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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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gemacht wurde, so bedenklich mag es wieder erscheinen, daß die Gesetzgebung be¬
züglich dieser wichtigen Rechte einem Reichstage zukommt, welcher nach einer pro¬
visorischen Wahlordnung zusammentrat.

Unter den Ländern, auf welche die Verfassungsurkunde Anwendung findet,
wird das lombardisch - venezianische nicht genannt. Es scheint daher, daß man
im Falle der Wiederunterwerfung dieser Länder eine besondere Verfassung, welche
zugleich das Verhältniß der italienischen Gebietstheile zu den übrigen Bestand¬
theilen der Monarchie aussprechen wird, zu erlassen entschlossen ist. Auch Sie¬
benbürgen, Kroatien und Slavonien behalten gleich dem ungarischen Königreiche
ihre bisherigen Verfassungen. Niemanden wird es in den Sinn gekommen sein,
die neue Konstitution auf diese Länder ausdehnen zu wollen. Die östreichische
Monarchie war immer zum Theil constitutionell.

Die östreichische Reichsverfassung enthält alle Grundsätze eines freien consti-
tutionellen Zweikammersystems; und man muß gestehen, daß der Sprung, den
das östreichische Volk aus dem Sumpfe des Absolutismus auf deu Damm des
Constitutionalismus gethan hat, eben so gewaltig als kühn war, wenn man be¬
denkt, wie unvorbereitet er geschah, und über wie viele Bedenklichkeiten er hin¬
wegsetzte, die selbst die westlichen Nachbarn während eines mehrjährigen constitu-
tionellen Lebens nicht ganz überwinden konnten. Der Umstand, daß die östrei¬
chische Verfassung eine oktroyirte ist, wird dieser Behauptung nicht entgegentreten,
denn das neue verantwortliche Ministerium: war gewiß keinen Augenblick im Zweifel
darüber, wie Viel man zum Wenigsten geben mußte.

Das Recht des Kaisers, verurtheilte Minister zu begnadigen, macht die Kon¬
stitution zwar von dem Einschreiten einer der beiden Kammern abhängig; aber
durch die Zusammensetzung des Senates, der zum Theil aus Mitglieder"! bestehen
wird, welche vom Kaiser willkürlich auf Lebenszeit ernannt werden, bleibt einem
verurtheilten Minister ziemlich gegründete Hoffnung auf Begnadigung An die¬
ser ersten Kammer, welche gegen ein Unterhaus, in dem die Opposition in der
Mehrheit ist, willkürlich durch einen Pairsschub verstärkt werden kann, müssen
Vorschläge, wie sie vom Repräsentanten des Volkes ausgehen können, nur zu oft
scheitern. Alle Gesetze bedürfen der Zustimmung beider Kammern und der Sank¬
tion des Kaisers. Die erste Kammer aber wird bestehen: 1) aus den Prinzen
des kaiserlichen Hauses nach vollendetem 24. Jahre; 2) aus deu
vom Kaiser ohne Rücksicht aufstand und Geburt ernannten Mit¬
gliedern; 3) ans Hundertundfuuszig Mitgliedern, welche von den
bedeutendsten Grundbesitzern aus ihrer Mitte gewählt werden.
Wird die Mehrheit dieser Kammern conservativ sein? Höchst wahrscheinlich. --



*) Die Verantwortlichkeit der Minister, so wie die Bestimmung der anklagenden und
richtenden Behörde, wird durch ein besonderes Gesetz geregelt."
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gemacht wurde, so bedenklich mag es wieder erscheinen, daß die Gesetzgebung be¬
züglich dieser wichtigen Rechte einem Reichstage zukommt, welcher nach einer pro¬
visorischen Wahlordnung zusammentrat.

Unter den Ländern, auf welche die Verfassungsurkunde Anwendung findet,
wird das lombardisch - venezianische nicht genannt. Es scheint daher, daß man
im Falle der Wiederunterwerfung dieser Länder eine besondere Verfassung, welche
zugleich das Verhältniß der italienischen Gebietstheile zu den übrigen Bestand¬
theilen der Monarchie aussprechen wird, zu erlassen entschlossen ist. Auch Sie¬
benbürgen, Kroatien und Slavonien behalten gleich dem ungarischen Königreiche
ihre bisherigen Verfassungen. Niemanden wird es in den Sinn gekommen sein,
die neue Konstitution auf diese Länder ausdehnen zu wollen. Die östreichische
Monarchie war immer zum Theil constitutionell.

Die östreichische Reichsverfassung enthält alle Grundsätze eines freien consti-
tutionellen Zweikammersystems; und man muß gestehen, daß der Sprung, den
das östreichische Volk aus dem Sumpfe des Absolutismus auf deu Damm des
Constitutionalismus gethan hat, eben so gewaltig als kühn war, wenn man be¬
denkt, wie unvorbereitet er geschah, und über wie viele Bedenklichkeiten er hin¬
wegsetzte, die selbst die westlichen Nachbarn während eines mehrjährigen constitu-
tionellen Lebens nicht ganz überwinden konnten. Der Umstand, daß die östrei¬
chische Verfassung eine oktroyirte ist, wird dieser Behauptung nicht entgegentreten,
denn das neue verantwortliche Ministerium: war gewiß keinen Augenblick im Zweifel
darüber, wie Viel man zum Wenigsten geben mußte.

Das Recht des Kaisers, verurtheilte Minister zu begnadigen, macht die Kon¬
stitution zwar von dem Einschreiten einer der beiden Kammern abhängig; aber
durch die Zusammensetzung des Senates, der zum Theil aus Mitglieder»! bestehen
wird, welche vom Kaiser willkürlich auf Lebenszeit ernannt werden, bleibt einem
verurtheilten Minister ziemlich gegründete Hoffnung auf Begnadigung An die¬
ser ersten Kammer, welche gegen ein Unterhaus, in dem die Opposition in der
Mehrheit ist, willkürlich durch einen Pairsschub verstärkt werden kann, müssen
Vorschläge, wie sie vom Repräsentanten des Volkes ausgehen können, nur zu oft
scheitern. Alle Gesetze bedürfen der Zustimmung beider Kammern und der Sank¬
tion des Kaisers. Die erste Kammer aber wird bestehen: 1) aus den Prinzen
des kaiserlichen Hauses nach vollendetem 24. Jahre; 2) aus deu
vom Kaiser ohne Rücksicht aufstand und Geburt ernannten Mit¬
gliedern; 3) ans Hundertundfuuszig Mitgliedern, welche von den
bedeutendsten Grundbesitzern aus ihrer Mitte gewählt werden.
Wird die Mehrheit dieser Kammern conservativ sein? Höchst wahrscheinlich. —



*) Die Verantwortlichkeit der Minister, so wie die Bestimmung der anklagenden und
richtenden Behörde, wird durch ein besonderes Gesetz geregelt."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/185>, abgerufen am 28.09.2024.