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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Aber nein! In der Wiener Zeitung hatte ein v>. Perthaler eine funkelnagel¬
neue Geschichtsphilosophie erfunden, welche Metternich Lügen straft eben so wie
die Revolution, indem sie beide mit einander aussöhnt. Zu Gunsten Oestreichs
macht, nach Perthalcr, die Natur, macht der Geist der Geschichte eine Ausnahme.
Oestreich hat, durch seiue geographische Lage, den Beruf und die Kraft, eine be¬
liebige Musterkarte der heterogensten Nationalitäten zu .....- verdauen, ohne sie

zu vertilgen; es verwandelt sie eben in Oestreicher und dann können sie, inner¬
halb des eisernen Reifens, sich erst recht frei entwickeln, ohne einander nur
mit dem Ellbogen anzustoßen. Innerhalb der Monarchie gibt es weder Italiener,
noch Deutsche, noch Polen, sondern lauter enthusiastische k. k. östreichische Patrio¬
ten. Die k. k. östreichische Nationalität zieht der Italiener, der Pole, der Deutsche
so leicht und geschwind an, wie ein Rekrut "den Rock des Kaisers," die Uniform
nämlich u. s. w. Wir haben in unsern Blättern auch auf diese gefährlichen Per-
thaler'sehen Illusionen hingewiesen, obwohl uns versichert wurde, die Wiener Zei¬
tung sei ein Makulaturkvrb und das Perthalerlhum ein leerer Popanz. --- Nur zu
bald zeigte sich, daß wir die mittelbare Bedeutung des italienischen Krieges nicht falsch
verstanden hatten. Die nächste Folgerung lag ja auf der Hand. Eine Politik,
welche von den Mailändern als Hochverrätherischen Rebellen sprach, konnte den
Anschluß an Deutschland nicht ernstlich wollen, und aus dem "Maknlatnrkorb"
sprachen die Paladine der dynastischen Traditionen. Das Perthalerthnm wurde
in Wien rasend populär und erhielt seine Sanction durch den bekannten Ministe-
rialerlaß, der in Deutschland so unangenehmes Aussehen machte. Den guten
Wienern wußte man den unmittelbaren Anschluß an Deutschland wie den jüngsten
Tag Oestreichs darzustellen. Einen heilsamen Schrecken jagte ihnen schon die
Bemerkung ein, daß die Deutschen im Stande wären, nicht nnr nicht den Kaiser
Ferdinand, sondern überhaupt Niemanden zum erblichen deutschen König zu krö¬
nen, -- daraus würde also Republik, Anarchie und Weltuntergang. Ferner redete
man ihnen ein, das Frankfurter Parlament werde regieren und gnberniren, sich
in die innern Angelegenheiten aller deutschen Staaten dictatorisch einmischen und
jede Kleinigkeit bis auf die Accise an der Wiener Linie reguliren wollen. Endlich
werde Wien zu einer unbedeutenden Provinzialstadt herabsinken^).

Jetzt brach ein Fanatismus für die Selbstständigkeit des Kaiserstaates aus,
wie man ihn vielleicht in den besten Tagen Oestreichs nicht erlebt hatte; er war
das letzte Aufflackern einer erlöschenden Flamme. Die schwarz-gelbe Fahne stieg
hoch über Schwarz-Roth-Gold, sie wurde wie das einzige Symbol der Rettung
und des Ruhmes verehrt. Die Fürsprecher des "Bundesstaats", des unmittel¬
baren Anschlusses an Deutschland, galten für Selbstmordprediger, Republikaner,
Landes-, Vaterlands- und Hochverräther. Die einflußreichsten Vereine und Volks-



*) Im republikanischen Nordamerika sind Boston, New-York, Reu-Orleans -c. nichts
weniger als unbedeutende Provinzialstädte, obgleich der Congreß in Washington sitzt.

Aber nein! In der Wiener Zeitung hatte ein v>. Perthaler eine funkelnagel¬
neue Geschichtsphilosophie erfunden, welche Metternich Lügen straft eben so wie
die Revolution, indem sie beide mit einander aussöhnt. Zu Gunsten Oestreichs
macht, nach Perthalcr, die Natur, macht der Geist der Geschichte eine Ausnahme.
Oestreich hat, durch seiue geographische Lage, den Beruf und die Kraft, eine be¬
liebige Musterkarte der heterogensten Nationalitäten zu .....- verdauen, ohne sie

zu vertilgen; es verwandelt sie eben in Oestreicher und dann können sie, inner¬
halb des eisernen Reifens, sich erst recht frei entwickeln, ohne einander nur
mit dem Ellbogen anzustoßen. Innerhalb der Monarchie gibt es weder Italiener,
noch Deutsche, noch Polen, sondern lauter enthusiastische k. k. östreichische Patrio¬
ten. Die k. k. östreichische Nationalität zieht der Italiener, der Pole, der Deutsche
so leicht und geschwind an, wie ein Rekrut „den Rock des Kaisers," die Uniform
nämlich u. s. w. Wir haben in unsern Blättern auch auf diese gefährlichen Per-
thaler'sehen Illusionen hingewiesen, obwohl uns versichert wurde, die Wiener Zei¬
tung sei ein Makulaturkvrb und das Perthalerlhum ein leerer Popanz. -— Nur zu
bald zeigte sich, daß wir die mittelbare Bedeutung des italienischen Krieges nicht falsch
verstanden hatten. Die nächste Folgerung lag ja auf der Hand. Eine Politik,
welche von den Mailändern als Hochverrätherischen Rebellen sprach, konnte den
Anschluß an Deutschland nicht ernstlich wollen, und aus dem „Maknlatnrkorb"
sprachen die Paladine der dynastischen Traditionen. Das Perthalerthnm wurde
in Wien rasend populär und erhielt seine Sanction durch den bekannten Ministe-
rialerlaß, der in Deutschland so unangenehmes Aussehen machte. Den guten
Wienern wußte man den unmittelbaren Anschluß an Deutschland wie den jüngsten
Tag Oestreichs darzustellen. Einen heilsamen Schrecken jagte ihnen schon die
Bemerkung ein, daß die Deutschen im Stande wären, nicht nnr nicht den Kaiser
Ferdinand, sondern überhaupt Niemanden zum erblichen deutschen König zu krö¬
nen, — daraus würde also Republik, Anarchie und Weltuntergang. Ferner redete
man ihnen ein, das Frankfurter Parlament werde regieren und gnberniren, sich
in die innern Angelegenheiten aller deutschen Staaten dictatorisch einmischen und
jede Kleinigkeit bis auf die Accise an der Wiener Linie reguliren wollen. Endlich
werde Wien zu einer unbedeutenden Provinzialstadt herabsinken^).

Jetzt brach ein Fanatismus für die Selbstständigkeit des Kaiserstaates aus,
wie man ihn vielleicht in den besten Tagen Oestreichs nicht erlebt hatte; er war
das letzte Aufflackern einer erlöschenden Flamme. Die schwarz-gelbe Fahne stieg
hoch über Schwarz-Roth-Gold, sie wurde wie das einzige Symbol der Rettung
und des Ruhmes verehrt. Die Fürsprecher des „Bundesstaats", des unmittel¬
baren Anschlusses an Deutschland, galten für Selbstmordprediger, Republikaner,
Landes-, Vaterlands- und Hochverräther. Die einflußreichsten Vereine und Volks-



*) Im republikanischen Nordamerika sind Boston, New-York, Reu-Orleans -c. nichts
weniger als unbedeutende Provinzialstädte, obgleich der Congreß in Washington sitzt.
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[0279] Aber nein! In der Wiener Zeitung hatte ein v>. Perthaler eine funkelnagel¬ neue Geschichtsphilosophie erfunden, welche Metternich Lügen straft eben so wie die Revolution, indem sie beide mit einander aussöhnt. Zu Gunsten Oestreichs macht, nach Perthalcr, die Natur, macht der Geist der Geschichte eine Ausnahme. Oestreich hat, durch seiue geographische Lage, den Beruf und die Kraft, eine be¬ liebige Musterkarte der heterogensten Nationalitäten zu .....- verdauen, ohne sie zu vertilgen; es verwandelt sie eben in Oestreicher und dann können sie, inner¬ halb des eisernen Reifens, sich erst recht frei entwickeln, ohne einander nur mit dem Ellbogen anzustoßen. Innerhalb der Monarchie gibt es weder Italiener, noch Deutsche, noch Polen, sondern lauter enthusiastische k. k. östreichische Patrio¬ ten. Die k. k. östreichische Nationalität zieht der Italiener, der Pole, der Deutsche so leicht und geschwind an, wie ein Rekrut „den Rock des Kaisers," die Uniform nämlich u. s. w. Wir haben in unsern Blättern auch auf diese gefährlichen Per- thaler'sehen Illusionen hingewiesen, obwohl uns versichert wurde, die Wiener Zei¬ tung sei ein Makulaturkvrb und das Perthalerlhum ein leerer Popanz. -— Nur zu bald zeigte sich, daß wir die mittelbare Bedeutung des italienischen Krieges nicht falsch verstanden hatten. Die nächste Folgerung lag ja auf der Hand. Eine Politik, welche von den Mailändern als Hochverrätherischen Rebellen sprach, konnte den Anschluß an Deutschland nicht ernstlich wollen, und aus dem „Maknlatnrkorb" sprachen die Paladine der dynastischen Traditionen. Das Perthalerthnm wurde in Wien rasend populär und erhielt seine Sanction durch den bekannten Ministe- rialerlaß, der in Deutschland so unangenehmes Aussehen machte. Den guten Wienern wußte man den unmittelbaren Anschluß an Deutschland wie den jüngsten Tag Oestreichs darzustellen. Einen heilsamen Schrecken jagte ihnen schon die Bemerkung ein, daß die Deutschen im Stande wären, nicht nnr nicht den Kaiser Ferdinand, sondern überhaupt Niemanden zum erblichen deutschen König zu krö¬ nen, — daraus würde also Republik, Anarchie und Weltuntergang. Ferner redete man ihnen ein, das Frankfurter Parlament werde regieren und gnberniren, sich in die innern Angelegenheiten aller deutschen Staaten dictatorisch einmischen und jede Kleinigkeit bis auf die Accise an der Wiener Linie reguliren wollen. Endlich werde Wien zu einer unbedeutenden Provinzialstadt herabsinken^). Jetzt brach ein Fanatismus für die Selbstständigkeit des Kaiserstaates aus, wie man ihn vielleicht in den besten Tagen Oestreichs nicht erlebt hatte; er war das letzte Aufflackern einer erlöschenden Flamme. Die schwarz-gelbe Fahne stieg hoch über Schwarz-Roth-Gold, sie wurde wie das einzige Symbol der Rettung und des Ruhmes verehrt. Die Fürsprecher des „Bundesstaats", des unmittel¬ baren Anschlusses an Deutschland, galten für Selbstmordprediger, Republikaner, Landes-, Vaterlands- und Hochverräther. Die einflußreichsten Vereine und Volks- *) Im republikanischen Nordamerika sind Boston, New-York, Reu-Orleans -c. nichts weniger als unbedeutende Provinzialstädte, obgleich der Congreß in Washington sitzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/279>, abgerufen am 26.06.2024.