Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Äus Wie".

Mmißtercombinativnen. -- Die Vorgänge in Kalizi-n. -- SlaLcneDtuircß. -- Physiognomie von Neu-
Wien. -- Die frei-Presse auf der Straße, -- Die Betrübte". -- Der akademische Rede - und Leseverein.--
CaffechauSlebcu. -- Wie eine Wiener Katzenmusik aussieht und wie sie schließt.

Unser Ministerium hat bis jetzt nur ein Mitglied, den Grafen Fiquclmont, aus¬
gegeben. Provisorisch hat der alte Freiherr v. Lebzelten, dessen Portefeuille über¬
nommen. Graf Colloredo ist als Minister des Auswärtigen designirt. Dem frühern
liberalen Ständemitglicde Freihecrn v. Doblhof wurde das Ministerium des Innern an¬
getragen, allein in der Ueberzeugung, daß sich kein Ministerium! bis zur Eröffnung des
Reichstages halten könnte, glaubte er seine Thätigkeit einer spätern Zeit aufbewahren
zu müssen. Als nächste Combination bezeichnet man daher mit Doblhof den Ritter
v. Schmerling, Justiz, v. Westenberg, Aeußeres, Professor Exner. Unterricht. Einst¬
weilen betreibt die Bureaukratie die Contrerevolution mit aller Machtvollkommenheit,
wie wir dies in Galizien unabweisbar sehen. Die Beschießung von Krakau, das
Sprengen des Nationalcvmiti-s in Lemberg, der Ueberfall einer wehrlosen Volksmenge
von Seiten des Militärs in Ranislaw, die Auflösung der Krcisvcreinc und National-
garten in allen Kreisen -- alle diese Attentate auf die polnische Nationalität geschahen
an Einem Tage, am 26, April! Bewiesen ist ferner, daß Briefe nach wie vor erbro¬
chen werden und der Haß des galizischen Bauern gegen den Adel von den kaiserlichen
Kreisämtern genährt wird. Wie kann bei einem so perfiden Verfahren Vertrauen zur
Regierung entstehen, wie soll die Ruhe wiederkehren, wenn das Volk stets auf der
Hut vor einer Ueberrumpelung sein muß?

Man spricht hier von einer Versammlung aus sämmtlichen östreichischen Slaven¬
ländern in Prag. Eben so prophezeit man für den 14. Mai eine gleichzeitige Er¬
hebung sämmtlicher slavischer Stämme. Dann werden wohl die "Staatenbüudlcr" bald
eines bessern sich besinnen müssen! Der Reichstag soll für den 15. Juni einberufen wer¬
den. Das provisorische Wahlgesetz wird täglich erwartet.

Nirgends auf dem Continente treten vielleicht in diesem Augenblick die Kontraste
zwischen der alten und neuen Zeit so grell hervor, wie in der Kaiserstadt an der Do¬
nau. Alles hat sich geändert, Alles ist im Umwandlungsprocesse begriffen -- nur
nicht die Gemüthsart des Volkes und die faulen Ueberreste des alten Systems in den
Kanzleien und Salons. Die Straßen sind voll von Leben und abwechselnder Scenerie,
und in jedem Hanse und Straßenwinkel werden Flugblätter. Petitionen, Adressen,
Scandalosa mit lautem Geschrei seil geboten. Vor jedem Balkon und Fenster wehen
die schwarz-roth-goldnen Farben, der politisch-juridische Lescvercin hat auch die schwarz¬
gelbe aufgesteckt und einige Aristokraten geben eben so viele farbige Fahnen den Winden
preis, als ihnen der Sturm der Revolution Besitzungen in den verschiedenen Provinzen
zu entreißen droht. Das elegante Publikum hat seiue Exclusivität aufgegeben. Mützen


Äus Wie».

Mmißtercombinativnen. — Die Vorgänge in Kalizi-n. — SlaLcneDtuircß. — Physiognomie von Neu-
Wien. — Die frei-Presse auf der Straße, — Die Betrübte». — Der akademische Rede - und Leseverein.—
CaffechauSlebcu. — Wie eine Wiener Katzenmusik aussieht und wie sie schließt.

Unser Ministerium hat bis jetzt nur ein Mitglied, den Grafen Fiquclmont, aus¬
gegeben. Provisorisch hat der alte Freiherr v. Lebzelten, dessen Portefeuille über¬
nommen. Graf Colloredo ist als Minister des Auswärtigen designirt. Dem frühern
liberalen Ständemitglicde Freihecrn v. Doblhof wurde das Ministerium des Innern an¬
getragen, allein in der Ueberzeugung, daß sich kein Ministerium! bis zur Eröffnung des
Reichstages halten könnte, glaubte er seine Thätigkeit einer spätern Zeit aufbewahren
zu müssen. Als nächste Combination bezeichnet man daher mit Doblhof den Ritter
v. Schmerling, Justiz, v. Westenberg, Aeußeres, Professor Exner. Unterricht. Einst¬
weilen betreibt die Bureaukratie die Contrerevolution mit aller Machtvollkommenheit,
wie wir dies in Galizien unabweisbar sehen. Die Beschießung von Krakau, das
Sprengen des Nationalcvmiti-s in Lemberg, der Ueberfall einer wehrlosen Volksmenge
von Seiten des Militärs in Ranislaw, die Auflösung der Krcisvcreinc und National-
garten in allen Kreisen — alle diese Attentate auf die polnische Nationalität geschahen
an Einem Tage, am 26, April! Bewiesen ist ferner, daß Briefe nach wie vor erbro¬
chen werden und der Haß des galizischen Bauern gegen den Adel von den kaiserlichen
Kreisämtern genährt wird. Wie kann bei einem so perfiden Verfahren Vertrauen zur
Regierung entstehen, wie soll die Ruhe wiederkehren, wenn das Volk stets auf der
Hut vor einer Ueberrumpelung sein muß?

Man spricht hier von einer Versammlung aus sämmtlichen östreichischen Slaven¬
ländern in Prag. Eben so prophezeit man für den 14. Mai eine gleichzeitige Er¬
hebung sämmtlicher slavischer Stämme. Dann werden wohl die „Staatenbüudlcr" bald
eines bessern sich besinnen müssen! Der Reichstag soll für den 15. Juni einberufen wer¬
den. Das provisorische Wahlgesetz wird täglich erwartet.

Nirgends auf dem Continente treten vielleicht in diesem Augenblick die Kontraste
zwischen der alten und neuen Zeit so grell hervor, wie in der Kaiserstadt an der Do¬
nau. Alles hat sich geändert, Alles ist im Umwandlungsprocesse begriffen — nur
nicht die Gemüthsart des Volkes und die faulen Ueberreste des alten Systems in den
Kanzleien und Salons. Die Straßen sind voll von Leben und abwechselnder Scenerie,
und in jedem Hanse und Straßenwinkel werden Flugblätter. Petitionen, Adressen,
Scandalosa mit lautem Geschrei seil geboten. Vor jedem Balkon und Fenster wehen
die schwarz-roth-goldnen Farben, der politisch-juridische Lescvercin hat auch die schwarz¬
gelbe aufgesteckt und einige Aristokraten geben eben so viele farbige Fahnen den Winden
preis, als ihnen der Sturm der Revolution Besitzungen in den verschiedenen Provinzen
zu entreißen droht. Das elegante Publikum hat seiue Exclusivität aufgegeben. Mützen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0270" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276476"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Äus Wie».</head><lb/>
          <note type="argument"> Mmißtercombinativnen. &#x2014; Die Vorgänge in Kalizi-n. &#x2014; SlaLcneDtuircß. &#x2014; Physiognomie von Neu-<lb/>
Wien. &#x2014; Die frei-Presse auf der Straße, &#x2014; Die Betrübte». &#x2014; Der akademische Rede - und Leseverein.&#x2014;<lb/>
CaffechauSlebcu. &#x2014; Wie eine Wiener Katzenmusik aussieht und wie sie schließt.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_934"> Unser Ministerium hat bis jetzt nur ein Mitglied, den Grafen Fiquclmont, aus¬<lb/>
gegeben. Provisorisch hat der alte Freiherr v. Lebzelten, dessen Portefeuille über¬<lb/>
nommen. Graf Colloredo ist als Minister des Auswärtigen designirt. Dem frühern<lb/>
liberalen Ständemitglicde Freihecrn v. Doblhof wurde das Ministerium des Innern an¬<lb/>
getragen, allein in der Ueberzeugung, daß sich kein Ministerium! bis zur Eröffnung des<lb/>
Reichstages halten könnte, glaubte er seine Thätigkeit einer spätern Zeit aufbewahren<lb/>
zu müssen. Als nächste Combination bezeichnet man daher mit Doblhof den Ritter<lb/>
v. Schmerling, Justiz, v. Westenberg, Aeußeres, Professor Exner. Unterricht. Einst¬<lb/>
weilen betreibt die Bureaukratie die Contrerevolution mit aller Machtvollkommenheit,<lb/>
wie wir dies in Galizien unabweisbar sehen. Die Beschießung von Krakau, das<lb/>
Sprengen des Nationalcvmiti-s in Lemberg, der Ueberfall einer wehrlosen Volksmenge<lb/>
von Seiten des Militärs in Ranislaw, die Auflösung der Krcisvcreinc und National-<lb/>
garten in allen Kreisen &#x2014; alle diese Attentate auf die polnische Nationalität geschahen<lb/>
an Einem Tage, am 26, April! Bewiesen ist ferner, daß Briefe nach wie vor erbro¬<lb/>
chen werden und der Haß des galizischen Bauern gegen den Adel von den kaiserlichen<lb/>
Kreisämtern genährt wird. Wie kann bei einem so perfiden Verfahren Vertrauen zur<lb/>
Regierung entstehen, wie soll die Ruhe wiederkehren, wenn das Volk stets auf der<lb/>
Hut vor einer Ueberrumpelung sein muß?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935"> Man spricht hier von einer Versammlung aus sämmtlichen östreichischen Slaven¬<lb/>
ländern in Prag. Eben so prophezeit man für den 14. Mai eine gleichzeitige Er¬<lb/>
hebung sämmtlicher slavischer Stämme. Dann werden wohl die &#x201E;Staatenbüudlcr" bald<lb/>
eines bessern sich besinnen müssen! Der Reichstag soll für den 15. Juni einberufen wer¬<lb/>
den.  Das provisorische Wahlgesetz wird täglich erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936" next="#ID_937"> Nirgends auf dem Continente treten vielleicht in diesem Augenblick die Kontraste<lb/>
zwischen der alten und neuen Zeit so grell hervor, wie in der Kaiserstadt an der Do¬<lb/>
nau. Alles hat sich geändert, Alles ist im Umwandlungsprocesse begriffen &#x2014; nur<lb/>
nicht die Gemüthsart des Volkes und die faulen Ueberreste des alten Systems in den<lb/>
Kanzleien und Salons. Die Straßen sind voll von Leben und abwechselnder Scenerie,<lb/>
und in jedem Hanse und Straßenwinkel werden Flugblätter. Petitionen, Adressen,<lb/>
Scandalosa mit lautem Geschrei seil geboten. Vor jedem Balkon und Fenster wehen<lb/>
die schwarz-roth-goldnen Farben, der politisch-juridische Lescvercin hat auch die schwarz¬<lb/>
gelbe aufgesteckt und einige Aristokraten geben eben so viele farbige Fahnen den Winden<lb/>
preis, als ihnen der Sturm der Revolution Besitzungen in den verschiedenen Provinzen<lb/>
zu entreißen droht. Das elegante Publikum hat seiue Exclusivität aufgegeben. Mützen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0270] Äus Wie». Mmißtercombinativnen. — Die Vorgänge in Kalizi-n. — SlaLcneDtuircß. — Physiognomie von Neu- Wien. — Die frei-Presse auf der Straße, — Die Betrübte». — Der akademische Rede - und Leseverein.— CaffechauSlebcu. — Wie eine Wiener Katzenmusik aussieht und wie sie schließt. Unser Ministerium hat bis jetzt nur ein Mitglied, den Grafen Fiquclmont, aus¬ gegeben. Provisorisch hat der alte Freiherr v. Lebzelten, dessen Portefeuille über¬ nommen. Graf Colloredo ist als Minister des Auswärtigen designirt. Dem frühern liberalen Ständemitglicde Freihecrn v. Doblhof wurde das Ministerium des Innern an¬ getragen, allein in der Ueberzeugung, daß sich kein Ministerium! bis zur Eröffnung des Reichstages halten könnte, glaubte er seine Thätigkeit einer spätern Zeit aufbewahren zu müssen. Als nächste Combination bezeichnet man daher mit Doblhof den Ritter v. Schmerling, Justiz, v. Westenberg, Aeußeres, Professor Exner. Unterricht. Einst¬ weilen betreibt die Bureaukratie die Contrerevolution mit aller Machtvollkommenheit, wie wir dies in Galizien unabweisbar sehen. Die Beschießung von Krakau, das Sprengen des Nationalcvmiti-s in Lemberg, der Ueberfall einer wehrlosen Volksmenge von Seiten des Militärs in Ranislaw, die Auflösung der Krcisvcreinc und National- garten in allen Kreisen — alle diese Attentate auf die polnische Nationalität geschahen an Einem Tage, am 26, April! Bewiesen ist ferner, daß Briefe nach wie vor erbro¬ chen werden und der Haß des galizischen Bauern gegen den Adel von den kaiserlichen Kreisämtern genährt wird. Wie kann bei einem so perfiden Verfahren Vertrauen zur Regierung entstehen, wie soll die Ruhe wiederkehren, wenn das Volk stets auf der Hut vor einer Ueberrumpelung sein muß? Man spricht hier von einer Versammlung aus sämmtlichen östreichischen Slaven¬ ländern in Prag. Eben so prophezeit man für den 14. Mai eine gleichzeitige Er¬ hebung sämmtlicher slavischer Stämme. Dann werden wohl die „Staatenbüudlcr" bald eines bessern sich besinnen müssen! Der Reichstag soll für den 15. Juni einberufen wer¬ den. Das provisorische Wahlgesetz wird täglich erwartet. Nirgends auf dem Continente treten vielleicht in diesem Augenblick die Kontraste zwischen der alten und neuen Zeit so grell hervor, wie in der Kaiserstadt an der Do¬ nau. Alles hat sich geändert, Alles ist im Umwandlungsprocesse begriffen — nur nicht die Gemüthsart des Volkes und die faulen Ueberreste des alten Systems in den Kanzleien und Salons. Die Straßen sind voll von Leben und abwechselnder Scenerie, und in jedem Hanse und Straßenwinkel werden Flugblätter. Petitionen, Adressen, Scandalosa mit lautem Geschrei seil geboten. Vor jedem Balkon und Fenster wehen die schwarz-roth-goldnen Farben, der politisch-juridische Lescvercin hat auch die schwarz¬ gelbe aufgesteckt und einige Aristokraten geben eben so viele farbige Fahnen den Winden preis, als ihnen der Sturm der Revolution Besitzungen in den verschiedenen Provinzen zu entreißen droht. Das elegante Publikum hat seiue Exclusivität aufgegeben. Mützen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/270
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/270>, abgerufen am 26.06.2024.