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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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zierlichen Nachspiel etwas von Hochzeit, Geburt einer liebenswürdigen Prinzessin
und dergleichen murmeln.

Wenn die Frau Gräfin v. Hahn-Hahn für eine neue seelische Empfindsamkeits¬
geschichte eine passende locale Grundlage sucht, so rathe ich ihr jedenfalls das
Thurn-- und Taxische Palais ab; vom Briefträger zum Postsecretär ist nur ein
kleiner Schritt, und selbst in einem Eckensteher liegt viel weniger Rotüre, viel
mehr Waldursprüuglichkeit, als in diesem sonst überaus nützlichen, der bürgerlichen
Gesellschaft unentbehrlichen Geschäft. Was hilft die alterthümlich solide Bauart
dieses Hauses, was hilft selbst der vollkommen legitime und aristokratisch weiße
Bart des alten Portier, wenn die plebejische Idee "Briefträger" ihren Schatten
über diesen verfallenen Tempel der Diplomatie des alten Europa wirft. Selbst
der Kaisersaal hat durch die neuen Ereignisse sein historisches, rninenhastes Inter¬
esse verloren; er scheint es vorausgeahnt zu haben, denn er hat die alten Kaiser¬
bilder renovirt, sie sehen ganz Düsseldorfisch jüngferlich aus und passen nun ganz
wohl zu der jungen Demokratie, die sich unter ihnen sammelt und im ersten
Gefühl ihrer neuen Wichtigkeit noch nicht recht weiß, welche Haltung sie anneh¬
men soll.

Dagegen will ich die Thurn- und Taxissche Diligence jedem Belletristen em¬
pfehlen, der auf Leihbibliotheken speculirt. Es geht die Sage von Räuberbanden,
die sich in jenen Gegenden sammeln, man kommt dnrch Wälder und über Berge,
und fährt man einmal des Nachts durch das Gepolter des Pflasters aus seinem
Schlafe auf, so sieht man sich von allen Seiten von bewaffneten Knaben und
Jünglingen umgeben und kann sich in der halben Traumseligkeit, in welche der
bedächtige Trott einlullt, in irgend eine mittelalterliche Reichsstadt, in irgend eine
Fehde mit den ritterlichen Schnapphähnen, deren Burgen als Ruinen auf den
Höhen zerstreut sind, oder auch in irgend einen Kinderkreuzzug versetzt glauben.

Ich merke aber, daß die Romantik der Postkutsche mich selbst aus meiner
rationalistischen Natur getrieben hat, daß ich, anstatt den Faden der Begebenheit
regelmäßig abzuspinnen, wie ein alter Epiker in inollin" re", aus Leipzig in die
Tb"rü- und Taxissche Kutsche übergesprungen bin. Ich will suchen, diesen Fehler
>)urch einen zweiten Sprung wieder gut zu machen.

"Also," sagte einer von den Fünfzigern zu mir, indem er mich in Frankfurt
meiner Qualität als Berichterstatter begrüßte, "also mau ist bei Ihnen auch
>u der Einsicht gekommen, daß hier die Geschichte gemacht wird?"

"Nein," antwortete ich bescheiden, "wenigstens weiß man bei uns noch nicht,
worin diese Geschichte besteht und ich habe mich eben hier danach erkundigen
wollen."

Wäre ich weniger bescheiden gewesen, so hätte ich sagen können: Ich wollte
die großen Männer von Angesicht zu Angesicht sehen, die als Leitsterne der denk-


zierlichen Nachspiel etwas von Hochzeit, Geburt einer liebenswürdigen Prinzessin
und dergleichen murmeln.

Wenn die Frau Gräfin v. Hahn-Hahn für eine neue seelische Empfindsamkeits¬
geschichte eine passende locale Grundlage sucht, so rathe ich ihr jedenfalls das
Thurn-- und Taxische Palais ab; vom Briefträger zum Postsecretär ist nur ein
kleiner Schritt, und selbst in einem Eckensteher liegt viel weniger Rotüre, viel
mehr Waldursprüuglichkeit, als in diesem sonst überaus nützlichen, der bürgerlichen
Gesellschaft unentbehrlichen Geschäft. Was hilft die alterthümlich solide Bauart
dieses Hauses, was hilft selbst der vollkommen legitime und aristokratisch weiße
Bart des alten Portier, wenn die plebejische Idee „Briefträger" ihren Schatten
über diesen verfallenen Tempel der Diplomatie des alten Europa wirft. Selbst
der Kaisersaal hat durch die neuen Ereignisse sein historisches, rninenhastes Inter¬
esse verloren; er scheint es vorausgeahnt zu haben, denn er hat die alten Kaiser¬
bilder renovirt, sie sehen ganz Düsseldorfisch jüngferlich aus und passen nun ganz
wohl zu der jungen Demokratie, die sich unter ihnen sammelt und im ersten
Gefühl ihrer neuen Wichtigkeit noch nicht recht weiß, welche Haltung sie anneh¬
men soll.

Dagegen will ich die Thurn- und Taxissche Diligence jedem Belletristen em¬
pfehlen, der auf Leihbibliotheken speculirt. Es geht die Sage von Räuberbanden,
die sich in jenen Gegenden sammeln, man kommt dnrch Wälder und über Berge,
und fährt man einmal des Nachts durch das Gepolter des Pflasters aus seinem
Schlafe auf, so sieht man sich von allen Seiten von bewaffneten Knaben und
Jünglingen umgeben und kann sich in der halben Traumseligkeit, in welche der
bedächtige Trott einlullt, in irgend eine mittelalterliche Reichsstadt, in irgend eine
Fehde mit den ritterlichen Schnapphähnen, deren Burgen als Ruinen auf den
Höhen zerstreut sind, oder auch in irgend einen Kinderkreuzzug versetzt glauben.

Ich merke aber, daß die Romantik der Postkutsche mich selbst aus meiner
rationalistischen Natur getrieben hat, daß ich, anstatt den Faden der Begebenheit
regelmäßig abzuspinnen, wie ein alter Epiker in inollin« re«, aus Leipzig in die
Tb»rü- und Taxissche Kutsche übergesprungen bin. Ich will suchen, diesen Fehler
>)urch einen zweiten Sprung wieder gut zu machen.

„Also," sagte einer von den Fünfzigern zu mir, indem er mich in Frankfurt
meiner Qualität als Berichterstatter begrüßte, „also mau ist bei Ihnen auch
>u der Einsicht gekommen, daß hier die Geschichte gemacht wird?"

„Nein," antwortete ich bescheiden, „wenigstens weiß man bei uns noch nicht,
worin diese Geschichte besteht und ich habe mich eben hier danach erkundigen
wollen."

Wäre ich weniger bescheiden gewesen, so hätte ich sagen können: Ich wollte
die großen Männer von Angesicht zu Angesicht sehen, die als Leitsterne der denk-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/200>, abgerufen am 26.06.2024.