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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Die Aula und die Wiener Studenten.



Die Scmestralprüfuugen für das erste Semester des glorreichen Schuljahres
1847---48 waren angekündigt, einige hatten schon begonnen, und, theils wohl
vorbereitet, weil fürchtend die über das Glück einer ganzen Zukunft entscheidende
Fortgangsklasse aus der Feder irgend eines ergrimmten Professors, theils in edler,
stolzer, verachtender Unvorbereitetheit und Unwissenheit, betraten die Jünger der
rinn mater Vinllolxm"""!" die E^aminirsülc. Die Zahl derer aber, die die
Geschichte lieber aus den lebensvollen Daguerreotypbilderu der Gegenwart als ans
dem abgegriffenem Schnlbuche, und die das große goldne Naturrecht lieber ans
den Freiheitsrufen der Volker als aus den bestaubten Heften (A-u-i^lui studiren
wollten, mußte doch die bei weitem überwiegendere gewesen sein, als jene der
sogenannten "Büffler," und zu ihrem nicht geringen Erstaunen sahen sich die
Herrn Examinatoren diesmal in der ungewöhnlich traurigen Lage, gar viele als
tvntsmm" sllbterluAientv", d. i. zu deutsch Zopfflüchtige zu notiren. Mittler¬
weile aber saß der große Hause dieser Zopfflüchtigen in kleine Häuflein zertheilt,
die eines von dem andern nichts wußten, in gar heimlichen Stuben beisammen,
die das ehrwürdige graue System mit dem abhorrescirenden Namen "Kneipen"
oder Mördergruben belegte, und las die Evangelien Börne's und die Verkün¬
digungen der allgemeinen Zeitung, das Journal des Debats, den Nürnberger
Korrespondenten u. s. w., und sang die Psalmen Arndt's, und riefen eines schonen
Märzabends aus: "Wir machen Heuer keine Prüfung! Heuer wollen wir selbst
prüfen!" In gottvergessenen Bierstuben, auf uugeränmigen und ganz unparqnettirten
Künstler- und Studentenkammern wurde das Heil berathen, das der Welt geboren
werden sollte, und eines -schönen Sonntagsmorgens, als der Herr Prediger der
Universitätskirche seine sehr salbungsreiche Predigt, in der er auch der neuen
Zeitregungen Erwähnung zu thun und dieselben ganz consistorialiter darzustellen
gesonnen gewesen sein mag, eben halten wollte, sah er zu seinem nicht geringen
Erstaunen die Hallen der Kirche leer und die Hallen der Aula um so voller,
und das Freiheitskündende Wort vom Munde eines langhaarige" und nackthalfigen
Studiosus mit donnerndem Jubel und glühender Glaubensseligkeit aufgenommen.

O Aula? hohe, schöngemalte, ehrwürdige Aula, wozu bist du geworden! O


Die Aula und die Wiener Studenten.



Die Scmestralprüfuugen für das erste Semester des glorreichen Schuljahres
1847—-48 waren angekündigt, einige hatten schon begonnen, und, theils wohl
vorbereitet, weil fürchtend die über das Glück einer ganzen Zukunft entscheidende
Fortgangsklasse aus der Feder irgend eines ergrimmten Professors, theils in edler,
stolzer, verachtender Unvorbereitetheit und Unwissenheit, betraten die Jünger der
rinn mater Vinllolxm«»«!« die E^aminirsülc. Die Zahl derer aber, die die
Geschichte lieber aus den lebensvollen Daguerreotypbilderu der Gegenwart als ans
dem abgegriffenem Schnlbuche, und die das große goldne Naturrecht lieber ans
den Freiheitsrufen der Volker als aus den bestaubten Heften (A-u-i^lui studiren
wollten, mußte doch die bei weitem überwiegendere gewesen sein, als jene der
sogenannten „Büffler," und zu ihrem nicht geringen Erstaunen sahen sich die
Herrn Examinatoren diesmal in der ungewöhnlich traurigen Lage, gar viele als
tvntsmm» sllbterluAientv», d. i. zu deutsch Zopfflüchtige zu notiren. Mittler¬
weile aber saß der große Hause dieser Zopfflüchtigen in kleine Häuflein zertheilt,
die eines von dem andern nichts wußten, in gar heimlichen Stuben beisammen,
die das ehrwürdige graue System mit dem abhorrescirenden Namen „Kneipen"
oder Mördergruben belegte, und las die Evangelien Börne's und die Verkün¬
digungen der allgemeinen Zeitung, das Journal des Debats, den Nürnberger
Korrespondenten u. s. w., und sang die Psalmen Arndt's, und riefen eines schonen
Märzabends aus: „Wir machen Heuer keine Prüfung! Heuer wollen wir selbst
prüfen!" In gottvergessenen Bierstuben, auf uugeränmigen und ganz unparqnettirten
Künstler- und Studentenkammern wurde das Heil berathen, das der Welt geboren
werden sollte, und eines -schönen Sonntagsmorgens, als der Herr Prediger der
Universitätskirche seine sehr salbungsreiche Predigt, in der er auch der neuen
Zeitregungen Erwähnung zu thun und dieselben ganz consistorialiter darzustellen
gesonnen gewesen sein mag, eben halten wollte, sah er zu seinem nicht geringen
Erstaunen die Hallen der Kirche leer und die Hallen der Aula um so voller,
und das Freiheitskündende Wort vom Munde eines langhaarige» und nackthalfigen
Studiosus mit donnerndem Jubel und glühender Glaubensseligkeit aufgenommen.

O Aula? hohe, schöngemalte, ehrwürdige Aula, wozu bist du geworden! O


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[0266] Die Aula und die Wiener Studenten. Die Scmestralprüfuugen für das erste Semester des glorreichen Schuljahres 1847—-48 waren angekündigt, einige hatten schon begonnen, und, theils wohl vorbereitet, weil fürchtend die über das Glück einer ganzen Zukunft entscheidende Fortgangsklasse aus der Feder irgend eines ergrimmten Professors, theils in edler, stolzer, verachtender Unvorbereitetheit und Unwissenheit, betraten die Jünger der rinn mater Vinllolxm«»«!« die E^aminirsülc. Die Zahl derer aber, die die Geschichte lieber aus den lebensvollen Daguerreotypbilderu der Gegenwart als ans dem abgegriffenem Schnlbuche, und die das große goldne Naturrecht lieber ans den Freiheitsrufen der Volker als aus den bestaubten Heften (A-u-i^lui studiren wollten, mußte doch die bei weitem überwiegendere gewesen sein, als jene der sogenannten „Büffler," und zu ihrem nicht geringen Erstaunen sahen sich die Herrn Examinatoren diesmal in der ungewöhnlich traurigen Lage, gar viele als tvntsmm» sllbterluAientv», d. i. zu deutsch Zopfflüchtige zu notiren. Mittler¬ weile aber saß der große Hause dieser Zopfflüchtigen in kleine Häuflein zertheilt, die eines von dem andern nichts wußten, in gar heimlichen Stuben beisammen, die das ehrwürdige graue System mit dem abhorrescirenden Namen „Kneipen" oder Mördergruben belegte, und las die Evangelien Börne's und die Verkün¬ digungen der allgemeinen Zeitung, das Journal des Debats, den Nürnberger Korrespondenten u. s. w., und sang die Psalmen Arndt's, und riefen eines schonen Märzabends aus: „Wir machen Heuer keine Prüfung! Heuer wollen wir selbst prüfen!" In gottvergessenen Bierstuben, auf uugeränmigen und ganz unparqnettirten Künstler- und Studentenkammern wurde das Heil berathen, das der Welt geboren werden sollte, und eines -schönen Sonntagsmorgens, als der Herr Prediger der Universitätskirche seine sehr salbungsreiche Predigt, in der er auch der neuen Zeitregungen Erwähnung zu thun und dieselben ganz consistorialiter darzustellen gesonnen gewesen sein mag, eben halten wollte, sah er zu seinem nicht geringen Erstaunen die Hallen der Kirche leer und die Hallen der Aula um so voller, und das Freiheitskündende Wort vom Munde eines langhaarige» und nackthalfigen Studiosus mit donnerndem Jubel und glühender Glaubensseligkeit aufgenommen. O Aula? hohe, schöngemalte, ehrwürdige Aula, wozu bist du geworden! O

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/266>, abgerufen am 26.06.2024.