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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ein (Luriosmn.

Vor einigen Wochen trat im Leipziger Tageblatt ein öl. Emil Ferdinand Vogel
ganz bitterböse auf gegen jenes Urvolk geborner Betrüger, die man Juden nennt, war
aber doch so großmüthig, die Emancipation derselben "anbahnen" zu wollen, indem er
vorschlug, allen getauften und christlich erzogenen Kindern jüdischer Eltern das
volle Staatsbürgerrecht zu gewähren! Das ist im Grunde weniger als den Juden vom
l. bis zum 19. Jahrhundert ". Lu, gewährt war, denn bisher wird selbst ein nach
allen Regeln der Heraldik beschnittener Jude durch die Taufe emancipirt, auch wenn
er das Weihwasser erst im Schwabenalter bekommt. Wir achteten weiter nicht auf das
Curiosum, bis wir hörten, daß es in Sachsen noch eine starke Partei von Vogelianern
gebe. Zum Theil mag sie von ehrlichen religiösen Scrupcln geleitet sein, denn die
Begriffe von Glaubensfreiheit, durch welche die Aufgeklärten gewöhnlich sich auszeichnen,
leiden nicht an übertriebener Klarheit. So erinnern wir uns, zu Anfang der Revo¬
lution sächsische Stimmen gehört zu haben, die vom Hof in Dresden die Bekehrung
zum Protestantismus verlangen wollten, - im Namen der Glaubensfreiheit, Aufklä¬
rung u. f. w. Zum größern Theil aber geht sie, in Bezug auf die Juden, mehr von
der Rücksicht auf Moses und die Propheten, d. h. Thaler, Groschen und Pfennige, als
auf Jesus Christus und Martin Luther ans.

Obwohl die bekanntesten Volksmänner, Todt, Oberländer, Braun, Biedermann
und Blum von jeher nichts weniger als Judenfresser waren, soll doch die Vvgeliancr-
partei sich mit der Hoffnung schmeicheln, das alte christlich-merkantilische Princip vor
der Gleichmachnngssucht der großen deutschen Revolution retten zu können. Einer
der geachtetsten und beliebtesten Bürger von Leipzig, Herr Dufour, ist bei der
Wahlmännerwahl durchgefallen, blos weil er so unbesonnen war, sich für die Eman¬
cipation der Juden auszusprechen. Leider wird dieser Triumph keinen Einfluß
auf die Beschlüsse des deutschen Parlaments in Frankfurt haben, denn unter den
gewählten Abgeordneten sowohl aus Preußen, wie aus andern Staaten, befinden
sich drei, vier, wenn nicht gar ein Halbdutzend Männer, die weder getauft noch christ¬
lich erzogen sind. Durch diesen Gewaltstreich ist die Frage entschieden, ehe sie zur
Discussion kam. Juden sitzen unter den Gesetzgebern Deutschlands, Juden arbeiten
mit an der Nationalverfassung! Die Vogelicmer in Leipzig sollen nnn eine ungeheure
Demonstration beschlossen haben; sie wollen keinen Juden mehr zur Messe lassen, ja
die Messe selbst in eine nichtsächsische Stadt verbannen und sollte Leipzigs Handel da¬
durch den Todesstoß erleiden. Sie wollen zeigen, daß ihnen das Princip höher gilt
als irdischer Vortheil. Noch furchtbarer soll die Aufregung in Chemnitz sein. Die
deutsche Nation, sagt man dort, hat sich einen unauslöschlichen Schimpf angethan und
wenn das Parlament nicht die unglückseligen Judcmvahlen gleich bei seiner Eröffnung
annnllirt, so wird sich Chemnitz von Deutschland losreißen!




Verlag von Fr. L"do. Herbig. -- Inder. Redacteure: I. Kaufmann u. Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.
Ein (Luriosmn.

Vor einigen Wochen trat im Leipziger Tageblatt ein öl. Emil Ferdinand Vogel
ganz bitterböse auf gegen jenes Urvolk geborner Betrüger, die man Juden nennt, war
aber doch so großmüthig, die Emancipation derselben „anbahnen" zu wollen, indem er
vorschlug, allen getauften und christlich erzogenen Kindern jüdischer Eltern das
volle Staatsbürgerrecht zu gewähren! Das ist im Grunde weniger als den Juden vom
l. bis zum 19. Jahrhundert ». Lu, gewährt war, denn bisher wird selbst ein nach
allen Regeln der Heraldik beschnittener Jude durch die Taufe emancipirt, auch wenn
er das Weihwasser erst im Schwabenalter bekommt. Wir achteten weiter nicht auf das
Curiosum, bis wir hörten, daß es in Sachsen noch eine starke Partei von Vogelianern
gebe. Zum Theil mag sie von ehrlichen religiösen Scrupcln geleitet sein, denn die
Begriffe von Glaubensfreiheit, durch welche die Aufgeklärten gewöhnlich sich auszeichnen,
leiden nicht an übertriebener Klarheit. So erinnern wir uns, zu Anfang der Revo¬
lution sächsische Stimmen gehört zu haben, die vom Hof in Dresden die Bekehrung
zum Protestantismus verlangen wollten, - im Namen der Glaubensfreiheit, Aufklä¬
rung u. f. w. Zum größern Theil aber geht sie, in Bezug auf die Juden, mehr von
der Rücksicht auf Moses und die Propheten, d. h. Thaler, Groschen und Pfennige, als
auf Jesus Christus und Martin Luther ans.

Obwohl die bekanntesten Volksmänner, Todt, Oberländer, Braun, Biedermann
und Blum von jeher nichts weniger als Judenfresser waren, soll doch die Vvgeliancr-
partei sich mit der Hoffnung schmeicheln, das alte christlich-merkantilische Princip vor
der Gleichmachnngssucht der großen deutschen Revolution retten zu können. Einer
der geachtetsten und beliebtesten Bürger von Leipzig, Herr Dufour, ist bei der
Wahlmännerwahl durchgefallen, blos weil er so unbesonnen war, sich für die Eman¬
cipation der Juden auszusprechen. Leider wird dieser Triumph keinen Einfluß
auf die Beschlüsse des deutschen Parlaments in Frankfurt haben, denn unter den
gewählten Abgeordneten sowohl aus Preußen, wie aus andern Staaten, befinden
sich drei, vier, wenn nicht gar ein Halbdutzend Männer, die weder getauft noch christ¬
lich erzogen sind. Durch diesen Gewaltstreich ist die Frage entschieden, ehe sie zur
Discussion kam. Juden sitzen unter den Gesetzgebern Deutschlands, Juden arbeiten
mit an der Nationalverfassung! Die Vogelicmer in Leipzig sollen nnn eine ungeheure
Demonstration beschlossen haben; sie wollen keinen Juden mehr zur Messe lassen, ja
die Messe selbst in eine nichtsächsische Stadt verbannen und sollte Leipzigs Handel da¬
durch den Todesstoß erleiden. Sie wollen zeigen, daß ihnen das Princip höher gilt
als irdischer Vortheil. Noch furchtbarer soll die Aufregung in Chemnitz sein. Die
deutsche Nation, sagt man dort, hat sich einen unauslöschlichen Schimpf angethan und
wenn das Parlament nicht die unglückseligen Judcmvahlen gleich bei seiner Eröffnung
annnllirt, so wird sich Chemnitz von Deutschland losreißen!




Verlag von Fr. L«do. Herbig. — Inder. Redacteure: I. Kaufmann u. Julian Schmidt.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/290>, abgerufen am 26.06.2024.