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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Jemand den leitenden Gedanken des Cabinets oder die Persönlichkeit, die sich zu
seinem Träger gemacht hat? Ist es der abgetretene Ficquelmont oder der gute, aber
schwache Pillersdorf? Der Erzherzog Ludwig, Franz oder eine von den hohen
Frauen bei Hofe? ... ES gibt liberale Oestreicher, die statt lebendiger Sym¬
pathie für die Noth der Völker, nur Sentimentalität haben für den alten Nimbus
kaiserlich östreichischer Großmacht, und statt eines Verständnisses für das Mögliche
und Erreichbare, nur einen gemüthliche" Patriotismus für dynastische Traditionen.

Als zu Anfang des Monats April die Grenzboten gegen Nadchky's Auftreten
in Mailand und gegen die Vergeudung der edelsten Kräfte ans einen italienischen
Kreuzzug sprachen, erhielten wir die bittersten Vorwürfe über solchen Mangel an
Patriotismus aus dem Munde liberaler Oestreicher. Unsere etwas heftige Sprache
wurde "undeutsch" gescholten und als einseitige Sympathie für die Italiener aus¬
gelegt. Sie war uns jedoch, umgekehrt, von der gerechtesten Besorgniß für das
Deutschthum in Oestreich eingegeben. Denn was hatten wir im Grnnde bei der
ersten Nachricht von den Mailänder Vorgängen gesagt? Wir sagten mit aus¬
drücklichen Worten, der italienische Krieg habe nur dann Sinn und Zweck, wenn
Oestreich sich Deutschland nicht anschließen, sondern mit Gewalt eine gesonderte
europäische Großmacht bleiben wolle; wenn es, gestützt wie früher ans auswärtige
nichtdeutsche Besitzungen, den Deutschen zurufen wolle: "Seht, wir sind noch
immer großmächtig genug, wir brauchen euch nicht, aber wir wollen euch prote-
giren, nach unserer Weise." -- "Dann gnade Gott," fügten wir hinzu, "den
Deutschen Oestreichs, gnade Gott der Freiheit und dem Fortschritt." Unsere
Ueberzeugung war damals wie jetzt, daß der Kaiserstaat alle ursprünglich fremden
Bestandtheile sich nicht erst entreißen, sondern möglichst schnell loslösen, also Ita¬
lien aufgeben und Galizien nur als anvertrautes Gut betrachten müsse, um da¬
für desto sicherer die rein- und halbdeutschcn Völker der großen deutschen Na-
tionalbewcgnng zuführen zu können.

Niemand hatte bisher geläugnet, daß der Kaiserstaat kein natürlicher Orga¬
nismus, sondern ein Aggregat von Erbstücken sei, zusammengehalten dnrch den
eisernen Reifen eines nicht einmal sehr aufgeklärten Despotismus, der deu Wider¬
streit der nationalen Antipathien und Interessen nnr dadurch aufhob, daß er kei¬
ner Nationalität eine freie Entwickelung gestattete. Die Männer der Metternich'-
sche" Schule hatten diesen Umstand mit vollem Recht als das unübersteigbare
Hinderniß für jeden politischen Fortschritt, und den Absolutismus für die Grund¬
bedingung des Fortbestandes Oestreichs als kaiserliche Großmacht erklärt. Gab
"s daber ein anderes Mittel, jene fürchterliche Klippe für Freiheit und Fortschritt
zu entfernen, als indem man wenigstens die heterogensten Elemente auszuscheiden
und das zusammenzuhalten suchte, was entweder von Natur deutsch war oder die
Güter deutscher Bildung und Freiheit so weit verkostet hatte, um einem wahlver-
wandtschafllichen Zuge nach Deutschland zu folgen?


Jemand den leitenden Gedanken des Cabinets oder die Persönlichkeit, die sich zu
seinem Träger gemacht hat? Ist es der abgetretene Ficquelmont oder der gute, aber
schwache Pillersdorf? Der Erzherzog Ludwig, Franz oder eine von den hohen
Frauen bei Hofe? ... ES gibt liberale Oestreicher, die statt lebendiger Sym¬
pathie für die Noth der Völker, nur Sentimentalität haben für den alten Nimbus
kaiserlich östreichischer Großmacht, und statt eines Verständnisses für das Mögliche
und Erreichbare, nur einen gemüthliche» Patriotismus für dynastische Traditionen.

Als zu Anfang des Monats April die Grenzboten gegen Nadchky's Auftreten
in Mailand und gegen die Vergeudung der edelsten Kräfte ans einen italienischen
Kreuzzug sprachen, erhielten wir die bittersten Vorwürfe über solchen Mangel an
Patriotismus aus dem Munde liberaler Oestreicher. Unsere etwas heftige Sprache
wurde „undeutsch" gescholten und als einseitige Sympathie für die Italiener aus¬
gelegt. Sie war uns jedoch, umgekehrt, von der gerechtesten Besorgniß für das
Deutschthum in Oestreich eingegeben. Denn was hatten wir im Grnnde bei der
ersten Nachricht von den Mailänder Vorgängen gesagt? Wir sagten mit aus¬
drücklichen Worten, der italienische Krieg habe nur dann Sinn und Zweck, wenn
Oestreich sich Deutschland nicht anschließen, sondern mit Gewalt eine gesonderte
europäische Großmacht bleiben wolle; wenn es, gestützt wie früher ans auswärtige
nichtdeutsche Besitzungen, den Deutschen zurufen wolle: „Seht, wir sind noch
immer großmächtig genug, wir brauchen euch nicht, aber wir wollen euch prote-
giren, nach unserer Weise." — „Dann gnade Gott," fügten wir hinzu, „den
Deutschen Oestreichs, gnade Gott der Freiheit und dem Fortschritt." Unsere
Ueberzeugung war damals wie jetzt, daß der Kaiserstaat alle ursprünglich fremden
Bestandtheile sich nicht erst entreißen, sondern möglichst schnell loslösen, also Ita¬
lien aufgeben und Galizien nur als anvertrautes Gut betrachten müsse, um da¬
für desto sicherer die rein- und halbdeutschcn Völker der großen deutschen Na-
tionalbewcgnng zuführen zu können.

Niemand hatte bisher geläugnet, daß der Kaiserstaat kein natürlicher Orga¬
nismus, sondern ein Aggregat von Erbstücken sei, zusammengehalten dnrch den
eisernen Reifen eines nicht einmal sehr aufgeklärten Despotismus, der deu Wider¬
streit der nationalen Antipathien und Interessen nnr dadurch aufhob, daß er kei¬
ner Nationalität eine freie Entwickelung gestattete. Die Männer der Metternich'-
sche» Schule hatten diesen Umstand mit vollem Recht als das unübersteigbare
Hinderniß für jeden politischen Fortschritt, und den Absolutismus für die Grund¬
bedingung des Fortbestandes Oestreichs als kaiserliche Großmacht erklärt. Gab
«s daber ein anderes Mittel, jene fürchterliche Klippe für Freiheit und Fortschritt
zu entfernen, als indem man wenigstens die heterogensten Elemente auszuscheiden
und das zusammenzuhalten suchte, was entweder von Natur deutsch war oder die
Güter deutscher Bildung und Freiheit so weit verkostet hatte, um einem wahlver-
wandtschafllichen Zuge nach Deutschland zu folgen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/278>, abgerufen am 26.06.2024.