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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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über den hereinbrechenden Staatsbankrott und über die Klosteranfbebung, als das
beste Präservativ gegen denselben; hier sympathisirt man mit Polen und schwört
sich dessen Regcuerirung; hier verwahrt man sich gegen Rekrutirungen, die
die Regierung zur Errichtung einer Nordarmee vornehmen will; hier proklamirt
man, protestirt man. Mehr! Hier strömen von allen Seiten, von Stadt und
Land, Klagen über Mißhandlungen hartherziger Hausbesitzer gegen ihre armen
Wohnparteien, Arbeitgebenden gegen ihre Arbeiter zusammen; hier bringen Ge¬
meinden Beschwerden gegen ihre habsüchtigen und unchristlichen Pfarrer, hier
Landleute gegen ihre Grundherrn und Beamte" an. Augenblicklich organisiren
sich bei solchen Gelegenheiten Schiedsgerichte, und sprechen Recht, und schaffen
Recht, und rathen doch wenigstens, wo sie nicht selbst einzugreifen im Stande;
der Zudrang von Klageführenden ist ein unausgesetzter. Die Aula ist die förm¬
liche und ausgesprochene Opposition gegen die Negierung. Sie sängt die Organe
derselben, die sogenannten Spitzel, deren sich 400, wie die Wanzen aus einem
alten Hans in ein neues, ans dem alten System in das neue herübcrgcerbt haben,
el", und übt an ihnen im Angesichte der Negierung ein schreckliches Volksgericht.
Erst gestern wurden zwei dergleichen Wesen festgehalten und eines derselben auf
dem Universitätsbalkvn mit einer Schandtafel auf der Brust unter gekreuzten Bayo-
netten zur Schau gestellt und dann in einem Hnndckarren tinter Garden- und
Stndentenbedecknng durch die Stadt nach dem Gardchanptquartier transportirt.

Schwindelnd in der That ist die Höhe, auf der die Aula Wiens steht über
der brausenden Untiefe einer rathlosen Anarchie? Schauerliche Abgründe drohen
rechts und links; einerseits die Schrecken des Revolutionstribunals und der Re¬
publik, andererseits die Schrecken des wieder auflebenden Absolutismus. Mau
spricht davon, die Regierung werde, um deu einzuberufenden Reichstag von einem
Gegner, der ihm immerwährend Schach bieten wurde, zu befreien, mit Ende
dieses Monats oder Anfangs Juni die Universität schließen. Man ist allgemein
entschlossen gegen einen solchen Schritt zu protestiren, und die Aula, bis jetzt
ein l'orna Roiiiimuitt, dürfte dann ein o-imsius M^un", oder zu deutsch eine
völlige Kaserne werden, denn die Studenten wollen dann die Hörsäle zu ihren
permanenten Wohnstuben umwandeln, und die Bürger verspreche", sie mit Ma-
trazen und Kost zu dem Behufe zu versehen.


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über den hereinbrechenden Staatsbankrott und über die Klosteranfbebung, als das
beste Präservativ gegen denselben; hier sympathisirt man mit Polen und schwört
sich dessen Regcuerirung; hier verwahrt man sich gegen Rekrutirungen, die
die Regierung zur Errichtung einer Nordarmee vornehmen will; hier proklamirt
man, protestirt man. Mehr! Hier strömen von allen Seiten, von Stadt und
Land, Klagen über Mißhandlungen hartherziger Hausbesitzer gegen ihre armen
Wohnparteien, Arbeitgebenden gegen ihre Arbeiter zusammen; hier bringen Ge¬
meinden Beschwerden gegen ihre habsüchtigen und unchristlichen Pfarrer, hier
Landleute gegen ihre Grundherrn und Beamte» an. Augenblicklich organisiren
sich bei solchen Gelegenheiten Schiedsgerichte, und sprechen Recht, und schaffen
Recht, und rathen doch wenigstens, wo sie nicht selbst einzugreifen im Stande;
der Zudrang von Klageführenden ist ein unausgesetzter. Die Aula ist die förm¬
liche und ausgesprochene Opposition gegen die Negierung. Sie sängt die Organe
derselben, die sogenannten Spitzel, deren sich 400, wie die Wanzen aus einem
alten Hans in ein neues, ans dem alten System in das neue herübcrgcerbt haben,
el», und übt an ihnen im Angesichte der Negierung ein schreckliches Volksgericht.
Erst gestern wurden zwei dergleichen Wesen festgehalten und eines derselben auf
dem Universitätsbalkvn mit einer Schandtafel auf der Brust unter gekreuzten Bayo-
netten zur Schau gestellt und dann in einem Hnndckarren tinter Garden- und
Stndentenbedecknng durch die Stadt nach dem Gardchanptquartier transportirt.

Schwindelnd in der That ist die Höhe, auf der die Aula Wiens steht über
der brausenden Untiefe einer rathlosen Anarchie? Schauerliche Abgründe drohen
rechts und links; einerseits die Schrecken des Revolutionstribunals und der Re¬
publik, andererseits die Schrecken des wieder auflebenden Absolutismus. Mau
spricht davon, die Regierung werde, um deu einzuberufenden Reichstag von einem
Gegner, der ihm immerwährend Schach bieten wurde, zu befreien, mit Ende
dieses Monats oder Anfangs Juni die Universität schließen. Man ist allgemein
entschlossen gegen einen solchen Schritt zu protestiren, und die Aula, bis jetzt
ein l'orna Roiiiimuitt, dürfte dann ein o-imsius M^un«, oder zu deutsch eine
völlige Kaserne werden, denn die Studenten wollen dann die Hörsäle zu ihren
permanenten Wohnstuben umwandeln, und die Bürger verspreche», sie mit Ma-
trazen und Kost zu dem Behufe zu versehen.


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[0269] über den hereinbrechenden Staatsbankrott und über die Klosteranfbebung, als das beste Präservativ gegen denselben; hier sympathisirt man mit Polen und schwört sich dessen Regcuerirung; hier verwahrt man sich gegen Rekrutirungen, die die Regierung zur Errichtung einer Nordarmee vornehmen will; hier proklamirt man, protestirt man. Mehr! Hier strömen von allen Seiten, von Stadt und Land, Klagen über Mißhandlungen hartherziger Hausbesitzer gegen ihre armen Wohnparteien, Arbeitgebenden gegen ihre Arbeiter zusammen; hier bringen Ge¬ meinden Beschwerden gegen ihre habsüchtigen und unchristlichen Pfarrer, hier Landleute gegen ihre Grundherrn und Beamte» an. Augenblicklich organisiren sich bei solchen Gelegenheiten Schiedsgerichte, und sprechen Recht, und schaffen Recht, und rathen doch wenigstens, wo sie nicht selbst einzugreifen im Stande; der Zudrang von Klageführenden ist ein unausgesetzter. Die Aula ist die förm¬ liche und ausgesprochene Opposition gegen die Negierung. Sie sängt die Organe derselben, die sogenannten Spitzel, deren sich 400, wie die Wanzen aus einem alten Hans in ein neues, ans dem alten System in das neue herübcrgcerbt haben, el», und übt an ihnen im Angesichte der Negierung ein schreckliches Volksgericht. Erst gestern wurden zwei dergleichen Wesen festgehalten und eines derselben auf dem Universitätsbalkvn mit einer Schandtafel auf der Brust unter gekreuzten Bayo- netten zur Schau gestellt und dann in einem Hnndckarren tinter Garden- und Stndentenbedecknng durch die Stadt nach dem Gardchanptquartier transportirt. Schwindelnd in der That ist die Höhe, auf der die Aula Wiens steht über der brausenden Untiefe einer rathlosen Anarchie? Schauerliche Abgründe drohen rechts und links; einerseits die Schrecken des Revolutionstribunals und der Re¬ publik, andererseits die Schrecken des wieder auflebenden Absolutismus. Mau spricht davon, die Regierung werde, um deu einzuberufenden Reichstag von einem Gegner, der ihm immerwährend Schach bieten wurde, zu befreien, mit Ende dieses Monats oder Anfangs Juni die Universität schließen. Man ist allgemein entschlossen gegen einen solchen Schritt zu protestiren, und die Aula, bis jetzt ein l'orna Roiiiimuitt, dürfte dann ein o-imsius M^un«, oder zu deutsch eine völlige Kaserne werden, denn die Studenten wollen dann die Hörsäle zu ihren permanenten Wohnstuben umwandeln, und die Bürger verspreche», sie mit Ma- trazen und Kost zu dem Behufe zu versehen. -pp- 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/269>, abgerufen am 26.06.2024.