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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Ein Ländercomplex bildet noch keinen lebendigen Staat und eine Gruppe
zusammengebundener Völkerschaften keinen Völkerbund. Unter der Voraussetzung,
daß Deutschland als nationale Macht verkümmerte, daß Polen begraben und Ita¬
lien ein geographischer Begriff blieb, hatte es einen Sinn -- einen traurigen
jedenfalls -- daß noch ein paar Trümmer gescheiterter Nationalitäten an das
österreichische Länderbündel angeschwemmt wurden. Das Kaiserthum war dann
eine wohlthätige Anstalt für bankrotte VoMstämme der verschiedensten Art, die
sich gezwungen sahen, unter die väterliche Obhut einer altehrwürdigen Herrscher-
familie zu flüchten. Es war ein großes Kloster für unglückliche Völkerrcste, die
nach bittern Enttäuschungen in der Weltgeschichte die Kutte nehmen und das Ge¬
lübde politischer Entsagung und geistiger Armuth ablegen mußten. In anderer
Beziehung war die Disciplin so milde als möglich. Jedem blieb seine angeborne
Mundart, uur sollte sie nicht zur schöpferischen Sprache werden, jedem blieben
seine geschichtlichen Erinnerungen, nur sollten sie kein prophetischer Spiegel einer
schöner" Zukunft sein. Diese hohle Voraussetzung war der Felsen, auf den Fürst
Metternich baute.... --

Die Völker in Oesterreich galten ihm nur als Product ihres Grund und
Bodens, nur als die nothwendigen Werkzeuge zur Ausbeutung der geographischen,
militärischen und commerziellen Vortheile, welche die Lage der Monarchie gewährt.
Er scheute das Germanisireu, nicht aus Gerechtigkeit gegen Polen oder Italiener,
sondern weil zu den Hebeln der Germanisation die geistige Bewegung gehörte.
Wie die Soldateska, so benutzte er die Stamm- und Sprachverschiedeuhciteu.
Der Böhme sollte deu Ungar, der Ungar den Lombarden, der Lombarde den
Deutschen bewachen; eine Nationalität sollte auf dieselbe Weise die andere ab-
tödten, denn statt des freien geistigen Wetteifers begünstigte er nur kleinliche Eifer¬
süchteleien zwischen ihnen und durch deu Mund seiner Panegyriker verkündigte er
dann dem Weste", wie das Kaiserthum eben so gilt eine slavische und italienische
als deutsche Großmacht sei. Die Großmächtigkeit beruhte aber nur auf der Ge¬
ringschätzung aller Nationalitäten und auf der chimärischen Hoffnung, daß im
Lauf der Zeit diese bunten Völkerschaften in eine große Unterthanenmasse zusam¬
menfaulen würden, welcher das Cabinet sein beliebiges Gepräge geben konnte.
Ein k. k. österreichisches Bewußtsein sollte das Nationalgefühl dieser ganz neuen un¬
natürlichen Eomposttivn werde"!

Das korinthische Erz wollte aber nicht in Fluß kommen. Umgekehrt, seit
Jahrzehenden regte sich ein neuer Lebenstrieb nnter den eingelnllten Völkern und
als der große Menschenzähmer sein Werk bedroht sah, neigte er sich immer mehr
nach Osten. Unter den heterogenen Elementen Oesterreichs zog er jedes dem ger¬
manischen vor. Slaven und Magyaren wurde freiere Rede und Schrift gegönnt
als den Deutschen, denn das Siegel ans dem Munde Deutschösterreichs, meinte
er, verzögerte und hemmte den Zufluß moderner Ideen, für welche die östlichen


Ein Ländercomplex bildet noch keinen lebendigen Staat und eine Gruppe
zusammengebundener Völkerschaften keinen Völkerbund. Unter der Voraussetzung,
daß Deutschland als nationale Macht verkümmerte, daß Polen begraben und Ita¬
lien ein geographischer Begriff blieb, hatte es einen Sinn — einen traurigen
jedenfalls — daß noch ein paar Trümmer gescheiterter Nationalitäten an das
österreichische Länderbündel angeschwemmt wurden. Das Kaiserthum war dann
eine wohlthätige Anstalt für bankrotte VoMstämme der verschiedensten Art, die
sich gezwungen sahen, unter die väterliche Obhut einer altehrwürdigen Herrscher-
familie zu flüchten. Es war ein großes Kloster für unglückliche Völkerrcste, die
nach bittern Enttäuschungen in der Weltgeschichte die Kutte nehmen und das Ge¬
lübde politischer Entsagung und geistiger Armuth ablegen mußten. In anderer
Beziehung war die Disciplin so milde als möglich. Jedem blieb seine angeborne
Mundart, uur sollte sie nicht zur schöpferischen Sprache werden, jedem blieben
seine geschichtlichen Erinnerungen, nur sollten sie kein prophetischer Spiegel einer
schöner» Zukunft sein. Diese hohle Voraussetzung war der Felsen, auf den Fürst
Metternich baute.... —

Die Völker in Oesterreich galten ihm nur als Product ihres Grund und
Bodens, nur als die nothwendigen Werkzeuge zur Ausbeutung der geographischen,
militärischen und commerziellen Vortheile, welche die Lage der Monarchie gewährt.
Er scheute das Germanisireu, nicht aus Gerechtigkeit gegen Polen oder Italiener,
sondern weil zu den Hebeln der Germanisation die geistige Bewegung gehörte.
Wie die Soldateska, so benutzte er die Stamm- und Sprachverschiedeuhciteu.
Der Böhme sollte deu Ungar, der Ungar den Lombarden, der Lombarde den
Deutschen bewachen; eine Nationalität sollte auf dieselbe Weise die andere ab-
tödten, denn statt des freien geistigen Wetteifers begünstigte er nur kleinliche Eifer¬
süchteleien zwischen ihnen und durch deu Mund seiner Panegyriker verkündigte er
dann dem Weste», wie das Kaiserthum eben so gilt eine slavische und italienische
als deutsche Großmacht sei. Die Großmächtigkeit beruhte aber nur auf der Ge¬
ringschätzung aller Nationalitäten und auf der chimärischen Hoffnung, daß im
Lauf der Zeit diese bunten Völkerschaften in eine große Unterthanenmasse zusam¬
menfaulen würden, welcher das Cabinet sein beliebiges Gepräge geben konnte.
Ein k. k. österreichisches Bewußtsein sollte das Nationalgefühl dieser ganz neuen un¬
natürlichen Eomposttivn werde»!

Das korinthische Erz wollte aber nicht in Fluß kommen. Umgekehrt, seit
Jahrzehenden regte sich ein neuer Lebenstrieb nnter den eingelnllten Völkern und
als der große Menschenzähmer sein Werk bedroht sah, neigte er sich immer mehr
nach Osten. Unter den heterogenen Elementen Oesterreichs zog er jedes dem ger¬
manischen vor. Slaven und Magyaren wurde freiere Rede und Schrift gegönnt
als den Deutschen, denn das Siegel ans dem Munde Deutschösterreichs, meinte
er, verzögerte und hemmte den Zufluß moderner Ideen, für welche die östlichen


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[0014] Ein Ländercomplex bildet noch keinen lebendigen Staat und eine Gruppe zusammengebundener Völkerschaften keinen Völkerbund. Unter der Voraussetzung, daß Deutschland als nationale Macht verkümmerte, daß Polen begraben und Ita¬ lien ein geographischer Begriff blieb, hatte es einen Sinn — einen traurigen jedenfalls — daß noch ein paar Trümmer gescheiterter Nationalitäten an das österreichische Länderbündel angeschwemmt wurden. Das Kaiserthum war dann eine wohlthätige Anstalt für bankrotte VoMstämme der verschiedensten Art, die sich gezwungen sahen, unter die väterliche Obhut einer altehrwürdigen Herrscher- familie zu flüchten. Es war ein großes Kloster für unglückliche Völkerrcste, die nach bittern Enttäuschungen in der Weltgeschichte die Kutte nehmen und das Ge¬ lübde politischer Entsagung und geistiger Armuth ablegen mußten. In anderer Beziehung war die Disciplin so milde als möglich. Jedem blieb seine angeborne Mundart, uur sollte sie nicht zur schöpferischen Sprache werden, jedem blieben seine geschichtlichen Erinnerungen, nur sollten sie kein prophetischer Spiegel einer schöner» Zukunft sein. Diese hohle Voraussetzung war der Felsen, auf den Fürst Metternich baute.... — Die Völker in Oesterreich galten ihm nur als Product ihres Grund und Bodens, nur als die nothwendigen Werkzeuge zur Ausbeutung der geographischen, militärischen und commerziellen Vortheile, welche die Lage der Monarchie gewährt. Er scheute das Germanisireu, nicht aus Gerechtigkeit gegen Polen oder Italiener, sondern weil zu den Hebeln der Germanisation die geistige Bewegung gehörte. Wie die Soldateska, so benutzte er die Stamm- und Sprachverschiedeuhciteu. Der Böhme sollte deu Ungar, der Ungar den Lombarden, der Lombarde den Deutschen bewachen; eine Nationalität sollte auf dieselbe Weise die andere ab- tödten, denn statt des freien geistigen Wetteifers begünstigte er nur kleinliche Eifer¬ süchteleien zwischen ihnen und durch deu Mund seiner Panegyriker verkündigte er dann dem Weste», wie das Kaiserthum eben so gilt eine slavische und italienische als deutsche Großmacht sei. Die Großmächtigkeit beruhte aber nur auf der Ge¬ ringschätzung aller Nationalitäten und auf der chimärischen Hoffnung, daß im Lauf der Zeit diese bunten Völkerschaften in eine große Unterthanenmasse zusam¬ menfaulen würden, welcher das Cabinet sein beliebiges Gepräge geben konnte. Ein k. k. österreichisches Bewußtsein sollte das Nationalgefühl dieser ganz neuen un¬ natürlichen Eomposttivn werde»! Das korinthische Erz wollte aber nicht in Fluß kommen. Umgekehrt, seit Jahrzehenden regte sich ein neuer Lebenstrieb nnter den eingelnllten Völkern und als der große Menschenzähmer sein Werk bedroht sah, neigte er sich immer mehr nach Osten. Unter den heterogenen Elementen Oesterreichs zog er jedes dem ger¬ manischen vor. Slaven und Magyaren wurde freiere Rede und Schrift gegönnt als den Deutschen, denn das Siegel ans dem Munde Deutschösterreichs, meinte er, verzögerte und hemmte den Zufluß moderner Ideen, für welche die östlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/14>, abgerufen am 26.06.2024.