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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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revolutionärer Stoff, als in den blutigen Revolutionen von Wien und Berlin
wenn die kühnen Rebellen die schwarz - roth - goldne Fahne auf die Barrikaden
Pflanzen und mit Steinen und Flintenschüssen den König und seine Truppen zu¬
rückweisen, wenn der Plebejer seine nackte Brust dem Kartätschenhagel entgegen¬
setzt und in kühnem Todesmuth für die Freiheit sein Leben einsetzt, so ist das
zwar eine sehr unruhige Wirthschaft und wohl geeignet, eine leidende Königin in
Bekümmerniß zu setzen, aber es hat zugleich etwas Romantisches, Chevalereskes;
und wenn ein gekröntes Haupt sür tragische Reminiscenzen empfänglich ist, so
darf es mit einem gewissen Stolz auf "seine" Rebellen blicken, es kann bei eini¬
gem romantischem Schick eine derartige Revolution mit zu den Edelsteinen seines
Staates zählen; die Hauptstadt der Uckermark darf sich dann auch in dieser Bran¬
che mit Paris messen und der neugierige Reisende wird Berlin nicht mehr blos
seiner italienischen Oper, seines Thiergartens und seiner Eckensteher wegen aufsu-
chen, die Stadt hat dann auch etwas Historisches, sie hat ihre Revolution, und
die Conditorei von d'Heureui'e. wo man sonst nur Damen-Chokolade trank, wird
in deu Notizbüchern wanderungslnstiger Engländer eben so ausgezeichnet werden,
als das Hotel de Bitte oder der Pfeiler im Marienburger Rempter, den König
Jagello durch eine treulose Kugel mit sammt dem grandiosen Gewölbe über den
Häuptern des kühnen Heinrich Reuß und seiner Dentschritter zusammenstürzen wollte,
diesen alten Vorkämpfern gegen das polnische Uebergewicht.

Aber das Geschäft eines Briefträgers hat nichts Romantisches, nichts Cheva¬
lereskes; es ist nicht "herzerwärmend," es ist die gemeine Prosa des Lebens. Die
Grobheit der Volksmänner gegen ihre ehemaligen Hexren, ohne den Beigeschmack
von blutigen Heroismus , ist der eigentliche Triumpf des plebejischen Geistes über
die Hofetikette der heiligen Allianz. Karl X., Ludwig Capet und seine Getreuen,
sie wurden wenigstens enthauptet und konnten so als Märtyrer in jedem beliebigen
Fouquv'schen oder sonstigen veilchenblauen Roman besungen werden; Marat und
Robespierre haben wenigstens die romantische Aureole eines blutigen Fanatismus,
aber eine ordinäre Grobheit kann kein Romanschreiber seinem Grisetten - Publikum
schmackhaft machen, und der Briefträgerposten, zu dem ein hoher Bundestag de
gradirt ist, raubt ihm für alle Zeiten den poetischen Nimbus eines tragischen Un¬
terganges. Wenn sonst die Könige ihre besiegten Nebenbuhler auf das Schaffot
oder in den ewigen Kerker schickten , so fand sich nachher ein Shakespeare, der ihr
Leid zum Liede machte, oder ein Byron, der aus der Dämmerung jedes unter¬
irdischen Gefängnisses eine süße Melancholie zu singen wußte, wie das Wiesel
ans einem Hühnerei; als aber König Heinrich den Prätendenten der weißen Rose
zu seinem Küchenjungen machte, war es mit der Poesie, dem Ritterthum und dem
Mittelalter zu Ende; der britische Poet mußte mit dem Untergang des letzten
Ritters, mit Richard III., den Vorhang fallen lassen und konnte nnr in einen,


Grenzboten. it. 1S4". 25

revolutionärer Stoff, als in den blutigen Revolutionen von Wien und Berlin
wenn die kühnen Rebellen die schwarz - roth - goldne Fahne auf die Barrikaden
Pflanzen und mit Steinen und Flintenschüssen den König und seine Truppen zu¬
rückweisen, wenn der Plebejer seine nackte Brust dem Kartätschenhagel entgegen¬
setzt und in kühnem Todesmuth für die Freiheit sein Leben einsetzt, so ist das
zwar eine sehr unruhige Wirthschaft und wohl geeignet, eine leidende Königin in
Bekümmerniß zu setzen, aber es hat zugleich etwas Romantisches, Chevalereskes;
und wenn ein gekröntes Haupt sür tragische Reminiscenzen empfänglich ist, so
darf es mit einem gewissen Stolz auf „seine" Rebellen blicken, es kann bei eini¬
gem romantischem Schick eine derartige Revolution mit zu den Edelsteinen seines
Staates zählen; die Hauptstadt der Uckermark darf sich dann auch in dieser Bran¬
che mit Paris messen und der neugierige Reisende wird Berlin nicht mehr blos
seiner italienischen Oper, seines Thiergartens und seiner Eckensteher wegen aufsu-
chen, die Stadt hat dann auch etwas Historisches, sie hat ihre Revolution, und
die Conditorei von d'Heureui'e. wo man sonst nur Damen-Chokolade trank, wird
in deu Notizbüchern wanderungslnstiger Engländer eben so ausgezeichnet werden,
als das Hotel de Bitte oder der Pfeiler im Marienburger Rempter, den König
Jagello durch eine treulose Kugel mit sammt dem grandiosen Gewölbe über den
Häuptern des kühnen Heinrich Reuß und seiner Dentschritter zusammenstürzen wollte,
diesen alten Vorkämpfern gegen das polnische Uebergewicht.

Aber das Geschäft eines Briefträgers hat nichts Romantisches, nichts Cheva¬
lereskes; es ist nicht „herzerwärmend," es ist die gemeine Prosa des Lebens. Die
Grobheit der Volksmänner gegen ihre ehemaligen Hexren, ohne den Beigeschmack
von blutigen Heroismus , ist der eigentliche Triumpf des plebejischen Geistes über
die Hofetikette der heiligen Allianz. Karl X., Ludwig Capet und seine Getreuen,
sie wurden wenigstens enthauptet und konnten so als Märtyrer in jedem beliebigen
Fouquv'schen oder sonstigen veilchenblauen Roman besungen werden; Marat und
Robespierre haben wenigstens die romantische Aureole eines blutigen Fanatismus,
aber eine ordinäre Grobheit kann kein Romanschreiber seinem Grisetten - Publikum
schmackhaft machen, und der Briefträgerposten, zu dem ein hoher Bundestag de
gradirt ist, raubt ihm für alle Zeiten den poetischen Nimbus eines tragischen Un¬
terganges. Wenn sonst die Könige ihre besiegten Nebenbuhler auf das Schaffot
oder in den ewigen Kerker schickten , so fand sich nachher ein Shakespeare, der ihr
Leid zum Liede machte, oder ein Byron, der aus der Dämmerung jedes unter¬
irdischen Gefängnisses eine süße Melancholie zu singen wußte, wie das Wiesel
ans einem Hühnerei; als aber König Heinrich den Prätendenten der weißen Rose
zu seinem Küchenjungen machte, war es mit der Poesie, dem Ritterthum und dem
Mittelalter zu Ende; der britische Poet mußte mit dem Untergang des letzten
Ritters, mit Richard III., den Vorhang fallen lassen und konnte nnr in einen,


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[0199] revolutionärer Stoff, als in den blutigen Revolutionen von Wien und Berlin wenn die kühnen Rebellen die schwarz - roth - goldne Fahne auf die Barrikaden Pflanzen und mit Steinen und Flintenschüssen den König und seine Truppen zu¬ rückweisen, wenn der Plebejer seine nackte Brust dem Kartätschenhagel entgegen¬ setzt und in kühnem Todesmuth für die Freiheit sein Leben einsetzt, so ist das zwar eine sehr unruhige Wirthschaft und wohl geeignet, eine leidende Königin in Bekümmerniß zu setzen, aber es hat zugleich etwas Romantisches, Chevalereskes; und wenn ein gekröntes Haupt sür tragische Reminiscenzen empfänglich ist, so darf es mit einem gewissen Stolz auf „seine" Rebellen blicken, es kann bei eini¬ gem romantischem Schick eine derartige Revolution mit zu den Edelsteinen seines Staates zählen; die Hauptstadt der Uckermark darf sich dann auch in dieser Bran¬ che mit Paris messen und der neugierige Reisende wird Berlin nicht mehr blos seiner italienischen Oper, seines Thiergartens und seiner Eckensteher wegen aufsu- chen, die Stadt hat dann auch etwas Historisches, sie hat ihre Revolution, und die Conditorei von d'Heureui'e. wo man sonst nur Damen-Chokolade trank, wird in deu Notizbüchern wanderungslnstiger Engländer eben so ausgezeichnet werden, als das Hotel de Bitte oder der Pfeiler im Marienburger Rempter, den König Jagello durch eine treulose Kugel mit sammt dem grandiosen Gewölbe über den Häuptern des kühnen Heinrich Reuß und seiner Dentschritter zusammenstürzen wollte, diesen alten Vorkämpfern gegen das polnische Uebergewicht. Aber das Geschäft eines Briefträgers hat nichts Romantisches, nichts Cheva¬ lereskes; es ist nicht „herzerwärmend," es ist die gemeine Prosa des Lebens. Die Grobheit der Volksmänner gegen ihre ehemaligen Hexren, ohne den Beigeschmack von blutigen Heroismus , ist der eigentliche Triumpf des plebejischen Geistes über die Hofetikette der heiligen Allianz. Karl X., Ludwig Capet und seine Getreuen, sie wurden wenigstens enthauptet und konnten so als Märtyrer in jedem beliebigen Fouquv'schen oder sonstigen veilchenblauen Roman besungen werden; Marat und Robespierre haben wenigstens die romantische Aureole eines blutigen Fanatismus, aber eine ordinäre Grobheit kann kein Romanschreiber seinem Grisetten - Publikum schmackhaft machen, und der Briefträgerposten, zu dem ein hoher Bundestag de gradirt ist, raubt ihm für alle Zeiten den poetischen Nimbus eines tragischen Un¬ terganges. Wenn sonst die Könige ihre besiegten Nebenbuhler auf das Schaffot oder in den ewigen Kerker schickten , so fand sich nachher ein Shakespeare, der ihr Leid zum Liede machte, oder ein Byron, der aus der Dämmerung jedes unter¬ irdischen Gefängnisses eine süße Melancholie zu singen wußte, wie das Wiesel ans einem Hühnerei; als aber König Heinrich den Prätendenten der weißen Rose zu seinem Küchenjungen machte, war es mit der Poesie, dem Ritterthum und dem Mittelalter zu Ende; der britische Poet mußte mit dem Untergang des letzten Ritters, mit Richard III., den Vorhang fallen lassen und konnte nnr in einen, Grenzboten. it. 1S4». 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/199>, abgerufen am 29.06.2024.