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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Völker so empfänglich waren. Die Begünstigung der nichtdeutschen Elemente end¬
lich versprach ihm den Beistand größerer Massen, abgesehen davon, daß sie den
alten Zwiespalt der Stämme unterhielt und die Herrschaft erleichterte.

Allein auch darin verrechnete sich der große Bolksbändigcr. Die Fluth der
Zeitideen ließ sich nicht znrückdämmen, sondern stürzte immer rascher und rascher
über die kaiserlichen Grenze" und das gemeinsame Streben nach geistiger Verjün¬
gung besiegte den kleinen Zwiespalt der Stämme, ohne ihre Individualität zu
verwischen. Sie lernten einander achten und lieben. Der Ungar spornte den
Böhmen, der Böhme den Wiener und als das Wiener Volk endlich am 13. März
mit so edlem Muth das Siegel von seinen Lippen riß, verwandelte sich die stolze
Mißstimmung des Magyaren und Czechen gegen "die artigen Muttersöhnchen der
Monarchie" in brüderliche Zustimmung und freudige Anerkennung eines lange
verkannten Volkes. ' -

Vernichtet, ihr Wiener, jetzt nicht euer eigenes Werk. Aus eiuer Gruppe
zusammengebundener Völker soll ein Völkerbund werden, der durch den Anschluß
an den großen deutscheu Bund neue Kraft und junges Leben gewinnt, aber mit
Feuer und Schwert gezwungene Mitglieder stärken keine Brüderschaft und der An¬
schluß an Deutschland, wenn er mehr als ein Wort sein soll, schließt die Idee
einer kaiserlichen Großmacht außerhalb Deutschlands vollständig aus. Ein Kai-
serthum, das zu seinem Bestande die italienische und polnische Z w i n g Herrschaft
braucht, -- eine Waffe, die euer Maulkorb werden wird, wie sie es oft gewe¬
sen ist, -- wäre die alte metternichische Unnatur. Das Beiwort "constitutionell"
würde sie nur schlecht übertünchen.

Oder meint ihr, die Eroberungen des Kaiserthums dem auferstehenden Deutsch¬
land als Morgengabe darzubringen? So fragt doch erst, ob die deutsche Nation
euch dafür danken wird. Ihr seid fortan solidarisch mit Schwaben und Fran¬
ken, mit Baiern und Hessen n. s. w. verbunden. Fragt am Neckar und am
Rheine, an der Oder und an der Donauquelle, wie die Völker sprechen -- und
ihr werdet schamrot!) werden. Mit Zorn und Schmerz, um deu gelindesten Aus¬
druck zu gebrauchen, liest mau in der Wiener Zeitung einen Aufruf zur patrioti¬
schen Bekämpfung Italiens! Hat euch der Vorsatz, constitutionell zu sein, plötz¬
lich ein Zwangsrecht gegen Mailand gegeben? Das deutsche Volk ist klug und
gerecht. Es wird euch von sich stoße", wenn ihr, mit einer drohenden ausländi¬
schen Hausmacht gewaffnet, in seinen Kreis treten wollt. Ein gutes Gewissen thut
zur Wiedergeburt Deutschlands vor Allem Noth! rief unlängst tausendstimmig eine
große Volksversammlung. Gerechtigkeit will Deutschland nach allen Seiten. Das
Jahr 1848 hat nicht blos für uns, es hat auch ein wenig für Italien und Polen
geschlagen.

Preußen ist bereit, das halbgermanistrte -Posen oder doch den größten Theil
davon zu opfern, und Oesterreich besinnt sich, Italien und Galizien frei zu geben?


Völker so empfänglich waren. Die Begünstigung der nichtdeutschen Elemente end¬
lich versprach ihm den Beistand größerer Massen, abgesehen davon, daß sie den
alten Zwiespalt der Stämme unterhielt und die Herrschaft erleichterte.

Allein auch darin verrechnete sich der große Bolksbändigcr. Die Fluth der
Zeitideen ließ sich nicht znrückdämmen, sondern stürzte immer rascher und rascher
über die kaiserlichen Grenze» und das gemeinsame Streben nach geistiger Verjün¬
gung besiegte den kleinen Zwiespalt der Stämme, ohne ihre Individualität zu
verwischen. Sie lernten einander achten und lieben. Der Ungar spornte den
Böhmen, der Böhme den Wiener und als das Wiener Volk endlich am 13. März
mit so edlem Muth das Siegel von seinen Lippen riß, verwandelte sich die stolze
Mißstimmung des Magyaren und Czechen gegen „die artigen Muttersöhnchen der
Monarchie" in brüderliche Zustimmung und freudige Anerkennung eines lange
verkannten Volkes. ' -

Vernichtet, ihr Wiener, jetzt nicht euer eigenes Werk. Aus eiuer Gruppe
zusammengebundener Völker soll ein Völkerbund werden, der durch den Anschluß
an den großen deutscheu Bund neue Kraft und junges Leben gewinnt, aber mit
Feuer und Schwert gezwungene Mitglieder stärken keine Brüderschaft und der An¬
schluß an Deutschland, wenn er mehr als ein Wort sein soll, schließt die Idee
einer kaiserlichen Großmacht außerhalb Deutschlands vollständig aus. Ein Kai-
serthum, das zu seinem Bestande die italienische und polnische Z w i n g Herrschaft
braucht, — eine Waffe, die euer Maulkorb werden wird, wie sie es oft gewe¬
sen ist, — wäre die alte metternichische Unnatur. Das Beiwort „constitutionell"
würde sie nur schlecht übertünchen.

Oder meint ihr, die Eroberungen des Kaiserthums dem auferstehenden Deutsch¬
land als Morgengabe darzubringen? So fragt doch erst, ob die deutsche Nation
euch dafür danken wird. Ihr seid fortan solidarisch mit Schwaben und Fran¬
ken, mit Baiern und Hessen n. s. w. verbunden. Fragt am Neckar und am
Rheine, an der Oder und an der Donauquelle, wie die Völker sprechen — und
ihr werdet schamrot!) werden. Mit Zorn und Schmerz, um deu gelindesten Aus¬
druck zu gebrauchen, liest mau in der Wiener Zeitung einen Aufruf zur patrioti¬
schen Bekämpfung Italiens! Hat euch der Vorsatz, constitutionell zu sein, plötz¬
lich ein Zwangsrecht gegen Mailand gegeben? Das deutsche Volk ist klug und
gerecht. Es wird euch von sich stoße«, wenn ihr, mit einer drohenden ausländi¬
schen Hausmacht gewaffnet, in seinen Kreis treten wollt. Ein gutes Gewissen thut
zur Wiedergeburt Deutschlands vor Allem Noth! rief unlängst tausendstimmig eine
große Volksversammlung. Gerechtigkeit will Deutschland nach allen Seiten. Das
Jahr 1848 hat nicht blos für uns, es hat auch ein wenig für Italien und Polen
geschlagen.

Preußen ist bereit, das halbgermanistrte -Posen oder doch den größten Theil
davon zu opfern, und Oesterreich besinnt sich, Italien und Galizien frei zu geben?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/15>, abgerufen am 03.07.2024.