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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Noch von Zeit zu Zeit ließen sich einzelne Hanauer in Frankfurt sehen; man
sah sie mit einer gewissen Scheu an, wie die Sturmvögel, die irgend ein Unheil
verkündeten. Der Eine von ihnen -- Theobald -- der schon früher an dema¬
gogischen Umtrieben betheiligt, sich längere Zeit im südlichen Frankreich ausgehalten
hatte, zeichnete sich durch eine geistvolle, oft kühne Auffassung der gegenwärtigen
Bewegung und durch eine originelle Darstellung aus. Die Hanauer Verhältnisse
habe^r überhaupt etwas durchaus Originelles, und wir werden vielleicht nächstens
Gelegenheit haben, eine Skizze derselben zu geben. --

Wenn die Hanauer Deputirten mit dem Ausschuß nicht gerade säuberlich
umgingen, so traten andere Deputationen mit um so größerer Verehrung auf.
So namentlich eine aus Hannover, die sich über die reactionären Umtriebe
ihrer Negierung beschwerte, und gegen das Unternehmen, ans die alten feuda¬
listischen Stände die neue Verfassung zu gründen, den Schutz des Ausschusses
in Anspruch nahmen. Ich weiß in der That nicht, was der Ausschuß darauf be¬
schlossen hat; wahrscheinlich hat er eine Commission niedergesetzt und eine Procla-
mation erlassen.

Von Posen waren zwei Deputationen anwesend, eine Polnische, bestehend
aus Dr. Riegolewski, dem Sohne des Deputirten in Berlin, eine Deutsche,
wovon der eine -- Director Kerse -- im Auftrage seiner Provinz einen
Sitz im Ausschuß in Anspruch nahm, wie man es auch den Oestreichern zu¬
gestanden .habe. Diesem Gesuch wurde nicht gewillfahrt, theils aus formellen
Gründen, theils weil man dann, um unparteiisch zu sein, sich genöthigt
sähe, auch Herrn v. Riegolewski einen Sitz anzuweisen. Ueberhaupt war der
Ausschuß in seiner Mehrzahl sehr für die Wiederherstellung des polnischen Reichs;
eS wurden sehr lange und tönende Declinationen darüber gehalten; Herr Reh
erinnerte daran, daß bereits König Sobieski durch die Entsetzung von Wien
Deutschland vor den Türken gerettet; Herr Schuselka erklärte die Idee, die deutschen
Kreise von Posen abzulösen, sür einen neuen Völkermord, eine vierte Theilung
Polens! Herr Robert Blum benutzte die Gelegenheit, die preußische Regierung als
den Ausdruck aller Perfidie, Gewissenlosigkeit und Tyrannei darzustellen, und man
war sehr geneigt, derselben die ernstlichsten Vorstellungen zu machen und die ge¬
messensten Befehle zu ertheilen, wenn man nur darüber hätte einig werden können,
was man befehlen wolle. Um unparteiisch richten zu können, wollte man eine
Deputaten nach Posen schicken, die Sache zu untersuchen; man kam davon zurück,
weil man sich daran erinnerte, daß vor Rückkehr derselben der Ausschuß in jedem
Fall aufgelöst sein würde. So kam man endlich zu dem einzigen vernünftigen
Einschluß, Nichts zu beschließen.

So leicht überhaupt der Beschluß wurde, wenn etwas ganz Allgemeines,
Heroisches und Wellgeschichtliches anzuordnen war, so dürstig wurde der Rath,
wenn über einen bestimmten Gegenstand, über ein Detail ein Rath ertheilt werden


Noch von Zeit zu Zeit ließen sich einzelne Hanauer in Frankfurt sehen; man
sah sie mit einer gewissen Scheu an, wie die Sturmvögel, die irgend ein Unheil
verkündeten. Der Eine von ihnen — Theobald — der schon früher an dema¬
gogischen Umtrieben betheiligt, sich längere Zeit im südlichen Frankreich ausgehalten
hatte, zeichnete sich durch eine geistvolle, oft kühne Auffassung der gegenwärtigen
Bewegung und durch eine originelle Darstellung aus. Die Hanauer Verhältnisse
habe^r überhaupt etwas durchaus Originelles, und wir werden vielleicht nächstens
Gelegenheit haben, eine Skizze derselben zu geben. —

Wenn die Hanauer Deputirten mit dem Ausschuß nicht gerade säuberlich
umgingen, so traten andere Deputationen mit um so größerer Verehrung auf.
So namentlich eine aus Hannover, die sich über die reactionären Umtriebe
ihrer Negierung beschwerte, und gegen das Unternehmen, ans die alten feuda¬
listischen Stände die neue Verfassung zu gründen, den Schutz des Ausschusses
in Anspruch nahmen. Ich weiß in der That nicht, was der Ausschuß darauf be¬
schlossen hat; wahrscheinlich hat er eine Commission niedergesetzt und eine Procla-
mation erlassen.

Von Posen waren zwei Deputationen anwesend, eine Polnische, bestehend
aus Dr. Riegolewski, dem Sohne des Deputirten in Berlin, eine Deutsche,
wovon der eine — Director Kerse — im Auftrage seiner Provinz einen
Sitz im Ausschuß in Anspruch nahm, wie man es auch den Oestreichern zu¬
gestanden .habe. Diesem Gesuch wurde nicht gewillfahrt, theils aus formellen
Gründen, theils weil man dann, um unparteiisch zu sein, sich genöthigt
sähe, auch Herrn v. Riegolewski einen Sitz anzuweisen. Ueberhaupt war der
Ausschuß in seiner Mehrzahl sehr für die Wiederherstellung des polnischen Reichs;
eS wurden sehr lange und tönende Declinationen darüber gehalten; Herr Reh
erinnerte daran, daß bereits König Sobieski durch die Entsetzung von Wien
Deutschland vor den Türken gerettet; Herr Schuselka erklärte die Idee, die deutschen
Kreise von Posen abzulösen, sür einen neuen Völkermord, eine vierte Theilung
Polens! Herr Robert Blum benutzte die Gelegenheit, die preußische Regierung als
den Ausdruck aller Perfidie, Gewissenlosigkeit und Tyrannei darzustellen, und man
war sehr geneigt, derselben die ernstlichsten Vorstellungen zu machen und die ge¬
messensten Befehle zu ertheilen, wenn man nur darüber hätte einig werden können,
was man befehlen wolle. Um unparteiisch richten zu können, wollte man eine
Deputaten nach Posen schicken, die Sache zu untersuchen; man kam davon zurück,
weil man sich daran erinnerte, daß vor Rückkehr derselben der Ausschuß in jedem
Fall aufgelöst sein würde. So kam man endlich zu dem einzigen vernünftigen
Einschluß, Nichts zu beschließen.

So leicht überhaupt der Beschluß wurde, wenn etwas ganz Allgemeines,
Heroisches und Wellgeschichtliches anzuordnen war, so dürstig wurde der Rath,
wenn über einen bestimmten Gegenstand, über ein Detail ein Rath ertheilt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/260>, abgerufen am 26.06.2024.