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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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des Tacitus verfälscht ist, oder ob nicht blos das manchem heutige" Leser Dun¬
klere lebendiger gemacht worden! -7-

So viel scheint zu genügen. Es ist ungefähr das, was von den Aus- und
Aufstellungen der liter arischen Zeitung eine Art von Schein hat. Wir
fordern indeß jeden Berufenen auf, das Uebrige nachzulesen. Alle leidenschaftlichen
und persönlichen Ausfälle haben wir Übergängen, wie billig.




Aber ich kaun nicht umhin zum Schlüsse noch einige Stellen aus dem Buche
hier beizufügen. Sie sind fast gleichen Inhalts. Sie sind wiederholte ernste
Mahnungen, welche sich dem Versasser bei getreulicher Betrachtung der fortlaufen¬
den Geschichte von Zeit zu Zeit immer wieder jedesmal wie neugewonnen und
dadurch mehr und mehr sich bestätigend, ungesucht von selbst aufdrängen. Sie
mögen aber zugleich dem künftigen Leser ein Zeugniß sein, welches Geistes der
Geschichtschreiber ist, den er vor sich hat.

Die Geschichte spricht zu ihm S. 170:


"Freilich ist jedes religiöse Prinzip, und also auch das heidnische, ein Bestandtheil
des Wahren, so lange nämlich alle übrigen geistigen Entwicklungen des Menschen demselben
harmonisch entsprechen; aber eben dieses Wahre wird auch wieder zu einem Unwahren,
das einem neuen Prinzipe allmälig weichen muß, sobald jenes harmonische Verhältniß zu
der Gesammtbildung des Geistes sich in eine Disharmonie auflöst. Denn die Wahrheit ist
zwar eine ewige, gleichwie die Gottheit; aber die irdischen Bestandtheile des Wahren ent¬
falten sich in der Zeit und wechseln wie die Generationen des Menschen."

Ferner S. 179:


"Der moralisch ethische Gesichtspunkt nur kann den stets so eifrig moralisirenden
Plutarch, der doch selbst als Philosoph den sinnlichen Borstellungen des Heidenthums nicht
blindergcben war, dazu vermocht haben, Euhemerus als den Zerstörer des Glau¬
bens eben so entschieden zu verdammen, wie ihn nachmals die Kirchenväter priesen. Denn
so leicht wandelt sich das Urtheil der Welt über eine Weile in das gerade Gegentheil um,
und nur zu oft wird das erste "Schuldig" der Mitwelt in zweiter In¬
stanz von der Zukunft cassirt,"

Ferner S. 19t):


"Das aber erscheint als der höchste Widerspruch gegen die Vernunft, wenn die Macht
die Keime des Neuen zwar wahrnimmt, aber von dieser Wahrnehmung gleich wie von
einem Gespenste aus der epikureischen Seligkeit der Ruhe aufgescheucht, nur deshalb zur
Thätigkeit sich emporrichtet, um die frischen Triebe gleich wucherndem Unkraut auszu¬
roden. Wohl der Menschheit, daß die Geschichte jederzeit solche Widersprüche aufhebt und
frei macht, was der Augenblick bindet! Der heidnische Rationalismus und das Christen¬
thum galten als Seuche und als Gift der Neuerung, weil jener die Pflugschaar, dieses
das Saatkorn der neuen Zukunft war; doch die Geschichte hat die Seuche in ein Heil der
Erde, das Gift in Mark und Blut der Völker umgewandelt und die Nachwelt hat ge¬
segnet, was die Mitwelt verfluchte. Das ist das Schicksal aller Prinzipien, aller Wende¬
punkte in der Entwicklung des Geistes, von denen sich kein Sterblicher vermessen sollte,
den letzten erschauen zu wollen; und doch ist aller geistige Zwang nur eine Folge solcher

des Tacitus verfälscht ist, oder ob nicht blos das manchem heutige» Leser Dun¬
klere lebendiger gemacht worden! -7-

So viel scheint zu genügen. Es ist ungefähr das, was von den Aus- und
Aufstellungen der liter arischen Zeitung eine Art von Schein hat. Wir
fordern indeß jeden Berufenen auf, das Uebrige nachzulesen. Alle leidenschaftlichen
und persönlichen Ausfälle haben wir Übergängen, wie billig.




Aber ich kaun nicht umhin zum Schlüsse noch einige Stellen aus dem Buche
hier beizufügen. Sie sind fast gleichen Inhalts. Sie sind wiederholte ernste
Mahnungen, welche sich dem Versasser bei getreulicher Betrachtung der fortlaufen¬
den Geschichte von Zeit zu Zeit immer wieder jedesmal wie neugewonnen und
dadurch mehr und mehr sich bestätigend, ungesucht von selbst aufdrängen. Sie
mögen aber zugleich dem künftigen Leser ein Zeugniß sein, welches Geistes der
Geschichtschreiber ist, den er vor sich hat.

Die Geschichte spricht zu ihm S. 170:


„Freilich ist jedes religiöse Prinzip, und also auch das heidnische, ein Bestandtheil
des Wahren, so lange nämlich alle übrigen geistigen Entwicklungen des Menschen demselben
harmonisch entsprechen; aber eben dieses Wahre wird auch wieder zu einem Unwahren,
das einem neuen Prinzipe allmälig weichen muß, sobald jenes harmonische Verhältniß zu
der Gesammtbildung des Geistes sich in eine Disharmonie auflöst. Denn die Wahrheit ist
zwar eine ewige, gleichwie die Gottheit; aber die irdischen Bestandtheile des Wahren ent¬
falten sich in der Zeit und wechseln wie die Generationen des Menschen."

Ferner S. 179:


„Der moralisch ethische Gesichtspunkt nur kann den stets so eifrig moralisirenden
Plutarch, der doch selbst als Philosoph den sinnlichen Borstellungen des Heidenthums nicht
blindergcben war, dazu vermocht haben, Euhemerus als den Zerstörer des Glau¬
bens eben so entschieden zu verdammen, wie ihn nachmals die Kirchenväter priesen. Denn
so leicht wandelt sich das Urtheil der Welt über eine Weile in das gerade Gegentheil um,
und nur zu oft wird das erste „Schuldig" der Mitwelt in zweiter In¬
stanz von der Zukunft cassirt,"

Ferner S. 19t):


„Das aber erscheint als der höchste Widerspruch gegen die Vernunft, wenn die Macht
die Keime des Neuen zwar wahrnimmt, aber von dieser Wahrnehmung gleich wie von
einem Gespenste aus der epikureischen Seligkeit der Ruhe aufgescheucht, nur deshalb zur
Thätigkeit sich emporrichtet, um die frischen Triebe gleich wucherndem Unkraut auszu¬
roden. Wohl der Menschheit, daß die Geschichte jederzeit solche Widersprüche aufhebt und
frei macht, was der Augenblick bindet! Der heidnische Rationalismus und das Christen¬
thum galten als Seuche und als Gift der Neuerung, weil jener die Pflugschaar, dieses
das Saatkorn der neuen Zukunft war; doch die Geschichte hat die Seuche in ein Heil der
Erde, das Gift in Mark und Blut der Völker umgewandelt und die Nachwelt hat ge¬
segnet, was die Mitwelt verfluchte. Das ist das Schicksal aller Prinzipien, aller Wende¬
punkte in der Entwicklung des Geistes, von denen sich kein Sterblicher vermessen sollte,
den letzten erschauen zu wollen; und doch ist aller geistige Zwang nur eine Folge solcher

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[0172] des Tacitus verfälscht ist, oder ob nicht blos das manchem heutige» Leser Dun¬ klere lebendiger gemacht worden! -7- So viel scheint zu genügen. Es ist ungefähr das, was von den Aus- und Aufstellungen der liter arischen Zeitung eine Art von Schein hat. Wir fordern indeß jeden Berufenen auf, das Uebrige nachzulesen. Alle leidenschaftlichen und persönlichen Ausfälle haben wir Übergängen, wie billig. Aber ich kaun nicht umhin zum Schlüsse noch einige Stellen aus dem Buche hier beizufügen. Sie sind fast gleichen Inhalts. Sie sind wiederholte ernste Mahnungen, welche sich dem Versasser bei getreulicher Betrachtung der fortlaufen¬ den Geschichte von Zeit zu Zeit immer wieder jedesmal wie neugewonnen und dadurch mehr und mehr sich bestätigend, ungesucht von selbst aufdrängen. Sie mögen aber zugleich dem künftigen Leser ein Zeugniß sein, welches Geistes der Geschichtschreiber ist, den er vor sich hat. Die Geschichte spricht zu ihm S. 170: „Freilich ist jedes religiöse Prinzip, und also auch das heidnische, ein Bestandtheil des Wahren, so lange nämlich alle übrigen geistigen Entwicklungen des Menschen demselben harmonisch entsprechen; aber eben dieses Wahre wird auch wieder zu einem Unwahren, das einem neuen Prinzipe allmälig weichen muß, sobald jenes harmonische Verhältniß zu der Gesammtbildung des Geistes sich in eine Disharmonie auflöst. Denn die Wahrheit ist zwar eine ewige, gleichwie die Gottheit; aber die irdischen Bestandtheile des Wahren ent¬ falten sich in der Zeit und wechseln wie die Generationen des Menschen." Ferner S. 179: „Der moralisch ethische Gesichtspunkt nur kann den stets so eifrig moralisirenden Plutarch, der doch selbst als Philosoph den sinnlichen Borstellungen des Heidenthums nicht blindergcben war, dazu vermocht haben, Euhemerus als den Zerstörer des Glau¬ bens eben so entschieden zu verdammen, wie ihn nachmals die Kirchenväter priesen. Denn so leicht wandelt sich das Urtheil der Welt über eine Weile in das gerade Gegentheil um, und nur zu oft wird das erste „Schuldig" der Mitwelt in zweiter In¬ stanz von der Zukunft cassirt," Ferner S. 19t): „Das aber erscheint als der höchste Widerspruch gegen die Vernunft, wenn die Macht die Keime des Neuen zwar wahrnimmt, aber von dieser Wahrnehmung gleich wie von einem Gespenste aus der epikureischen Seligkeit der Ruhe aufgescheucht, nur deshalb zur Thätigkeit sich emporrichtet, um die frischen Triebe gleich wucherndem Unkraut auszu¬ roden. Wohl der Menschheit, daß die Geschichte jederzeit solche Widersprüche aufhebt und frei macht, was der Augenblick bindet! Der heidnische Rationalismus und das Christen¬ thum galten als Seuche und als Gift der Neuerung, weil jener die Pflugschaar, dieses das Saatkorn der neuen Zukunft war; doch die Geschichte hat die Seuche in ein Heil der Erde, das Gift in Mark und Blut der Völker umgewandelt und die Nachwelt hat ge¬ segnet, was die Mitwelt verfluchte. Das ist das Schicksal aller Prinzipien, aller Wende¬ punkte in der Entwicklung des Geistes, von denen sich kein Sterblicher vermessen sollte, den letzten erschauen zu wollen; und doch ist aller geistige Zwang nur eine Folge solcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/172>, abgerufen am 29.06.2024.