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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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ein Zeugniß für die Schwäche des Ministers des Innern. Wozu ist die Ver¬
antwortlichkeit der Minister ausgesprochen, wenn ein Minister gegen seine
Ueberzeugung ein Gesetz mit seiner Signatur erscheinen läßt und dann, nach¬
dem sich die öffentliche Meinung mit Entschiedenheit dagegen ausgesprochen hat,
noch auf seinem Platze bleibt? Ja, die Regierung hat bis jetzt das Gesetz noch
nicht zurückgenommen oder wesentlich modificirt. Der Justizminister hat blos
den Gerichtsstellen eine Erklärung über den Geist des Gesetzes zukommen lassen").
Aber ein Gesetz, dessen ganzer Inhalt und dessen einzelne Paragraphe eine offene
Verhöhnung jedes geistigen Rechtes aussprechen, wird am allerwenigsten einem
östreichischen Gerichtsbeamten, welcher an das peinliche und heimliche Gerichtsver¬
fahren gewöhnt ist, irgend welche Achtung vor den Ansprüchen des Geistes ein¬
flößen können. Ueberdies ist die administrative und richterliche Gewalt in Oestreich
noch zu sehr mit einander verknüpft, als daß von der Unparteilichkeit der Ge¬
richte, besonders in Bezug auf Preßvergehen, etwas zu hoffen wäre. -- Nehmen
wir endlich noch die Politik in Betracht, welche das Ministerium des Innern den
ausgesprochenen Wünschen und Forderungen der einzelnen Provinzen gegenüber
befolgt hat, so. können wir hierin weder staatsmännischen Takt noch Energie ent¬
decken. Die halben Zugeständnisse haben theils eine größere Aufregung hervorge¬
rufen, wie in Böhmen, theils haben durch die Kraftlosigkeit der Regierungsorgane
und durch das fortbestehende Mißtraue" des Volkes, welchem das Ministerium,
durch eine offene, entschiedene Erklärung zu begegnen, noch nicht für gut befunden
hat, die einzelnen Stände eine bedrohliche Haltung gegen einander angenommen,
wie dies in Galizien der Fall ist. Der Grundbesitz ist an allen Orten gefährdet,
die öffentliche Ruhe gestört, der Bauer- und Arbeiterstand zu blutigen Excessen
geneigt, der Adel rathlos und die Regierung ohnmächtig. So findet der Staat
jetzt feine einzige Stütze in dem Kerne des Bürgerstandes, welcher alle Kräfte auf¬
bietet, um der einreißenden Anarchie zu steuern. Trotzdem hat das Ministerium
die allgemeine Volksbewaffnung noch nicht angeordnet und überläßt die Aufrecht¬
haltung der Gesetze und der öffentlichen Ordnung dem Zufalle, oder was im ge¬
genwärtigen Augenblicke dasselbe bedeutet, dem Gutdünken der Gouverneure und
Kreisbeamten. --

Das Finanzministerium hat sogleich nach den ersten Tagen der Revolution
eine Uebersicht des Staatshaushaltes für die Finanzperiode von 1840 bis 1847,
so wie später das Budget für 1848 veröffentlicht. Es hat hierdurch den Credit des
Staates, so wie das Vertrauen der Industrie und Handelswelt im Inlande sichtlich
gehoben. , Das Budget für das laufende Jahr wird wohl durch die veränderten
Verhältnisse in Ungarn und Italien, so wie durch die Kriegskosten eine wesentliche



*) Wie stimmt damit die Erklärung des Hofrath Salzgeber zusammen: daß das Preßgesetz
faktisch gar nicht bestehe, weil es nicht in der legalen Form verkündet wurde?

ein Zeugniß für die Schwäche des Ministers des Innern. Wozu ist die Ver¬
antwortlichkeit der Minister ausgesprochen, wenn ein Minister gegen seine
Ueberzeugung ein Gesetz mit seiner Signatur erscheinen läßt und dann, nach¬
dem sich die öffentliche Meinung mit Entschiedenheit dagegen ausgesprochen hat,
noch auf seinem Platze bleibt? Ja, die Regierung hat bis jetzt das Gesetz noch
nicht zurückgenommen oder wesentlich modificirt. Der Justizminister hat blos
den Gerichtsstellen eine Erklärung über den Geist des Gesetzes zukommen lassen").
Aber ein Gesetz, dessen ganzer Inhalt und dessen einzelne Paragraphe eine offene
Verhöhnung jedes geistigen Rechtes aussprechen, wird am allerwenigsten einem
östreichischen Gerichtsbeamten, welcher an das peinliche und heimliche Gerichtsver¬
fahren gewöhnt ist, irgend welche Achtung vor den Ansprüchen des Geistes ein¬
flößen können. Ueberdies ist die administrative und richterliche Gewalt in Oestreich
noch zu sehr mit einander verknüpft, als daß von der Unparteilichkeit der Ge¬
richte, besonders in Bezug auf Preßvergehen, etwas zu hoffen wäre. — Nehmen
wir endlich noch die Politik in Betracht, welche das Ministerium des Innern den
ausgesprochenen Wünschen und Forderungen der einzelnen Provinzen gegenüber
befolgt hat, so. können wir hierin weder staatsmännischen Takt noch Energie ent¬
decken. Die halben Zugeständnisse haben theils eine größere Aufregung hervorge¬
rufen, wie in Böhmen, theils haben durch die Kraftlosigkeit der Regierungsorgane
und durch das fortbestehende Mißtraue» des Volkes, welchem das Ministerium,
durch eine offene, entschiedene Erklärung zu begegnen, noch nicht für gut befunden
hat, die einzelnen Stände eine bedrohliche Haltung gegen einander angenommen,
wie dies in Galizien der Fall ist. Der Grundbesitz ist an allen Orten gefährdet,
die öffentliche Ruhe gestört, der Bauer- und Arbeiterstand zu blutigen Excessen
geneigt, der Adel rathlos und die Regierung ohnmächtig. So findet der Staat
jetzt feine einzige Stütze in dem Kerne des Bürgerstandes, welcher alle Kräfte auf¬
bietet, um der einreißenden Anarchie zu steuern. Trotzdem hat das Ministerium
die allgemeine Volksbewaffnung noch nicht angeordnet und überläßt die Aufrecht¬
haltung der Gesetze und der öffentlichen Ordnung dem Zufalle, oder was im ge¬
genwärtigen Augenblicke dasselbe bedeutet, dem Gutdünken der Gouverneure und
Kreisbeamten. —

Das Finanzministerium hat sogleich nach den ersten Tagen der Revolution
eine Uebersicht des Staatshaushaltes für die Finanzperiode von 1840 bis 1847,
so wie später das Budget für 1848 veröffentlicht. Es hat hierdurch den Credit des
Staates, so wie das Vertrauen der Industrie und Handelswelt im Inlande sichtlich
gehoben. , Das Budget für das laufende Jahr wird wohl durch die veränderten
Verhältnisse in Ungarn und Italien, so wie durch die Kriegskosten eine wesentliche



*) Wie stimmt damit die Erklärung des Hofrath Salzgeber zusammen: daß das Preßgesetz
faktisch gar nicht bestehe, weil es nicht in der legalen Form verkündet wurde?
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[0102] ein Zeugniß für die Schwäche des Ministers des Innern. Wozu ist die Ver¬ antwortlichkeit der Minister ausgesprochen, wenn ein Minister gegen seine Ueberzeugung ein Gesetz mit seiner Signatur erscheinen läßt und dann, nach¬ dem sich die öffentliche Meinung mit Entschiedenheit dagegen ausgesprochen hat, noch auf seinem Platze bleibt? Ja, die Regierung hat bis jetzt das Gesetz noch nicht zurückgenommen oder wesentlich modificirt. Der Justizminister hat blos den Gerichtsstellen eine Erklärung über den Geist des Gesetzes zukommen lassen"). Aber ein Gesetz, dessen ganzer Inhalt und dessen einzelne Paragraphe eine offene Verhöhnung jedes geistigen Rechtes aussprechen, wird am allerwenigsten einem östreichischen Gerichtsbeamten, welcher an das peinliche und heimliche Gerichtsver¬ fahren gewöhnt ist, irgend welche Achtung vor den Ansprüchen des Geistes ein¬ flößen können. Ueberdies ist die administrative und richterliche Gewalt in Oestreich noch zu sehr mit einander verknüpft, als daß von der Unparteilichkeit der Ge¬ richte, besonders in Bezug auf Preßvergehen, etwas zu hoffen wäre. — Nehmen wir endlich noch die Politik in Betracht, welche das Ministerium des Innern den ausgesprochenen Wünschen und Forderungen der einzelnen Provinzen gegenüber befolgt hat, so. können wir hierin weder staatsmännischen Takt noch Energie ent¬ decken. Die halben Zugeständnisse haben theils eine größere Aufregung hervorge¬ rufen, wie in Böhmen, theils haben durch die Kraftlosigkeit der Regierungsorgane und durch das fortbestehende Mißtraue» des Volkes, welchem das Ministerium, durch eine offene, entschiedene Erklärung zu begegnen, noch nicht für gut befunden hat, die einzelnen Stände eine bedrohliche Haltung gegen einander angenommen, wie dies in Galizien der Fall ist. Der Grundbesitz ist an allen Orten gefährdet, die öffentliche Ruhe gestört, der Bauer- und Arbeiterstand zu blutigen Excessen geneigt, der Adel rathlos und die Regierung ohnmächtig. So findet der Staat jetzt feine einzige Stütze in dem Kerne des Bürgerstandes, welcher alle Kräfte auf¬ bietet, um der einreißenden Anarchie zu steuern. Trotzdem hat das Ministerium die allgemeine Volksbewaffnung noch nicht angeordnet und überläßt die Aufrecht¬ haltung der Gesetze und der öffentlichen Ordnung dem Zufalle, oder was im ge¬ genwärtigen Augenblicke dasselbe bedeutet, dem Gutdünken der Gouverneure und Kreisbeamten. — Das Finanzministerium hat sogleich nach den ersten Tagen der Revolution eine Uebersicht des Staatshaushaltes für die Finanzperiode von 1840 bis 1847, so wie später das Budget für 1848 veröffentlicht. Es hat hierdurch den Credit des Staates, so wie das Vertrauen der Industrie und Handelswelt im Inlande sichtlich gehoben. , Das Budget für das laufende Jahr wird wohl durch die veränderten Verhältnisse in Ungarn und Italien, so wie durch die Kriegskosten eine wesentliche *) Wie stimmt damit die Erklärung des Hofrath Salzgeber zusammen: daß das Preßgesetz faktisch gar nicht bestehe, weil es nicht in der legalen Form verkündet wurde?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/102>, abgerufen am 29.06.2024.