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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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in Rußlands Schneefeldern gaben der Phantasie einen concreteren und erfreuliche¬
ren Stoff, als die Guillotine, mit welcher die "tugendhaften" Männer des Berges
die Brutalität des Pariser Pöbels amüsirten.

Wir Deutschen haben ein solches Ideal in der Vergangenheit keineswegs, für
uns liegt in dem Worte Republik nicht eine bestimmte Anschauung, sondern ein
allgemeiner Begriff, der logisch analysirt, nicht in leidenschaftlicher Erregung auf
den Altar einer heiligen Kirche gehoben sein will.

Republik in positivem Sinne heißt Selbstregierung: diejenige Staatsverfassung,
in welcher die Gemeinden ihre Angelegenheiten selbst verwalten und in die politi¬
schen Verhältnisse des ganzen Gemeinwesens theils activ durch ihre Repräsentan¬
ten, theils controlirend eingreifen. In diesem Sinne ist England eine Republik,
und zwar weit mehr, als es Frankreich, das durch seine Centralisation die eigent¬
lich organischen Kräfte des großen Staatskörpers absorbirt hat, je werden wird.
In diesem Sinne, und nur in diesem, ist die ganze deutsche Bewegung eine re¬
publikanische zu nennen, denn sie will den Beamtenstaat aufheben, der bisher wie
eine fremde, überirdische Macht die unmündigen Unterthanen, nach seiner Erklä¬
rung, zu ihrem Besten, jedenfalls aber ohne ihr Zuthun, bevormundet hat; sie
will den Militärstaat aufheben, der das Volk, um es zu schützen, wehrlos machte;
sie will endlich den christlichen Staat aufheben, in dem jene Transcendenz des
Staatswesens -- ein philosophischer Begriff für die absolute Trennung der idealen
und realen Functionen des Lebens, der jetzt durch die kirchlichen Parteiungen po¬
pulär genug geworden ist, -- in dem dieser Aberglaube an das absolute Regiment
von Gottes Gnaden seinen reinsten und eben deshalb abscheulichsten Ausdruck fand.

In diesem Sinne nennen wir uns alle Republikaner. Wir wollen alle Selbst¬
regierung der Gemeinden, directe Betheiligung des gesammten Volkes bei der
Gesetzgebung des Staats, Controle über die Ausführung der Gesetze, Wehrhaft-
machung der Nation, religiöse Autonomie. Der Staat soll nicht mehr ein vor¬
mundschaftliches Institut für Kinder, Blödsinnige und Invaliden sein, sondern ein
lebendiger Organismus, in dem jedes Glied, ohne das andere zu stören, kraft¬
voll in das Nervengeflecht und den Pulsschlag des Gesammtlebens eingreift.

Aber so verstehen es die specifischen Republikaner keineswegs, Sie fassen von
der Republik nur die negative Seite, d. h. Abschaffung der Könige. Wenn man
mit den Königen fertig ist, so meinen sie, werde sich die Selbstregierung von
selber finden. Eine Illusion, mit der man logisch sehr leicht fertig werden könnte,
die aber in der furchtbare" Krisis, in der Deutschland schwebt, von den verhäng¬
nisvollsten Folgen sein könnte und gegen die man nöthigenfalls mit dem Schwert
gerüstet sein muß.

Verhängnisvoll ist jene Illusion darum, weil sie den Bürgerkrieg hervorruft
und weil sie Deutschland gegen den Angriff, der ihm von vier Seiten droht
von Dänemark, von Polen, von Italien, von Belgien her ^- wehrlos macht.


"Nrenzboten. II. iSi". 17

in Rußlands Schneefeldern gaben der Phantasie einen concreteren und erfreuliche¬
ren Stoff, als die Guillotine, mit welcher die „tugendhaften" Männer des Berges
die Brutalität des Pariser Pöbels amüsirten.

Wir Deutschen haben ein solches Ideal in der Vergangenheit keineswegs, für
uns liegt in dem Worte Republik nicht eine bestimmte Anschauung, sondern ein
allgemeiner Begriff, der logisch analysirt, nicht in leidenschaftlicher Erregung auf
den Altar einer heiligen Kirche gehoben sein will.

Republik in positivem Sinne heißt Selbstregierung: diejenige Staatsverfassung,
in welcher die Gemeinden ihre Angelegenheiten selbst verwalten und in die politi¬
schen Verhältnisse des ganzen Gemeinwesens theils activ durch ihre Repräsentan¬
ten, theils controlirend eingreifen. In diesem Sinne ist England eine Republik,
und zwar weit mehr, als es Frankreich, das durch seine Centralisation die eigent¬
lich organischen Kräfte des großen Staatskörpers absorbirt hat, je werden wird.
In diesem Sinne, und nur in diesem, ist die ganze deutsche Bewegung eine re¬
publikanische zu nennen, denn sie will den Beamtenstaat aufheben, der bisher wie
eine fremde, überirdische Macht die unmündigen Unterthanen, nach seiner Erklä¬
rung, zu ihrem Besten, jedenfalls aber ohne ihr Zuthun, bevormundet hat; sie
will den Militärstaat aufheben, der das Volk, um es zu schützen, wehrlos machte;
sie will endlich den christlichen Staat aufheben, in dem jene Transcendenz des
Staatswesens — ein philosophischer Begriff für die absolute Trennung der idealen
und realen Functionen des Lebens, der jetzt durch die kirchlichen Parteiungen po¬
pulär genug geworden ist, — in dem dieser Aberglaube an das absolute Regiment
von Gottes Gnaden seinen reinsten und eben deshalb abscheulichsten Ausdruck fand.

In diesem Sinne nennen wir uns alle Republikaner. Wir wollen alle Selbst¬
regierung der Gemeinden, directe Betheiligung des gesammten Volkes bei der
Gesetzgebung des Staats, Controle über die Ausführung der Gesetze, Wehrhaft-
machung der Nation, religiöse Autonomie. Der Staat soll nicht mehr ein vor¬
mundschaftliches Institut für Kinder, Blödsinnige und Invaliden sein, sondern ein
lebendiger Organismus, in dem jedes Glied, ohne das andere zu stören, kraft¬
voll in das Nervengeflecht und den Pulsschlag des Gesammtlebens eingreift.

Aber so verstehen es die specifischen Republikaner keineswegs, Sie fassen von
der Republik nur die negative Seite, d. h. Abschaffung der Könige. Wenn man
mit den Königen fertig ist, so meinen sie, werde sich die Selbstregierung von
selber finden. Eine Illusion, mit der man logisch sehr leicht fertig werden könnte,
die aber in der furchtbare» Krisis, in der Deutschland schwebt, von den verhäng¬
nisvollsten Folgen sein könnte und gegen die man nöthigenfalls mit dem Schwert
gerüstet sein muß.

Verhängnisvoll ist jene Illusion darum, weil sie den Bürgerkrieg hervorruft
und weil sie Deutschland gegen den Angriff, der ihm von vier Seiten droht
von Dänemark, von Polen, von Italien, von Belgien her ^- wehrlos macht.


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[0135] in Rußlands Schneefeldern gaben der Phantasie einen concreteren und erfreuliche¬ ren Stoff, als die Guillotine, mit welcher die „tugendhaften" Männer des Berges die Brutalität des Pariser Pöbels amüsirten. Wir Deutschen haben ein solches Ideal in der Vergangenheit keineswegs, für uns liegt in dem Worte Republik nicht eine bestimmte Anschauung, sondern ein allgemeiner Begriff, der logisch analysirt, nicht in leidenschaftlicher Erregung auf den Altar einer heiligen Kirche gehoben sein will. Republik in positivem Sinne heißt Selbstregierung: diejenige Staatsverfassung, in welcher die Gemeinden ihre Angelegenheiten selbst verwalten und in die politi¬ schen Verhältnisse des ganzen Gemeinwesens theils activ durch ihre Repräsentan¬ ten, theils controlirend eingreifen. In diesem Sinne ist England eine Republik, und zwar weit mehr, als es Frankreich, das durch seine Centralisation die eigent¬ lich organischen Kräfte des großen Staatskörpers absorbirt hat, je werden wird. In diesem Sinne, und nur in diesem, ist die ganze deutsche Bewegung eine re¬ publikanische zu nennen, denn sie will den Beamtenstaat aufheben, der bisher wie eine fremde, überirdische Macht die unmündigen Unterthanen, nach seiner Erklä¬ rung, zu ihrem Besten, jedenfalls aber ohne ihr Zuthun, bevormundet hat; sie will den Militärstaat aufheben, der das Volk, um es zu schützen, wehrlos machte; sie will endlich den christlichen Staat aufheben, in dem jene Transcendenz des Staatswesens — ein philosophischer Begriff für die absolute Trennung der idealen und realen Functionen des Lebens, der jetzt durch die kirchlichen Parteiungen po¬ pulär genug geworden ist, — in dem dieser Aberglaube an das absolute Regiment von Gottes Gnaden seinen reinsten und eben deshalb abscheulichsten Ausdruck fand. In diesem Sinne nennen wir uns alle Republikaner. Wir wollen alle Selbst¬ regierung der Gemeinden, directe Betheiligung des gesammten Volkes bei der Gesetzgebung des Staats, Controle über die Ausführung der Gesetze, Wehrhaft- machung der Nation, religiöse Autonomie. Der Staat soll nicht mehr ein vor¬ mundschaftliches Institut für Kinder, Blödsinnige und Invaliden sein, sondern ein lebendiger Organismus, in dem jedes Glied, ohne das andere zu stören, kraft¬ voll in das Nervengeflecht und den Pulsschlag des Gesammtlebens eingreift. Aber so verstehen es die specifischen Republikaner keineswegs, Sie fassen von der Republik nur die negative Seite, d. h. Abschaffung der Könige. Wenn man mit den Königen fertig ist, so meinen sie, werde sich die Selbstregierung von selber finden. Eine Illusion, mit der man logisch sehr leicht fertig werden könnte, die aber in der furchtbare» Krisis, in der Deutschland schwebt, von den verhäng¬ nisvollsten Folgen sein könnte und gegen die man nöthigenfalls mit dem Schwert gerüstet sein muß. Verhängnisvoll ist jene Illusion darum, weil sie den Bürgerkrieg hervorruft und weil sie Deutschland gegen den Angriff, der ihm von vier Seiten droht von Dänemark, von Polen, von Italien, von Belgien her ^- wehrlos macht. «Nrenzboten. II. iSi». 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/135>, abgerufen am 22.07.2024.