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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Sehr bemerklich wird unter solchen Umständen der Mangel eines Gesetzes, welches
bestimmt, daß eine von der Deputirtenkammer unterstützte, aber von der Majorität
des Senates verworfene Bill, wenn sie vom Unterhause in einer bestimmten Zeit
zum zweiten oder dritten Mal wieder unverändert an die erste Kammer gelangt,
falls sie nicht Veränderungen in der Constitution betrifft, von derselben angenom¬
men werden müsse und somit die Zustimmung des Kaisers erhalten kann.

Auch von einem zweiten Standpunkt betrachtet, ist diese Zusammensetzung
der erste" Kammer von großer Bedeutung. Die Frage, ob Oestreich deutsch oder
slavisch sein wird, rückt ihrer Lösung immer näher. Für's Erste wird wohl nur
über die Präponderanz des einen oder des andern Stammes entschieden werden.
Von einem eigentlichen Föderativsystem kann im Kaiserthum Oestreich wohl nicht
die Rede sein; die Mühe, für alle seine Länder eine Constitution, eine Reichs¬
verfassung zu ersinnen, wäre umsonst verwendet gewesen. Diese Frage nun wird
nicht mehr von einer Hofkanzlei entschieden werden, welche nie etwas von der
Existenz slavischer Völker zu wissen vorgab, sondern von den Nationalitäten selbst.
Von beiden Seiten wird man einen offenen Kampf zu vermeiden suchen und lieber
auf friedliche Weise für die Interessen der Nation, welche, wie uns die Gegen¬
wart lehrt, in Oestreich nicht immer philosophisch betrachtet werden, arbeiten und
wirken. Im östreichischen Parlament nun müssen nach der Sachlage, die für die
nächste Zukunft zu erwarten steht, sehr bald und die meisten Begegnungen der
beiden Nationalitäten vor sich gehen, die jedesmal zu einem furchtbaren Kampfe
führen können, sobald nicht ein drittes Element, auf kluge Weise beschwichtigend,
hinzutritt. Diese dritte Macht wird im Senate existiren, vorausgesetzt, daß der
östreichische Kaiser die richtigen Wahlen trifft. Diese lebenslänglichen Senatoren
können ebenso durch Unentschiedenheit wie durch offenes Hinneigen auf die eine
oder andere Seite Oestreichs Integrität und seine Reichsverfassung gefährden.
Im ersten Falle regierte das Unterhaus allein, im zweiten würde ein Aufstand
der Nationen provocirt, denn die Verbindung der Völker durch eine Constitution
ist noch zu neu.

Im Entwürfe der Konstitution ist der alte Styl der östreichischen Kanzleien
noch so wenig ausgerottet, daß man glauben könnte, er habe schon lange in einem
Bureau vollendet gelegen, natürlich nur wenn man von ihrem Gehalte ganz ab¬
steht, und man hat oft Mühe die nunmehrige Freiheit der östreichischen Bürger
herauszulesen. Der Paragraph 1!" lautet: "Die Freiheit der Rede und
Presse ist nach vollkommener Auflassung der Censur durch die
Verfassungsurkunde gesichert." Wer erinnert sich bei dem Worte "Aus¬
lassung" nicht an ein Netz, welches bisher jede Regung der Presse und der
Meinung umgarnt hat, nun aber geöffnet wurde, jedoch so, daß man es jeden
Augenblick wieder zuziehen kann? Man setzt natürlich nicht voraus, daß dies
geschehen wird; aber nicht zu bestreiten ist, daß die Worte: "Die Censur ist


Sehr bemerklich wird unter solchen Umständen der Mangel eines Gesetzes, welches
bestimmt, daß eine von der Deputirtenkammer unterstützte, aber von der Majorität
des Senates verworfene Bill, wenn sie vom Unterhause in einer bestimmten Zeit
zum zweiten oder dritten Mal wieder unverändert an die erste Kammer gelangt,
falls sie nicht Veränderungen in der Constitution betrifft, von derselben angenom¬
men werden müsse und somit die Zustimmung des Kaisers erhalten kann.

Auch von einem zweiten Standpunkt betrachtet, ist diese Zusammensetzung
der erste» Kammer von großer Bedeutung. Die Frage, ob Oestreich deutsch oder
slavisch sein wird, rückt ihrer Lösung immer näher. Für's Erste wird wohl nur
über die Präponderanz des einen oder des andern Stammes entschieden werden.
Von einem eigentlichen Föderativsystem kann im Kaiserthum Oestreich wohl nicht
die Rede sein; die Mühe, für alle seine Länder eine Constitution, eine Reichs¬
verfassung zu ersinnen, wäre umsonst verwendet gewesen. Diese Frage nun wird
nicht mehr von einer Hofkanzlei entschieden werden, welche nie etwas von der
Existenz slavischer Völker zu wissen vorgab, sondern von den Nationalitäten selbst.
Von beiden Seiten wird man einen offenen Kampf zu vermeiden suchen und lieber
auf friedliche Weise für die Interessen der Nation, welche, wie uns die Gegen¬
wart lehrt, in Oestreich nicht immer philosophisch betrachtet werden, arbeiten und
wirken. Im östreichischen Parlament nun müssen nach der Sachlage, die für die
nächste Zukunft zu erwarten steht, sehr bald und die meisten Begegnungen der
beiden Nationalitäten vor sich gehen, die jedesmal zu einem furchtbaren Kampfe
führen können, sobald nicht ein drittes Element, auf kluge Weise beschwichtigend,
hinzutritt. Diese dritte Macht wird im Senate existiren, vorausgesetzt, daß der
östreichische Kaiser die richtigen Wahlen trifft. Diese lebenslänglichen Senatoren
können ebenso durch Unentschiedenheit wie durch offenes Hinneigen auf die eine
oder andere Seite Oestreichs Integrität und seine Reichsverfassung gefährden.
Im ersten Falle regierte das Unterhaus allein, im zweiten würde ein Aufstand
der Nationen provocirt, denn die Verbindung der Völker durch eine Constitution
ist noch zu neu.

Im Entwürfe der Konstitution ist der alte Styl der östreichischen Kanzleien
noch so wenig ausgerottet, daß man glauben könnte, er habe schon lange in einem
Bureau vollendet gelegen, natürlich nur wenn man von ihrem Gehalte ganz ab¬
steht, und man hat oft Mühe die nunmehrige Freiheit der östreichischen Bürger
herauszulesen. Der Paragraph 1!» lautet: „Die Freiheit der Rede und
Presse ist nach vollkommener Auflassung der Censur durch die
Verfassungsurkunde gesichert." Wer erinnert sich bei dem Worte „Aus¬
lassung" nicht an ein Netz, welches bisher jede Regung der Presse und der
Meinung umgarnt hat, nun aber geöffnet wurde, jedoch so, daß man es jeden
Augenblick wieder zuziehen kann? Man setzt natürlich nicht voraus, daß dies
geschehen wird; aber nicht zu bestreiten ist, daß die Worte: „Die Censur ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/186>, abgerufen am 29.06.2024.