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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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den Matthy die Republikaner zum Aeußersten trieb - die Verhaftung Fickler's
zum Heile Deutschlands ausschlcigeu wird, muß die Zukunft lehren; bis jetzt, so
lange Fickler's Proceß in der Unklarheit bleibt, in der wir ihn jetzt finden, kann
man sich noch nicht einmal über die sittliche Berechtigung jener Handlung entschei¬
den. Jedenfalls müssen wir gerade in Baden die Schritte der konservativen Partei
mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen, denn wenn ich auch den Häuptern der
jetzt herrschenden Partei die ehrenwcrtheste Gesinnung und die redlichsten Absichten
gern zugestehen will, so führen doch die Konsequenzen einer Opposition gegen die
Radicalen wider Willen oft weiter, als es der guten Sache zuträglich ist. Die
Maßregeln gegen die Presse und das Associationsrecht sind, wie sehr sie auch durch
die unmittelbare Nothwendigkeit bedingt sein mögen, zum wenigsten bedenklich.

Unter den übrigen Anhängern der conservativen Partei fielen mir zwei Män¬
ner durch ihre scharfe markirte Persönlichkeit auf, Pastor Jürgens aus Braun-
schweig und Professor Mack aus Würtemberg. Beide sprachen grundsätzlich sehr
wenig mit, aber sie trafen sehr oft nach ebenso langer als unfruchtbarer Debatte
das Wesentliche. So ähnlich sich beide in mancher Beziehung sind, so prägt sich
doch der Gegensatz des norddeutschen Gedanken- und des süddeutsche" Phantasie¬
lebens bestimmt genug in ihnen aus. -- Der offenste und entschiedenste Vertreter
der conservativen Ansichten, der aber mehr eine ablehnende Stellung einnahm,
als daß er sich an die Spitze der Partei zu stellen gesucht hätte, war der Advokat
Ruder ans Oldenburg. Als Norddeutscher interessirte er mich mehr als die ba-
denser Konservativen, die für unsere Zustände doch immer keinen Sinn, wenigstens
keine Liebe haben.

Eine ganze Classe von Abgeordneten möchte ich uuter dem Namen der "Gut¬
gesinnten" oder der "Wohlwollenden" zusammenfassen, die in dem glücklichem Ge¬
fühl des allgemeinen Enthusiasmus für Freiheit und Vaterland den Sinn für
die Schwierigkeiten im Detail nicht übertrieben ausgebildet haben. Sie unter¬
scheiden sich von jener ersten Gruppe schon durch ihr äußeres Ansehe"; sie haben
etwas Jnngdeutsches, Chevalcreskes, französisch Liebenswürdiges, während jene
den bürgerlichen Anstrich der alten deutschen Zeit festhalten. Sie haben auch eine
specielle Vorliebe für Polen, wie es der chevaleresken Anschauung ziemt. Herr
Venedey und Schuselka sind die Typen dieser Gruppe; ich möchte uoch den
rheinpreußischen Deputirten Stedtmann dazu rechnen, dessen politische Gemüth¬
lichkeit einen gelinden Anstrich von Sentimentalität nicht verläugnet; deu Holsteiner
Abgeordneten Güllich, dessen Reden so von Rosen, Lilien, Freiheit und deutscher
Manneswürde überfließen, daß mau sich in einen Leipziger vaterländischen Verein
versetzt glaubt, in die Gefilde des Knoblauch duftigen Rosenthals; endlich den
alten würdigen Eisenmann, der trotz seines grauen Bartes in seinem Sammt-
röckchen und seiner hastigen Geschäftigkeit in seinem Wesen wie in seinen Ansichten


den Matthy die Republikaner zum Aeußersten trieb - die Verhaftung Fickler's
zum Heile Deutschlands ausschlcigeu wird, muß die Zukunft lehren; bis jetzt, so
lange Fickler's Proceß in der Unklarheit bleibt, in der wir ihn jetzt finden, kann
man sich noch nicht einmal über die sittliche Berechtigung jener Handlung entschei¬
den. Jedenfalls müssen wir gerade in Baden die Schritte der konservativen Partei
mit der größten Aufmerksamkeit verfolgen, denn wenn ich auch den Häuptern der
jetzt herrschenden Partei die ehrenwcrtheste Gesinnung und die redlichsten Absichten
gern zugestehen will, so führen doch die Konsequenzen einer Opposition gegen die
Radicalen wider Willen oft weiter, als es der guten Sache zuträglich ist. Die
Maßregeln gegen die Presse und das Associationsrecht sind, wie sehr sie auch durch
die unmittelbare Nothwendigkeit bedingt sein mögen, zum wenigsten bedenklich.

Unter den übrigen Anhängern der conservativen Partei fielen mir zwei Män¬
ner durch ihre scharfe markirte Persönlichkeit auf, Pastor Jürgens aus Braun-
schweig und Professor Mack aus Würtemberg. Beide sprachen grundsätzlich sehr
wenig mit, aber sie trafen sehr oft nach ebenso langer als unfruchtbarer Debatte
das Wesentliche. So ähnlich sich beide in mancher Beziehung sind, so prägt sich
doch der Gegensatz des norddeutschen Gedanken- und des süddeutsche» Phantasie¬
lebens bestimmt genug in ihnen aus. — Der offenste und entschiedenste Vertreter
der conservativen Ansichten, der aber mehr eine ablehnende Stellung einnahm,
als daß er sich an die Spitze der Partei zu stellen gesucht hätte, war der Advokat
Ruder ans Oldenburg. Als Norddeutscher interessirte er mich mehr als die ba-
denser Konservativen, die für unsere Zustände doch immer keinen Sinn, wenigstens
keine Liebe haben.

Eine ganze Classe von Abgeordneten möchte ich uuter dem Namen der „Gut¬
gesinnten" oder der „Wohlwollenden" zusammenfassen, die in dem glücklichem Ge¬
fühl des allgemeinen Enthusiasmus für Freiheit und Vaterland den Sinn für
die Schwierigkeiten im Detail nicht übertrieben ausgebildet haben. Sie unter¬
scheiden sich von jener ersten Gruppe schon durch ihr äußeres Ansehe»; sie haben
etwas Jnngdeutsches, Chevalcreskes, französisch Liebenswürdiges, während jene
den bürgerlichen Anstrich der alten deutschen Zeit festhalten. Sie haben auch eine
specielle Vorliebe für Polen, wie es der chevaleresken Anschauung ziemt. Herr
Venedey und Schuselka sind die Typen dieser Gruppe; ich möchte uoch den
rheinpreußischen Deputirten Stedtmann dazu rechnen, dessen politische Gemüth¬
lichkeit einen gelinden Anstrich von Sentimentalität nicht verläugnet; deu Holsteiner
Abgeordneten Güllich, dessen Reden so von Rosen, Lilien, Freiheit und deutscher
Manneswürde überfließen, daß mau sich in einen Leipziger vaterländischen Verein
versetzt glaubt, in die Gefilde des Knoblauch duftigen Rosenthals; endlich den
alten würdigen Eisenmann, der trotz seines grauen Bartes in seinem Sammt-
röckchen und seiner hastigen Geschäftigkeit in seinem Wesen wie in seinen Ansichten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/262>, abgerufen am 26.06.2024.