Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bedeutenden Rolle berufen sein sollte. Wie bedeutend namentlich sein Rednertalen t
ist, habe ich hier erst kennen gelernt, da er in Leipzig, weil er sein Publikum
kannte, stets in dem Schwulst des Leipziger Spießbürgerthums sich erging. In
Frankfurt sprach er ganz anders, und doch mit solcher Wirkung, daß sobald er auf¬
tritt, das gesammte Auditorium in ein erwartungsvolles Murmeln ausbricht.

Ich muß gestehen, daß ich trotz seines Talents und seines redlichen Willens
seinen Rath doch für gefährlich halte. Sein politischer Gesichtskreis ist zu einge¬
schränkt; er hat von Preußen, er hat von Oestreich keinen Begriff, obgleich er
dem ersten Staat durch seine Geburt angehört. Wenn viele Männer von Blum's
Ansicht sich in dem Reichsparlament zusammenfinden, so ist die nächste Folge der
Bürgerkrieg, oder die Trennung Preußens von den deutschen Bundesstaaten.

Zu seinen entschiedenen Anhängern gehören drei Preußen, ol. Jacoby aus
Königsberg, Simon aus Breslau und Raveaux aus Köln. Die beiden ersten
haben in der Geschichte der Befreiung Deutschlands einen guten Namen, der erste
durch seine "Vier Fragen" 1840, der zweite durch sein "Annehmen oder
Ablehnen" 1847. Jacoby ist ein kleiner Mann von höchst anspruchlosen, de¬
mokratischen Aussehen, Simon ein langer, etwas steifer Herr, dem die Juris¬
prudenz an die Stirn geschrieben steht, beide sprechen sehr wenig und so kurz als
möglich, stimmen aber stets in radikalen Sinne.

Namentlich gegen Jacoby habe ich eine große Pietät. Er ist mein Lands¬
mann und hat für die Erweckung der Provinz Preußen die größten Verdienste.
Seine ganz über den Charakter unserer Zeit hinausgehende Einfachheit und Ehr¬
lichkeit hat ihm die Achtung aller seiner Mitbürger erworben. Möge er nur nicht
vergessen, daß wir nicht mehr im Jahre 1840, nicht mehr 1847 leben; daß die
Zeit der abstracten Polemik gegen Despotismus vorüber ist, daß es jetzt darauf
ankommt zu produciren, zu schaffen, daß man mit einem bloßen Mißtrauensaus¬
schuß Deutschland nicht regeneriren wird. Es ist eine Zeit fliegenden Forteilens;
wer einen Augenblick stehen bleibt, ist bald vergessen.

Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses finde ich nur noch zwei aus¬
zuzeichnen, Professor Biedermann aus Leipzig und Advokat Heckscher aus
Hamburg.

Biedermann ist seinem ganzen Wesen nach das Gegentheil von Blum; er ge¬
hört der aristokratischen Bourgeoisie an und ist doctrinär. Es ist zu beklagen,
daß diese beiden an sich höchst ehrenwerthen Männer in der letzten Zeit hart an
einander gerathen sind, in ihren politischen Gesinnungen sind sie nicht so sehr ver¬
schieden; beide überschätzen die Macht und Bedeutung der -- bis jetzt noch nicht
bestehenden Centralgewalt Deutschlands, beide sind patriotische Sachsen, beide
Feinde Preußens, beide wollen eine demokratische Grundlage der Verfassung. Das
Glaubensbekenntniß Biedermann's hätte Blum -- mit Ausnahme eines Ausfalls
gegen die Blum'sche Partei -- bequem mit unterschreiben können.


bedeutenden Rolle berufen sein sollte. Wie bedeutend namentlich sein Rednertalen t
ist, habe ich hier erst kennen gelernt, da er in Leipzig, weil er sein Publikum
kannte, stets in dem Schwulst des Leipziger Spießbürgerthums sich erging. In
Frankfurt sprach er ganz anders, und doch mit solcher Wirkung, daß sobald er auf¬
tritt, das gesammte Auditorium in ein erwartungsvolles Murmeln ausbricht.

Ich muß gestehen, daß ich trotz seines Talents und seines redlichen Willens
seinen Rath doch für gefährlich halte. Sein politischer Gesichtskreis ist zu einge¬
schränkt; er hat von Preußen, er hat von Oestreich keinen Begriff, obgleich er
dem ersten Staat durch seine Geburt angehört. Wenn viele Männer von Blum's
Ansicht sich in dem Reichsparlament zusammenfinden, so ist die nächste Folge der
Bürgerkrieg, oder die Trennung Preußens von den deutschen Bundesstaaten.

Zu seinen entschiedenen Anhängern gehören drei Preußen, ol. Jacoby aus
Königsberg, Simon aus Breslau und Raveaux aus Köln. Die beiden ersten
haben in der Geschichte der Befreiung Deutschlands einen guten Namen, der erste
durch seine „Vier Fragen" 1840, der zweite durch sein „Annehmen oder
Ablehnen" 1847. Jacoby ist ein kleiner Mann von höchst anspruchlosen, de¬
mokratischen Aussehen, Simon ein langer, etwas steifer Herr, dem die Juris¬
prudenz an die Stirn geschrieben steht, beide sprechen sehr wenig und so kurz als
möglich, stimmen aber stets in radikalen Sinne.

Namentlich gegen Jacoby habe ich eine große Pietät. Er ist mein Lands¬
mann und hat für die Erweckung der Provinz Preußen die größten Verdienste.
Seine ganz über den Charakter unserer Zeit hinausgehende Einfachheit und Ehr¬
lichkeit hat ihm die Achtung aller seiner Mitbürger erworben. Möge er nur nicht
vergessen, daß wir nicht mehr im Jahre 1840, nicht mehr 1847 leben; daß die
Zeit der abstracten Polemik gegen Despotismus vorüber ist, daß es jetzt darauf
ankommt zu produciren, zu schaffen, daß man mit einem bloßen Mißtrauensaus¬
schuß Deutschland nicht regeneriren wird. Es ist eine Zeit fliegenden Forteilens;
wer einen Augenblick stehen bleibt, ist bald vergessen.

Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses finde ich nur noch zwei aus¬
zuzeichnen, Professor Biedermann aus Leipzig und Advokat Heckscher aus
Hamburg.

Biedermann ist seinem ganzen Wesen nach das Gegentheil von Blum; er ge¬
hört der aristokratischen Bourgeoisie an und ist doctrinär. Es ist zu beklagen,
daß diese beiden an sich höchst ehrenwerthen Männer in der letzten Zeit hart an
einander gerathen sind, in ihren politischen Gesinnungen sind sie nicht so sehr ver¬
schieden; beide überschätzen die Macht und Bedeutung der — bis jetzt noch nicht
bestehenden Centralgewalt Deutschlands, beide sind patriotische Sachsen, beide
Feinde Preußens, beide wollen eine demokratische Grundlage der Verfassung. Das
Glaubensbekenntniß Biedermann's hätte Blum — mit Ausnahme eines Ausfalls
gegen die Blum'sche Partei — bequem mit unterschreiben können.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276470"/>
            <p xml:id="ID_913" prev="#ID_912"> bedeutenden Rolle berufen sein sollte. Wie bedeutend namentlich sein Rednertalen t<lb/>
ist, habe ich hier erst kennen gelernt, da er in Leipzig, weil er sein Publikum<lb/>
kannte, stets in dem Schwulst des Leipziger Spießbürgerthums sich erging. In<lb/>
Frankfurt sprach er ganz anders, und doch mit solcher Wirkung, daß sobald er auf¬<lb/>
tritt, das gesammte Auditorium in ein erwartungsvolles Murmeln ausbricht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_914"> Ich muß gestehen, daß ich trotz seines Talents und seines redlichen Willens<lb/>
seinen Rath doch für gefährlich halte. Sein politischer Gesichtskreis ist zu einge¬<lb/>
schränkt; er hat von Preußen, er hat von Oestreich keinen Begriff, obgleich er<lb/>
dem ersten Staat durch seine Geburt angehört. Wenn viele Männer von Blum's<lb/>
Ansicht sich in dem Reichsparlament zusammenfinden, so ist die nächste Folge der<lb/>
Bürgerkrieg, oder die Trennung Preußens von den deutschen Bundesstaaten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_915"> Zu seinen entschiedenen Anhängern gehören drei Preußen, ol. Jacoby aus<lb/>
Königsberg, Simon aus Breslau und Raveaux aus Köln. Die beiden ersten<lb/>
haben in der Geschichte der Befreiung Deutschlands einen guten Namen, der erste<lb/>
durch seine &#x201E;Vier Fragen" 1840, der zweite durch sein &#x201E;Annehmen oder<lb/>
Ablehnen" 1847. Jacoby ist ein kleiner Mann von höchst anspruchlosen, de¬<lb/>
mokratischen Aussehen, Simon ein langer, etwas steifer Herr, dem die Juris¬<lb/>
prudenz an die Stirn geschrieben steht, beide sprechen sehr wenig und so kurz als<lb/>
möglich, stimmen aber stets in radikalen Sinne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_916"> Namentlich gegen Jacoby habe ich eine große Pietät. Er ist mein Lands¬<lb/>
mann und hat für die Erweckung der Provinz Preußen die größten Verdienste.<lb/>
Seine ganz über den Charakter unserer Zeit hinausgehende Einfachheit und Ehr¬<lb/>
lichkeit hat ihm die Achtung aller seiner Mitbürger erworben. Möge er nur nicht<lb/>
vergessen, daß wir nicht mehr im Jahre 1840, nicht mehr 1847 leben; daß die<lb/>
Zeit der abstracten Polemik gegen Despotismus vorüber ist, daß es jetzt darauf<lb/>
ankommt zu produciren, zu schaffen, daß man mit einem bloßen Mißtrauensaus¬<lb/>
schuß Deutschland nicht regeneriren wird. Es ist eine Zeit fliegenden Forteilens;<lb/>
wer einen Augenblick stehen bleibt, ist bald vergessen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_917"> Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses finde ich nur noch zwei aus¬<lb/>
zuzeichnen, Professor Biedermann aus Leipzig und Advokat Heckscher aus<lb/>
Hamburg.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_918"> Biedermann ist seinem ganzen Wesen nach das Gegentheil von Blum; er ge¬<lb/>
hört der aristokratischen Bourgeoisie an und ist doctrinär. Es ist zu beklagen,<lb/>
daß diese beiden an sich höchst ehrenwerthen Männer in der letzten Zeit hart an<lb/>
einander gerathen sind, in ihren politischen Gesinnungen sind sie nicht so sehr ver¬<lb/>
schieden; beide überschätzen die Macht und Bedeutung der &#x2014; bis jetzt noch nicht<lb/>
bestehenden Centralgewalt Deutschlands, beide sind patriotische Sachsen, beide<lb/>
Feinde Preußens, beide wollen eine demokratische Grundlage der Verfassung. Das<lb/>
Glaubensbekenntniß Biedermann's hätte Blum &#x2014; mit Ausnahme eines Ausfalls<lb/>
gegen die Blum'sche Partei &#x2014; bequem mit unterschreiben können.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] bedeutenden Rolle berufen sein sollte. Wie bedeutend namentlich sein Rednertalen t ist, habe ich hier erst kennen gelernt, da er in Leipzig, weil er sein Publikum kannte, stets in dem Schwulst des Leipziger Spießbürgerthums sich erging. In Frankfurt sprach er ganz anders, und doch mit solcher Wirkung, daß sobald er auf¬ tritt, das gesammte Auditorium in ein erwartungsvolles Murmeln ausbricht. Ich muß gestehen, daß ich trotz seines Talents und seines redlichen Willens seinen Rath doch für gefährlich halte. Sein politischer Gesichtskreis ist zu einge¬ schränkt; er hat von Preußen, er hat von Oestreich keinen Begriff, obgleich er dem ersten Staat durch seine Geburt angehört. Wenn viele Männer von Blum's Ansicht sich in dem Reichsparlament zusammenfinden, so ist die nächste Folge der Bürgerkrieg, oder die Trennung Preußens von den deutschen Bundesstaaten. Zu seinen entschiedenen Anhängern gehören drei Preußen, ol. Jacoby aus Königsberg, Simon aus Breslau und Raveaux aus Köln. Die beiden ersten haben in der Geschichte der Befreiung Deutschlands einen guten Namen, der erste durch seine „Vier Fragen" 1840, der zweite durch sein „Annehmen oder Ablehnen" 1847. Jacoby ist ein kleiner Mann von höchst anspruchlosen, de¬ mokratischen Aussehen, Simon ein langer, etwas steifer Herr, dem die Juris¬ prudenz an die Stirn geschrieben steht, beide sprechen sehr wenig und so kurz als möglich, stimmen aber stets in radikalen Sinne. Namentlich gegen Jacoby habe ich eine große Pietät. Er ist mein Lands¬ mann und hat für die Erweckung der Provinz Preußen die größten Verdienste. Seine ganz über den Charakter unserer Zeit hinausgehende Einfachheit und Ehr¬ lichkeit hat ihm die Achtung aller seiner Mitbürger erworben. Möge er nur nicht vergessen, daß wir nicht mehr im Jahre 1840, nicht mehr 1847 leben; daß die Zeit der abstracten Polemik gegen Despotismus vorüber ist, daß es jetzt darauf ankommt zu produciren, zu schaffen, daß man mit einem bloßen Mißtrauensaus¬ schuß Deutschland nicht regeneriren wird. Es ist eine Zeit fliegenden Forteilens; wer einen Augenblick stehen bleibt, ist bald vergessen. Von den übrigen Mitgliedern des Ausschusses finde ich nur noch zwei aus¬ zuzeichnen, Professor Biedermann aus Leipzig und Advokat Heckscher aus Hamburg. Biedermann ist seinem ganzen Wesen nach das Gegentheil von Blum; er ge¬ hört der aristokratischen Bourgeoisie an und ist doctrinär. Es ist zu beklagen, daß diese beiden an sich höchst ehrenwerthen Männer in der letzten Zeit hart an einander gerathen sind, in ihren politischen Gesinnungen sind sie nicht so sehr ver¬ schieden; beide überschätzen die Macht und Bedeutung der — bis jetzt noch nicht bestehenden Centralgewalt Deutschlands, beide sind patriotische Sachsen, beide Feinde Preußens, beide wollen eine demokratische Grundlage der Verfassung. Das Glaubensbekenntniß Biedermann's hätte Blum — mit Ausnahme eines Ausfalls gegen die Blum'sche Partei — bequem mit unterschreiben können.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/264>, abgerufen am 26.06.2024.