Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wißbegierige Jünglinge! -- (Denn "Student" war in Wien ein Name, den eben
keine anzustrahlende Aureole umgab) o meine Herren, "in denen der Staat die
künstigen Leiter des Volkes, seine Beamten sieht, und die mit gutem Beispiele
in der Aufrechterhaltung der guten Herkömmlichkeit vorangehen sollen!" wie weit
habt Ihr Euch dnrch das Irrlicht verruchter Neuerungssucht in den Sumpf der
Empörung verleiten lassen? .... so hatte vielleicht ein tieferschütterter Kanzcb
redner am nächsten Sonntage zu der "x oMclo versammelten Studentenschaft ge¬
sprochen, und alle Minen der dienstfertigen Beredsamkeit losgelassen, um die
srciheitsverstockten Gemüther zu zerknirschen, so hätte er die Rede begonnen, mit
der er die Stimmführer vom 12. 13. 14. 15. März nach Kufstein, Spielbcrg
und Munkacs verabschiedet hätte, wenn uicht der Gott der Freiheit und des Rech¬
tes "Sieg!" aus ihre Fahnen schrieb! --

In der That, man glaubt seinen eigenen Augen kaum, wenn man heute
die Aula der Wiener Universität betritt, und man ist versucht sich alles Gedächt¬
niß abzusprechen, wenn man heute mit einem Wiener Studenten spricht!

Wo noch vor drei Monden die gebückten, gedächtnißbelastetcn Gestalten trui"
seliger Schulfüchse vor Beginn der Unterrichtsstunden einzeln sich einsenden,
und kaum ein lautes Wort zu sprechen wagten, und nach beendigtem Kvllegio
sich schulbekümmert wieder fortschlichen; wo noch vereinzelter die tollkühnen Ge-
stalten unzufriedener Renommisten, die es wagten ein leichtsinniges Käppchen statt
eines ehrsamen Filzcylindcrs auf dem Kopfe zu tragen, und statt der schraubenden
Kravate ein flatternd Tuch um deu Hals zu legen, etwa wie der Sonntag in
der Woche erschienen, da Wen nun weltbesorgende und Volksglück besprechende
Comitien die Räume; da währt das Tosen und Drängen von einer Mitternacht
bis zur andern, da besteigt ein Redner nach dem andern die Kanzel, von da aus
geht der Mißfall und der Beifall durch die ganze Residenz, durch die ganze Mo¬
narchie, da werden Klöster aufgehoben und Minister abgesetzt, und Gesetze berathen.

Die Aula, ein schöner, geräumiger, alterthümlicher Saal mit hohen Bogen¬
fenstern, sonst nur bei Gelegenheit feierlicher Disputationen eröffnet, steht nun
den ganzen Tag und die ganze Nacht offen. Von seinen beiden kleinen Galerien,
bestimmt um Damen bei obgenannten feierlichen Gelegenheiten den Ueberblick des
Festes zu gewähren, flattern eilf große Fahnen, schwarz - roth-gold, roth-weiß-
grün, blau-roth-weiß, roth-weiß, die Geschenke der vielen Dankdcputativnen,
welche Bürger, Studenten, Forst- und Bergakademisten aus Ungarn, Kroatien und
Böhmen der Universität überbracht. Fragende, streitende, wühlende Gruppen
drängen sich durch alle Räume des Universitäsgebäudes hin und her, und zwar
nicht blos Studenten, zahlreiche Bürgeruniformen, Gardemützen durchschimmern die
Haufen, und selbst Handwerker und Bauern wogen mit hin und her. Der große,
europäisch bekannte Sezirsaal ist zur Wachstube eingerichtet. Blanke Musketen
stehen an den Wänden herum, aus harten Briefchen lagern die Wachtmüdm, aus


Grenzboten. II. Z/j

wißbegierige Jünglinge! — (Denn „Student" war in Wien ein Name, den eben
keine anzustrahlende Aureole umgab) o meine Herren, „in denen der Staat die
künstigen Leiter des Volkes, seine Beamten sieht, und die mit gutem Beispiele
in der Aufrechterhaltung der guten Herkömmlichkeit vorangehen sollen!" wie weit
habt Ihr Euch dnrch das Irrlicht verruchter Neuerungssucht in den Sumpf der
Empörung verleiten lassen? .... so hatte vielleicht ein tieferschütterter Kanzcb
redner am nächsten Sonntage zu der «x oMclo versammelten Studentenschaft ge¬
sprochen, und alle Minen der dienstfertigen Beredsamkeit losgelassen, um die
srciheitsverstockten Gemüther zu zerknirschen, so hätte er die Rede begonnen, mit
der er die Stimmführer vom 12. 13. 14. 15. März nach Kufstein, Spielbcrg
und Munkacs verabschiedet hätte, wenn uicht der Gott der Freiheit und des Rech¬
tes „Sieg!" aus ihre Fahnen schrieb! —

In der That, man glaubt seinen eigenen Augen kaum, wenn man heute
die Aula der Wiener Universität betritt, und man ist versucht sich alles Gedächt¬
niß abzusprechen, wenn man heute mit einem Wiener Studenten spricht!

Wo noch vor drei Monden die gebückten, gedächtnißbelastetcn Gestalten trui"
seliger Schulfüchse vor Beginn der Unterrichtsstunden einzeln sich einsenden,
und kaum ein lautes Wort zu sprechen wagten, und nach beendigtem Kvllegio
sich schulbekümmert wieder fortschlichen; wo noch vereinzelter die tollkühnen Ge-
stalten unzufriedener Renommisten, die es wagten ein leichtsinniges Käppchen statt
eines ehrsamen Filzcylindcrs auf dem Kopfe zu tragen, und statt der schraubenden
Kravate ein flatternd Tuch um deu Hals zu legen, etwa wie der Sonntag in
der Woche erschienen, da Wen nun weltbesorgende und Volksglück besprechende
Comitien die Räume; da währt das Tosen und Drängen von einer Mitternacht
bis zur andern, da besteigt ein Redner nach dem andern die Kanzel, von da aus
geht der Mißfall und der Beifall durch die ganze Residenz, durch die ganze Mo¬
narchie, da werden Klöster aufgehoben und Minister abgesetzt, und Gesetze berathen.

Die Aula, ein schöner, geräumiger, alterthümlicher Saal mit hohen Bogen¬
fenstern, sonst nur bei Gelegenheit feierlicher Disputationen eröffnet, steht nun
den ganzen Tag und die ganze Nacht offen. Von seinen beiden kleinen Galerien,
bestimmt um Damen bei obgenannten feierlichen Gelegenheiten den Ueberblick des
Festes zu gewähren, flattern eilf große Fahnen, schwarz - roth-gold, roth-weiß-
grün, blau-roth-weiß, roth-weiß, die Geschenke der vielen Dankdcputativnen,
welche Bürger, Studenten, Forst- und Bergakademisten aus Ungarn, Kroatien und
Böhmen der Universität überbracht. Fragende, streitende, wühlende Gruppen
drängen sich durch alle Räume des Universitäsgebäudes hin und her, und zwar
nicht blos Studenten, zahlreiche Bürgeruniformen, Gardemützen durchschimmern die
Haufen, und selbst Handwerker und Bauern wogen mit hin und her. Der große,
europäisch bekannte Sezirsaal ist zur Wachstube eingerichtet. Blanke Musketen
stehen an den Wänden herum, aus harten Briefchen lagern die Wachtmüdm, aus


Grenzboten. II. Z/j
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276473"/>
          <p xml:id="ID_923" prev="#ID_922"> wißbegierige Jünglinge! &#x2014; (Denn &#x201E;Student" war in Wien ein Name, den eben<lb/>
keine anzustrahlende Aureole umgab) o meine Herren, &#x201E;in denen der Staat die<lb/>
künstigen Leiter des Volkes, seine Beamten sieht, und die mit gutem Beispiele<lb/>
in der Aufrechterhaltung der guten Herkömmlichkeit vorangehen sollen!" wie weit<lb/>
habt Ihr Euch dnrch das Irrlicht verruchter Neuerungssucht in den Sumpf der<lb/>
Empörung verleiten lassen? .... so hatte vielleicht ein tieferschütterter Kanzcb<lb/>
redner am nächsten Sonntage zu der «x oMclo versammelten Studentenschaft ge¬<lb/>
sprochen, und alle Minen der dienstfertigen Beredsamkeit losgelassen, um die<lb/>
srciheitsverstockten Gemüther zu zerknirschen, so hätte er die Rede begonnen, mit<lb/>
der er die Stimmführer vom 12. 13. 14. 15. März nach Kufstein, Spielbcrg<lb/>
und Munkacs verabschiedet hätte, wenn uicht der Gott der Freiheit und des Rech¬<lb/>
tes &#x201E;Sieg!" aus ihre Fahnen schrieb! &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_924"> In der That, man glaubt seinen eigenen Augen kaum, wenn man heute<lb/>
die Aula der Wiener Universität betritt, und man ist versucht sich alles Gedächt¬<lb/>
niß abzusprechen, wenn man heute mit einem Wiener Studenten spricht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925"> Wo noch vor drei Monden die gebückten, gedächtnißbelastetcn Gestalten trui"<lb/>
seliger Schulfüchse vor Beginn der Unterrichtsstunden einzeln sich einsenden,<lb/>
und kaum ein lautes Wort zu sprechen wagten, und nach beendigtem Kvllegio<lb/>
sich schulbekümmert wieder fortschlichen; wo noch vereinzelter die tollkühnen Ge-<lb/>
stalten unzufriedener Renommisten, die es wagten ein leichtsinniges Käppchen statt<lb/>
eines ehrsamen Filzcylindcrs auf dem Kopfe zu tragen, und statt der schraubenden<lb/>
Kravate ein flatternd Tuch um deu Hals zu legen, etwa wie der Sonntag in<lb/>
der Woche erschienen, da Wen nun weltbesorgende und Volksglück besprechende<lb/>
Comitien die Räume; da währt das Tosen und Drängen von einer Mitternacht<lb/>
bis zur andern, da besteigt ein Redner nach dem andern die Kanzel, von da aus<lb/>
geht der Mißfall und der Beifall durch die ganze Residenz, durch die ganze Mo¬<lb/>
narchie, da werden Klöster aufgehoben und Minister abgesetzt, und Gesetze berathen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_926" next="#ID_927"> Die Aula, ein schöner, geräumiger, alterthümlicher Saal mit hohen Bogen¬<lb/>
fenstern, sonst nur bei Gelegenheit feierlicher Disputationen eröffnet, steht nun<lb/>
den ganzen Tag und die ganze Nacht offen. Von seinen beiden kleinen Galerien,<lb/>
bestimmt um Damen bei obgenannten feierlichen Gelegenheiten den Ueberblick des<lb/>
Festes zu gewähren, flattern eilf große Fahnen, schwarz - roth-gold, roth-weiß-<lb/>
grün, blau-roth-weiß, roth-weiß, die Geschenke der vielen Dankdcputativnen,<lb/>
welche Bürger, Studenten, Forst- und Bergakademisten aus Ungarn, Kroatien und<lb/>
Böhmen der Universität überbracht. Fragende, streitende, wühlende Gruppen<lb/>
drängen sich durch alle Räume des Universitäsgebäudes hin und her, und zwar<lb/>
nicht blos Studenten, zahlreiche Bürgeruniformen, Gardemützen durchschimmern die<lb/>
Haufen, und selbst Handwerker und Bauern wogen mit hin und her. Der große,<lb/>
europäisch bekannte Sezirsaal ist zur Wachstube eingerichtet. Blanke Musketen<lb/>
stehen an den Wänden herum, aus harten Briefchen lagern die Wachtmüdm, aus</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. II. Z/j</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] wißbegierige Jünglinge! — (Denn „Student" war in Wien ein Name, den eben keine anzustrahlende Aureole umgab) o meine Herren, „in denen der Staat die künstigen Leiter des Volkes, seine Beamten sieht, und die mit gutem Beispiele in der Aufrechterhaltung der guten Herkömmlichkeit vorangehen sollen!" wie weit habt Ihr Euch dnrch das Irrlicht verruchter Neuerungssucht in den Sumpf der Empörung verleiten lassen? .... so hatte vielleicht ein tieferschütterter Kanzcb redner am nächsten Sonntage zu der «x oMclo versammelten Studentenschaft ge¬ sprochen, und alle Minen der dienstfertigen Beredsamkeit losgelassen, um die srciheitsverstockten Gemüther zu zerknirschen, so hätte er die Rede begonnen, mit der er die Stimmführer vom 12. 13. 14. 15. März nach Kufstein, Spielbcrg und Munkacs verabschiedet hätte, wenn uicht der Gott der Freiheit und des Rech¬ tes „Sieg!" aus ihre Fahnen schrieb! — In der That, man glaubt seinen eigenen Augen kaum, wenn man heute die Aula der Wiener Universität betritt, und man ist versucht sich alles Gedächt¬ niß abzusprechen, wenn man heute mit einem Wiener Studenten spricht! Wo noch vor drei Monden die gebückten, gedächtnißbelastetcn Gestalten trui" seliger Schulfüchse vor Beginn der Unterrichtsstunden einzeln sich einsenden, und kaum ein lautes Wort zu sprechen wagten, und nach beendigtem Kvllegio sich schulbekümmert wieder fortschlichen; wo noch vereinzelter die tollkühnen Ge- stalten unzufriedener Renommisten, die es wagten ein leichtsinniges Käppchen statt eines ehrsamen Filzcylindcrs auf dem Kopfe zu tragen, und statt der schraubenden Kravate ein flatternd Tuch um deu Hals zu legen, etwa wie der Sonntag in der Woche erschienen, da Wen nun weltbesorgende und Volksglück besprechende Comitien die Räume; da währt das Tosen und Drängen von einer Mitternacht bis zur andern, da besteigt ein Redner nach dem andern die Kanzel, von da aus geht der Mißfall und der Beifall durch die ganze Residenz, durch die ganze Mo¬ narchie, da werden Klöster aufgehoben und Minister abgesetzt, und Gesetze berathen. Die Aula, ein schöner, geräumiger, alterthümlicher Saal mit hohen Bogen¬ fenstern, sonst nur bei Gelegenheit feierlicher Disputationen eröffnet, steht nun den ganzen Tag und die ganze Nacht offen. Von seinen beiden kleinen Galerien, bestimmt um Damen bei obgenannten feierlichen Gelegenheiten den Ueberblick des Festes zu gewähren, flattern eilf große Fahnen, schwarz - roth-gold, roth-weiß- grün, blau-roth-weiß, roth-weiß, die Geschenke der vielen Dankdcputativnen, welche Bürger, Studenten, Forst- und Bergakademisten aus Ungarn, Kroatien und Böhmen der Universität überbracht. Fragende, streitende, wühlende Gruppen drängen sich durch alle Räume des Universitäsgebäudes hin und her, und zwar nicht blos Studenten, zahlreiche Bürgeruniformen, Gardemützen durchschimmern die Haufen, und selbst Handwerker und Bauern wogen mit hin und her. Der große, europäisch bekannte Sezirsaal ist zur Wachstube eingerichtet. Blanke Musketen stehen an den Wänden herum, aus harten Briefchen lagern die Wachtmüdm, aus Grenzboten. II. Z/j

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/267>, abgerufen am 26.06.2024.