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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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gangen, wird gegen Preußen eine andre Sprache führen, als diese mehr durch ihr
eigenes Gefühl als durch die Anerkennung ihrer Mitbürger legitimirten Vertreter
des einigen freien Deutschland. Wenn man von den Aeußerungen der Vertreter
auf die Gesinnung ihrer Committenten schließen könnte, so stände allerdings Preu¬
ßen in einem sehr schlechten Ausehn in ganz Deutschland. Nicht nur die Badenser,
Würtenberger, Sachsen, sondern auch die Abgeordneten von Bremen und Hamburg
versicherten im Fünfziger-Ausschuß, mehr Sympathien für Oestreich zu
haben als für Preußen. Als die erste Nachricht von Oestreich kam, daß
die Wahlen auf den 28. April angeordnet seien, wurde sofort ein strenges Schrei¬
ben an Preußen erlassen, dem guten Beispiel Oestreichs zu folgen; dieses Schrei¬
ben wurde zwar zurückgenommen, als den folgenden Tag die amtliche Erklärung
des östreichischen Ministeriums erfolgte, Oestreich könne nnr unter Vorbehalt der
Ratistcation dessen, was in Frankfurt beschlossen werde, dem neuen Bundesstaat
beitreten. Köstlich war der Entschluß, den darauf der Fünfziger-Ausschuß faßte,
nachdem die verschiedenartigsten Stimmen sich laut gemacht hatten: man dürfe
auf diese Erklärung keine Rücksicht nehmen, denn das Vorparlament habe es anders
beschlossen. Als ob dieses Vorparlament sich irgend eine Autorität über Oestreich
hätte anmaßen dürfen! als ob die Anarchie, die seine Existenz möglich gemacht,
eine permanente sei!

Im Allgemeinen war der Ausschuß durch den Bundestag verwöhnt, der im
Gefühl seiner eigenen Ohnmacht ihm gar keinen Widerstand entgegensetzte. Der
Wahn, dnrch ein einfaches Decret die Realität aus den Fugen heben zu können,
ist zu süß, als daß man sich ihm nicht gern hingeben sollte. Wo ein Widerstand
stattfand, rührte er von der conservativen Partei innerhalb des Ausschusses selbst
her. Als sich die Nachricht verbreitete, der Bundestag sei von den Gesandten
Oestreichs und Preußens aufgefordert, den Termin der Eröffnung der National¬
versammlung über den zuerst angesetzten Tag, den I. Mai, hinauszuschieben, weil
beide Staaten bis dahin mit den Wahlen nicht fertig werden könnten, entstand
eine furchtbare Aufregung: "Was! unsere Briefträger wollen das Recht usnrpiren,
das nur uns zukommt! sie wollen uns zu ihren Briefträgern machen! sie wollen
berathen, ob die heiligen, unantastbaren Beschlüsse des unfehlbaren Vorparlaments
zu modificiren seien!" Herr Heckscher aus Hamburg stellte den Antrag, eine fulmi¬
nante Zurechtweisung an den Bundestag zu erlassen, worin dieser nicht wie ein Brief¬
träger, sondern wie ein Schulknabe gescholten würde; die konservative Partei stellte
einen Gegenantrag, der namentlich von Herrn Mathy mit Geist und Mäßigung
unterstützt wurde; Herr Venedey, seit vielen Jahren Nefügi" in Paris, eben zu¬
rückgekehrt von einem eben so romantischen als fruchtlosen Kreuzzug gegen Herwegh
und den modernen Karl Moor, der in seinem Felsschlnnd am Bodensee Deutsch¬
land mit einem Haufen Vagabunden zu einer Republik machen wollte, gegen die
Rom und Sparta Nonnenklöster gewesen wären, -- Venedey, der Erfinder der


gangen, wird gegen Preußen eine andre Sprache führen, als diese mehr durch ihr
eigenes Gefühl als durch die Anerkennung ihrer Mitbürger legitimirten Vertreter
des einigen freien Deutschland. Wenn man von den Aeußerungen der Vertreter
auf die Gesinnung ihrer Committenten schließen könnte, so stände allerdings Preu¬
ßen in einem sehr schlechten Ausehn in ganz Deutschland. Nicht nur die Badenser,
Würtenberger, Sachsen, sondern auch die Abgeordneten von Bremen und Hamburg
versicherten im Fünfziger-Ausschuß, mehr Sympathien für Oestreich zu
haben als für Preußen. Als die erste Nachricht von Oestreich kam, daß
die Wahlen auf den 28. April angeordnet seien, wurde sofort ein strenges Schrei¬
ben an Preußen erlassen, dem guten Beispiel Oestreichs zu folgen; dieses Schrei¬
ben wurde zwar zurückgenommen, als den folgenden Tag die amtliche Erklärung
des östreichischen Ministeriums erfolgte, Oestreich könne nnr unter Vorbehalt der
Ratistcation dessen, was in Frankfurt beschlossen werde, dem neuen Bundesstaat
beitreten. Köstlich war der Entschluß, den darauf der Fünfziger-Ausschuß faßte,
nachdem die verschiedenartigsten Stimmen sich laut gemacht hatten: man dürfe
auf diese Erklärung keine Rücksicht nehmen, denn das Vorparlament habe es anders
beschlossen. Als ob dieses Vorparlament sich irgend eine Autorität über Oestreich
hätte anmaßen dürfen! als ob die Anarchie, die seine Existenz möglich gemacht,
eine permanente sei!

Im Allgemeinen war der Ausschuß durch den Bundestag verwöhnt, der im
Gefühl seiner eigenen Ohnmacht ihm gar keinen Widerstand entgegensetzte. Der
Wahn, dnrch ein einfaches Decret die Realität aus den Fugen heben zu können,
ist zu süß, als daß man sich ihm nicht gern hingeben sollte. Wo ein Widerstand
stattfand, rührte er von der conservativen Partei innerhalb des Ausschusses selbst
her. Als sich die Nachricht verbreitete, der Bundestag sei von den Gesandten
Oestreichs und Preußens aufgefordert, den Termin der Eröffnung der National¬
versammlung über den zuerst angesetzten Tag, den I. Mai, hinauszuschieben, weil
beide Staaten bis dahin mit den Wahlen nicht fertig werden könnten, entstand
eine furchtbare Aufregung: „Was! unsere Briefträger wollen das Recht usnrpiren,
das nur uns zukommt! sie wollen uns zu ihren Briefträgern machen! sie wollen
berathen, ob die heiligen, unantastbaren Beschlüsse des unfehlbaren Vorparlaments
zu modificiren seien!" Herr Heckscher aus Hamburg stellte den Antrag, eine fulmi¬
nante Zurechtweisung an den Bundestag zu erlassen, worin dieser nicht wie ein Brief¬
träger, sondern wie ein Schulknabe gescholten würde; die konservative Partei stellte
einen Gegenantrag, der namentlich von Herrn Mathy mit Geist und Mäßigung
unterstützt wurde; Herr Venedey, seit vielen Jahren Nefügi« in Paris, eben zu¬
rückgekehrt von einem eben so romantischen als fruchtlosen Kreuzzug gegen Herwegh
und den modernen Karl Moor, der in seinem Felsschlnnd am Bodensee Deutsch¬
land mit einem Haufen Vagabunden zu einer Republik machen wollte, gegen die
Rom und Sparta Nonnenklöster gewesen wären, — Venedey, der Erfinder der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/256>, abgerufen am 26.06.2024.