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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Den Bürgerkrieg erregt sie, weil Republik für den bei weitem größern Theil des
Volks eben so ein Schreckgespenst ist, als für wenige aufgeregte Köpfe ein Ideal;
wehrlos macht sie uus, weil die Fäden unseres Staatswesens in einer Masse von
Knoten zusammenlaufen, während sie in Frankreich von Einem Punkt ausgingen,
von Einem Punkt, dessen sich die souveräne Republik eben so leicht bemächtigen
konnte, als es vorher der absolute König, als es nachher der kriegerische Kaiser
gethan. Der französische Staat wurde durch die Republik nicht aufgehoben, es
wurde nur die Negierung verändert; bei uns aber wäre die Proclamation der
Republik zunächst Auflösung alles Staatslebens, d. h. Anarchie. Es kommt noch
hinzu, daß die französische Nation trotz aller innern Parteiungen gegen das Aus¬
land immer einig war, eine Einigkeit, die uns durch unsere geschichtliche Entwick¬
lung abgeschnitten wird. Die Italiener, die Franzosen, die Polen, werden bei
einem großen Theile unserer Liberalen mehr Sympathien finden, als die deutschen
Stimmen, gegen welche sie etwa kämpfen; und wenn die Sympathien einmal rege
sind, so hilft eine wohlgemeinte Predigt zu Gunsten des Nationalgefühls nicht viel.

Wie verhängnisvoll jene Illusion ist, zeigt sich am besten in der Art und
Weise, in der die deutschen Republikaner an die Verwirklichung ihrer Ideen gin¬
gen. Abgesehen von der Presse und den Volksversammlungen, für welche man
in der neuen Entwickelung des Vaterlandes jedenfalls die Freiheit der Discussion
in Anspruch nehmen mußte, war es zuerst die Frankfurter Versammlung, dann
geradezu der Aufstand, durch welche die Republik in Deutschland eingeführt wer¬
den sollte.

Die Frankfurter Versammlung -- so wenig ich verkennen will, daß sie durch
den Drang der Umstände nothwendig herbeigeführt wurde -- war ein höchst ge¬
fährliches Werkzeug. Ohne irgend eine gesetzliche Vollmacht, nur auf das mora¬
lische Gewicht der Männer, die sie bildeten, gestützt, unternahm sie es, der ge¬
setzlichen Entwicklung Deutschlands einen bestimmten Gang vorzuschreiben; sie
unternahm es, obgleich die mächtigsten Staaten Deutschlands nur durch einige
zufällige Vertreter in ihr dargestellt wurden.

Die republikanische Partei versuchte diese revolutionäre Versammlung und
damit die Revolution selbst für permanent zu erklären; sie suchte die Versammlung
dahin zu bringen, sich die souveränes -- wenigstens vorläufig -- anzumaßen;
sie ging so weit, das bisherige gesetzliche Organ der deutschen Staaten, den Bun¬
destag, geradezu absetzen zu wollen.

Und hier komme ich auf den zweiten Umstand, der das Aufkommen der re¬
publikanischen Partei in Deutschland erklärt: die volksfeindliche Tendenz der bis¬
herigen Regierungen. Man hat den bisherigen Bundestag eine permanente Kon¬
spiration gegen das deutsche Volk genannt; ein crasser und übertriebener Ausdruck,
dem man aber eine gewisse Wahrheit nicht absprechen kann. Nach den Wiener
Conferenzbeschlüssen war es nicht zu verwundern, daß die radicale Partei in dem


Den Bürgerkrieg erregt sie, weil Republik für den bei weitem größern Theil des
Volks eben so ein Schreckgespenst ist, als für wenige aufgeregte Köpfe ein Ideal;
wehrlos macht sie uus, weil die Fäden unseres Staatswesens in einer Masse von
Knoten zusammenlaufen, während sie in Frankreich von Einem Punkt ausgingen,
von Einem Punkt, dessen sich die souveräne Republik eben so leicht bemächtigen
konnte, als es vorher der absolute König, als es nachher der kriegerische Kaiser
gethan. Der französische Staat wurde durch die Republik nicht aufgehoben, es
wurde nur die Negierung verändert; bei uns aber wäre die Proclamation der
Republik zunächst Auflösung alles Staatslebens, d. h. Anarchie. Es kommt noch
hinzu, daß die französische Nation trotz aller innern Parteiungen gegen das Aus¬
land immer einig war, eine Einigkeit, die uns durch unsere geschichtliche Entwick¬
lung abgeschnitten wird. Die Italiener, die Franzosen, die Polen, werden bei
einem großen Theile unserer Liberalen mehr Sympathien finden, als die deutschen
Stimmen, gegen welche sie etwa kämpfen; und wenn die Sympathien einmal rege
sind, so hilft eine wohlgemeinte Predigt zu Gunsten des Nationalgefühls nicht viel.

Wie verhängnisvoll jene Illusion ist, zeigt sich am besten in der Art und
Weise, in der die deutschen Republikaner an die Verwirklichung ihrer Ideen gin¬
gen. Abgesehen von der Presse und den Volksversammlungen, für welche man
in der neuen Entwickelung des Vaterlandes jedenfalls die Freiheit der Discussion
in Anspruch nehmen mußte, war es zuerst die Frankfurter Versammlung, dann
geradezu der Aufstand, durch welche die Republik in Deutschland eingeführt wer¬
den sollte.

Die Frankfurter Versammlung — so wenig ich verkennen will, daß sie durch
den Drang der Umstände nothwendig herbeigeführt wurde — war ein höchst ge¬
fährliches Werkzeug. Ohne irgend eine gesetzliche Vollmacht, nur auf das mora¬
lische Gewicht der Männer, die sie bildeten, gestützt, unternahm sie es, der ge¬
setzlichen Entwicklung Deutschlands einen bestimmten Gang vorzuschreiben; sie
unternahm es, obgleich die mächtigsten Staaten Deutschlands nur durch einige
zufällige Vertreter in ihr dargestellt wurden.

Die republikanische Partei versuchte diese revolutionäre Versammlung und
damit die Revolution selbst für permanent zu erklären; sie suchte die Versammlung
dahin zu bringen, sich die souveränes — wenigstens vorläufig — anzumaßen;
sie ging so weit, das bisherige gesetzliche Organ der deutschen Staaten, den Bun¬
destag, geradezu absetzen zu wollen.

Und hier komme ich auf den zweiten Umstand, der das Aufkommen der re¬
publikanischen Partei in Deutschland erklärt: die volksfeindliche Tendenz der bis¬
herigen Regierungen. Man hat den bisherigen Bundestag eine permanente Kon¬
spiration gegen das deutsche Volk genannt; ein crasser und übertriebener Ausdruck,
dem man aber eine gewisse Wahrheit nicht absprechen kann. Nach den Wiener
Conferenzbeschlüssen war es nicht zu verwundern, daß die radicale Partei in dem


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[0136] Den Bürgerkrieg erregt sie, weil Republik für den bei weitem größern Theil des Volks eben so ein Schreckgespenst ist, als für wenige aufgeregte Köpfe ein Ideal; wehrlos macht sie uus, weil die Fäden unseres Staatswesens in einer Masse von Knoten zusammenlaufen, während sie in Frankreich von Einem Punkt ausgingen, von Einem Punkt, dessen sich die souveräne Republik eben so leicht bemächtigen konnte, als es vorher der absolute König, als es nachher der kriegerische Kaiser gethan. Der französische Staat wurde durch die Republik nicht aufgehoben, es wurde nur die Negierung verändert; bei uns aber wäre die Proclamation der Republik zunächst Auflösung alles Staatslebens, d. h. Anarchie. Es kommt noch hinzu, daß die französische Nation trotz aller innern Parteiungen gegen das Aus¬ land immer einig war, eine Einigkeit, die uns durch unsere geschichtliche Entwick¬ lung abgeschnitten wird. Die Italiener, die Franzosen, die Polen, werden bei einem großen Theile unserer Liberalen mehr Sympathien finden, als die deutschen Stimmen, gegen welche sie etwa kämpfen; und wenn die Sympathien einmal rege sind, so hilft eine wohlgemeinte Predigt zu Gunsten des Nationalgefühls nicht viel. Wie verhängnisvoll jene Illusion ist, zeigt sich am besten in der Art und Weise, in der die deutschen Republikaner an die Verwirklichung ihrer Ideen gin¬ gen. Abgesehen von der Presse und den Volksversammlungen, für welche man in der neuen Entwickelung des Vaterlandes jedenfalls die Freiheit der Discussion in Anspruch nehmen mußte, war es zuerst die Frankfurter Versammlung, dann geradezu der Aufstand, durch welche die Republik in Deutschland eingeführt wer¬ den sollte. Die Frankfurter Versammlung — so wenig ich verkennen will, daß sie durch den Drang der Umstände nothwendig herbeigeführt wurde — war ein höchst ge¬ fährliches Werkzeug. Ohne irgend eine gesetzliche Vollmacht, nur auf das mora¬ lische Gewicht der Männer, die sie bildeten, gestützt, unternahm sie es, der ge¬ setzlichen Entwicklung Deutschlands einen bestimmten Gang vorzuschreiben; sie unternahm es, obgleich die mächtigsten Staaten Deutschlands nur durch einige zufällige Vertreter in ihr dargestellt wurden. Die republikanische Partei versuchte diese revolutionäre Versammlung und damit die Revolution selbst für permanent zu erklären; sie suchte die Versammlung dahin zu bringen, sich die souveränes — wenigstens vorläufig — anzumaßen; sie ging so weit, das bisherige gesetzliche Organ der deutschen Staaten, den Bun¬ destag, geradezu absetzen zu wollen. Und hier komme ich auf den zweiten Umstand, der das Aufkommen der re¬ publikanischen Partei in Deutschland erklärt: die volksfeindliche Tendenz der bis¬ herigen Regierungen. Man hat den bisherigen Bundestag eine permanente Kon¬ spiration gegen das deutsche Volk genannt; ein crasser und übertriebener Ausdruck, dem man aber eine gewisse Wahrheit nicht absprechen kann. Nach den Wiener Conferenzbeschlüssen war es nicht zu verwundern, daß die radicale Partei in dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/136>, abgerufen am 29.06.2024.