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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Freunden gehörte, von dene" Oestreich mit Recht hätte sagen können, Gott möge
es davor bewahren, stellte die Sache ungefähr so dar, als sei die einzige Ursache
des italienischen Aufstandes der Neid Venedigs ans Trieft gewesen. Ob dieses
Argument die Versammlung umstimmte, die vorher der italienischen Sache eben
so geneigt zu sein schien, als der polnischen, weiß ich nicht; jedenfalls hatte es,
als Herr Pagenstecher seinen Antrag zurückzog, den Anschein, als habe die feste
und entschiedene Haltung der Oestreicher die Freunde Italiens eingeschüchtert.
Statt jener Adresse an die Italiener wurde eine an die deutschen Tyroler erlassen,
sie in ihrem Kampfesmuth gegen die Welschen zu bestärken. "Wiederum steht
ihr anf Deutschlands herrlicher Felsenburg u. s. w." "Der Geist Hofer's schwebt
über euch u. s. w." Eine Proklamation mußte man schon abfassen, und so richtete
man denn eine gegen die Italiener, da man für dieselben nicht sprechen durste.

Ein anderes Beispiel von äußerlich mvtivirter Sinnesänderung der Fünfziger
gab die Hanauer Geschichte.

Diese wurde veranlaßt durch den Aufstand der Republikaner in Baden, ein
Aufstand, der die conservative Partei Badens in ihren unmittelbaren Interessen
und Gefühlen so verletzte, daß sie über diesen Punkt keinen Scherz verstand.
Die Badische Regierung hatte auf Betrieb der Stände die ernstesten Maßregeln
ergriffen, und da ihre einheimischen Hülfsmittel nicht ausreichten,
die Republikaner zu unterdrücken, so halte sie sich an den Bundestag
gewendet, und dieser hatte deu umliegenden Regierungen, der Hessischen, Nassauer
u. s. w. aufgegeben, ihre Truppen in Baden einmarschiren zu lassen.

Daß der Bundestag dieser Ansicht war, liegt in der Natur der Sache; daß
sie aber im Fünfziger-Ausschuß kein Bedenken erregte, wußte in Verwunderung
setzen. Die Intervention der außerbadischeu Truppen in einer Sache, die doch zu¬
nächst nur eine badische Verfassungsfrage zu sein schien, -- war sie nicht ein ge¬
fährliches Präcedenz? Wie, wenn bei der Bewegung in Leipzig in den ersten
Tagen des März, wie man damals fürchtete, eine preußische Intervention, mei¬
netwegen im Auftrage des Bundestages, die Frage mit äußerlichen Gründen er¬
ledigt hätte?

Ich will keineswegs behaupten, daß diese Ansicht stichhaltig wäre; jedenfalls
war sie ein wesentlicher Gesichtspunkt und mußte zur Sprache kommen. Die
radicale Partei hat sie nicht zur Sprache gebracht; sie hatte nicht den Muth dazu.
Im Gegentheil ließ sie es geschehen, daß Hecker bei dem Fall des General Ga¬
gern -- gegen die ausdrückliche Erklärung des offiziellen Badenser Berichterstat¬
ters -- als Meuchelmörder gebrandmarkt wurde.

In Folge der Aufforderung des Bundestages rückten nun die Hessen-Cassel-
schen Truppen nach ihrer südlichen Grenze hin. Dies setzte die Hanauer in Be-
sorgniß, die noch dazu in Erfahrung brachten, daß für die Verpflegung der Trup¬
pen in ihrer Provinz Lieferungscontracte auf länger als einen Monat hinaus ge-


Freunden gehörte, von dene» Oestreich mit Recht hätte sagen können, Gott möge
es davor bewahren, stellte die Sache ungefähr so dar, als sei die einzige Ursache
des italienischen Aufstandes der Neid Venedigs ans Trieft gewesen. Ob dieses
Argument die Versammlung umstimmte, die vorher der italienischen Sache eben
so geneigt zu sein schien, als der polnischen, weiß ich nicht; jedenfalls hatte es,
als Herr Pagenstecher seinen Antrag zurückzog, den Anschein, als habe die feste
und entschiedene Haltung der Oestreicher die Freunde Italiens eingeschüchtert.
Statt jener Adresse an die Italiener wurde eine an die deutschen Tyroler erlassen,
sie in ihrem Kampfesmuth gegen die Welschen zu bestärken. „Wiederum steht
ihr anf Deutschlands herrlicher Felsenburg u. s. w." „Der Geist Hofer's schwebt
über euch u. s. w." Eine Proklamation mußte man schon abfassen, und so richtete
man denn eine gegen die Italiener, da man für dieselben nicht sprechen durste.

Ein anderes Beispiel von äußerlich mvtivirter Sinnesänderung der Fünfziger
gab die Hanauer Geschichte.

Diese wurde veranlaßt durch den Aufstand der Republikaner in Baden, ein
Aufstand, der die conservative Partei Badens in ihren unmittelbaren Interessen
und Gefühlen so verletzte, daß sie über diesen Punkt keinen Scherz verstand.
Die Badische Regierung hatte auf Betrieb der Stände die ernstesten Maßregeln
ergriffen, und da ihre einheimischen Hülfsmittel nicht ausreichten,
die Republikaner zu unterdrücken, so halte sie sich an den Bundestag
gewendet, und dieser hatte deu umliegenden Regierungen, der Hessischen, Nassauer
u. s. w. aufgegeben, ihre Truppen in Baden einmarschiren zu lassen.

Daß der Bundestag dieser Ansicht war, liegt in der Natur der Sache; daß
sie aber im Fünfziger-Ausschuß kein Bedenken erregte, wußte in Verwunderung
setzen. Die Intervention der außerbadischeu Truppen in einer Sache, die doch zu¬
nächst nur eine badische Verfassungsfrage zu sein schien, — war sie nicht ein ge¬
fährliches Präcedenz? Wie, wenn bei der Bewegung in Leipzig in den ersten
Tagen des März, wie man damals fürchtete, eine preußische Intervention, mei¬
netwegen im Auftrage des Bundestages, die Frage mit äußerlichen Gründen er¬
ledigt hätte?

Ich will keineswegs behaupten, daß diese Ansicht stichhaltig wäre; jedenfalls
war sie ein wesentlicher Gesichtspunkt und mußte zur Sprache kommen. Die
radicale Partei hat sie nicht zur Sprache gebracht; sie hatte nicht den Muth dazu.
Im Gegentheil ließ sie es geschehen, daß Hecker bei dem Fall des General Ga¬
gern — gegen die ausdrückliche Erklärung des offiziellen Badenser Berichterstat¬
ters — als Meuchelmörder gebrandmarkt wurde.

In Folge der Aufforderung des Bundestages rückten nun die Hessen-Cassel-
schen Truppen nach ihrer südlichen Grenze hin. Dies setzte die Hanauer in Be-
sorgniß, die noch dazu in Erfahrung brachten, daß für die Verpflegung der Trup¬
pen in ihrer Provinz Lieferungscontracte auf länger als einen Monat hinaus ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/258>, abgerufen am 26.06.2024.