucht nach der „lieben alten
Zeit," die uns uicht nur Brot, sondern- auch Austern, Champagner und was
dazu gehört, in Fülle gab, lauter ausgesprochen und das nun Abgestorbene zu¬
rückgewünscht. Wie man es wohl bei Todten zu machen Pflegt, denen man, so
wie sie starr und machtlos daliegen, alle Sünden zu vergeben und nur noch der
etwaigen guten Eigenschaften zu gedenken pflegt; ganz eben so machen es die
Hamburger mit ihrer alten Verfassung, so viele Verwünschungen, und zwar mit Recht,
man früher auch gegen dieselbe ausgesprochen. Freilich entbehrten unsere Kaufleute,
die reine Geschäfts- und Genußmenschen und keiner Begeisterung für das Höhere fähig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276500"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hamburgische Zustände.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Was die Hamburger gefürchtet, was ihnen schon seit Wochen als ein<lb/>
drohendes Gespenst vorgeschwebt hat: die Blokade der Elbe; was man um jeden<lb/>
Preis zu vermeiden wünschte, ist trotz aller dagegen angewandten Mittel und<lb/>
Mittelchen, eingetroffen. Seitdem begegnet man nur noch trüben Mienen, hört<lb/>
nur noch Klagen und mitunter auch Verwünschungen gegen diejenigen, die man<lb/>
als die Urheber dieses Unheils betrachtet und mit dem Namen der &#x201E;Schreier"<lb/>
belegt, der Jedem ertheilt wird, der höhere Interessen, als die des Gcldsackcs<lb/>
vertritt. Von dem Strohfeuer des augenblicklichen Enthusiasmus für eine kom¬<lb/>
mende bessere Zeit, für eine größere Freiheit für Alle, für bessere Staatsverwal¬<lb/>
tung und Gesetzgebung und gleiche Berechtigung Aller zum Glück und Wohlleben,<lb/>
ist auch nicht ein Funke mehr lebendig geblieben, und man seufzt, daß es so weit<lb/>
kommen mußte, wie es kam. Wir möchten allen Reaktionären den Rath ertheilen,<lb/>
zu uns zu kommen, um sich recht behaglich zu fühlen, und begreifen nicht, wes¬<lb/>
halb ein Louis Philipp, ein Metternich u. f. w. uns nicht den Vorzug vor dem<lb/>
freien England gegeben hat. Hier hätten sie kein Einwerfen der Fenster, hier<lb/>
weder Vorwürfe noch Schimpfreden zu fürchten gehabt und sie würde man nicht<lb/>
ausgewiesen haben, wie man es vor Kurzem noch erst bei einigen mißbclicbtcn<lb/>
jungen Schriftstellern that. Denn so weit sind wir schon wieder zurückgegangen,<lb/>
daß wir, dem übrigen Deutschland zum Hohne, so etwas wagen dürfen, ohne<lb/>
zu fürchten, Aufruhr zu erregen. Uns ist der vor Kurzem durch die gewaltigen<lb/>
Bewegungen im übrigen Vaterlande vor Schreck abgefallene Zopf schon mächtig<lb/>
wieder angewachsen; n«t jedem Tage wird die Sehnsucht nach der &#x201E;lieben alten<lb/>
Zeit," die uns uicht nur Brot, sondern- auch Austern, Champagner und was<lb/>
dazu gehört, in Fülle gab, lauter ausgesprochen und das nun Abgestorbene zu¬<lb/>
rückgewünscht. Wie man es wohl bei Todten zu machen Pflegt, denen man, so<lb/>
wie sie starr und machtlos daliegen, alle Sünden zu vergeben und nur noch der<lb/>
etwaigen guten Eigenschaften zu gedenken pflegt; ganz eben so machen es die<lb/>
Hamburger mit ihrer alten Verfassung, so viele Verwünschungen, und zwar mit Recht,<lb/>
man früher auch gegen dieselbe ausgesprochen. Freilich entbehrten unsere Kaufleute,<lb/>
die reine Geschäfts- und Genußmenschen und keiner Begeisterung für das Höhere fähig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] Hamburgische Zustände. Was die Hamburger gefürchtet, was ihnen schon seit Wochen als ein drohendes Gespenst vorgeschwebt hat: die Blokade der Elbe; was man um jeden Preis zu vermeiden wünschte, ist trotz aller dagegen angewandten Mittel und Mittelchen, eingetroffen. Seitdem begegnet man nur noch trüben Mienen, hört nur noch Klagen und mitunter auch Verwünschungen gegen diejenigen, die man als die Urheber dieses Unheils betrachtet und mit dem Namen der „Schreier" belegt, der Jedem ertheilt wird, der höhere Interessen, als die des Gcldsackcs vertritt. Von dem Strohfeuer des augenblicklichen Enthusiasmus für eine kom¬ mende bessere Zeit, für eine größere Freiheit für Alle, für bessere Staatsverwal¬ tung und Gesetzgebung und gleiche Berechtigung Aller zum Glück und Wohlleben, ist auch nicht ein Funke mehr lebendig geblieben, und man seufzt, daß es so weit kommen mußte, wie es kam. Wir möchten allen Reaktionären den Rath ertheilen, zu uns zu kommen, um sich recht behaglich zu fühlen, und begreifen nicht, wes¬ halb ein Louis Philipp, ein Metternich u. f. w. uns nicht den Vorzug vor dem freien England gegeben hat. Hier hätten sie kein Einwerfen der Fenster, hier weder Vorwürfe noch Schimpfreden zu fürchten gehabt und sie würde man nicht ausgewiesen haben, wie man es vor Kurzem noch erst bei einigen mißbclicbtcn jungen Schriftstellern that. Denn so weit sind wir schon wieder zurückgegangen, daß wir, dem übrigen Deutschland zum Hohne, so etwas wagen dürfen, ohne zu fürchten, Aufruhr zu erregen. Uns ist der vor Kurzem durch die gewaltigen Bewegungen im übrigen Vaterlande vor Schreck abgefallene Zopf schon mächtig wieder angewachsen; n«t jedem Tage wird die Sehnsucht nach der „lieben alten Zeit," die uns uicht nur Brot, sondern- auch Austern, Champagner und was dazu gehört, in Fülle gab, lauter ausgesprochen und das nun Abgestorbene zu¬ rückgewünscht. Wie man es wohl bei Todten zu machen Pflegt, denen man, so wie sie starr und machtlos daliegen, alle Sünden zu vergeben und nur noch der etwaigen guten Eigenschaften zu gedenken pflegt; ganz eben so machen es die Hamburger mit ihrer alten Verfassung, so viele Verwünschungen, und zwar mit Recht, man früher auch gegen dieselbe ausgesprochen. Freilich entbehrten unsere Kaufleute, die reine Geschäfts- und Genußmenschen und keiner Begeisterung für das Höhere fähig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/294>, abgerufen am 26.06.2024.