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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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wenigstens dadurch sein aufrichtiges Verständniß einer constitutionellen Staatsform
bewiesen, daß er die altherkömmliche Schweigsamkeit der Regierung gebrochen und
seine Ansichten über den gegenwärtigen Staatszustand im Allgemeinen ausgesprochen
hat. Besonderes Vertrauen erweckte der Erlaß an die Polizeibehörden, betreffend das
Verfahren bei Verhaftungen und Eingriffen in die persönliche Freiheit der Bürger.
Die Verantwortlichkeit 'der Beamten ist jedoch, in so lange uicht öffentliches und
mündliches Gerichtsverfahren im ganzen Lande eingeführt und der Gebrauch der
freien Presse durch Geschwornengerichte gesichert ist, nur chimärisch. Auch das
Betragen der Polizeibehörden gegenüber den Parteien, welches bis jetzt menschen¬
feindlich genannt werden konnte, wird sich schwerlich ändern, wenn nicht die Po¬
lizeigewalt in die Hände der Communen übergeht, so lange nicht durch die Con-
stitutionsacte vollkommene Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetze und die
Verpflichtung der Beamten auf die Verfassung ausgesprochen ist.

Das Ministerium des Innern hätte also, um einige wahrhafte reelle Reformen
in dieser Beziehung einzuführen, gewisse Bestimmungen aufheben müssen, welche
bis jetzt das Rechtsgefühl jedes Bürgers empört haben. Wir erwähnen hier nur
das ganze Unwesen mit den Pässen und Passirscheinen, welches den reisenden
Oestreicher unter beständiger Polizeicontrole hält, den Verkehr selbst zwischen den
einzelnen Provinzen lähmt und überhaupt der Willkür des niedrigste" Polizei-
beamten freien Spielraum gewährt.

Ferner ist in Bezug auf Haussuchungen der Polizei, welche bisher nächtlich
und mit einer wahren Berserkerrohheit geschehen sind, so wie in Betreff der gehei¬
men Conduitelisten nichts vorgesehen, eben so wenig als die mittelalterliche Ein¬
richtung eines besondern Judenamtes und der besonderen Passirzcttel und Geld-
erpressuugeu bereits aufgehoben ist*).

Die Bureaukratie, welche bisher einem Sedlinitzky gedient hat, kann nicht
durch freisinnige Grundsätze eines Ministers, sondern nur durch bestimmte Ver¬
ordnungen im Geiste der neuen Zeit zu einer Aenderung ihres Verfahrens ge¬
zwungen werden.

Das provisorische Prcßgesctz, welches das Ministerium des Innern erlassen,
hat eine entschiedene Mißbilligung gefunden und wurde an mehreren Orten feierlich
verbrannt. Die einzelnen Punkte desselben, in welchen der polizeilichen Willkür
und der Unverletzbarkeit der Bureaukratie Vorschub geleistet wird, anzuführen, ist
hier nicht der Raum vergönnt. Die Entschuldigung des Ministers gegenüber der
Protestation der Studentendeputation: er habe das Schicksal des Gesetzes vorher
gewußt, sei aber bei der Abstimmung in der Minorität geblieben, ist eben so sehr
ein Beweis für den unwürdigen Geist, der das ganze Ministerium beseelt, als



*) Die Bcletzung der Wiener Polizeidirectorstellc durch Herrn Martinetz kann auch wenig
Vertrauen erwecken.
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wenigstens dadurch sein aufrichtiges Verständniß einer constitutionellen Staatsform
bewiesen, daß er die altherkömmliche Schweigsamkeit der Regierung gebrochen und
seine Ansichten über den gegenwärtigen Staatszustand im Allgemeinen ausgesprochen
hat. Besonderes Vertrauen erweckte der Erlaß an die Polizeibehörden, betreffend das
Verfahren bei Verhaftungen und Eingriffen in die persönliche Freiheit der Bürger.
Die Verantwortlichkeit 'der Beamten ist jedoch, in so lange uicht öffentliches und
mündliches Gerichtsverfahren im ganzen Lande eingeführt und der Gebrauch der
freien Presse durch Geschwornengerichte gesichert ist, nur chimärisch. Auch das
Betragen der Polizeibehörden gegenüber den Parteien, welches bis jetzt menschen¬
feindlich genannt werden konnte, wird sich schwerlich ändern, wenn nicht die Po¬
lizeigewalt in die Hände der Communen übergeht, so lange nicht durch die Con-
stitutionsacte vollkommene Gleichstellung aller Bürger vor dem Gesetze und die
Verpflichtung der Beamten auf die Verfassung ausgesprochen ist.

Das Ministerium des Innern hätte also, um einige wahrhafte reelle Reformen
in dieser Beziehung einzuführen, gewisse Bestimmungen aufheben müssen, welche
bis jetzt das Rechtsgefühl jedes Bürgers empört haben. Wir erwähnen hier nur
das ganze Unwesen mit den Pässen und Passirscheinen, welches den reisenden
Oestreicher unter beständiger Polizeicontrole hält, den Verkehr selbst zwischen den
einzelnen Provinzen lähmt und überhaupt der Willkür des niedrigste» Polizei-
beamten freien Spielraum gewährt.

Ferner ist in Bezug auf Haussuchungen der Polizei, welche bisher nächtlich
und mit einer wahren Berserkerrohheit geschehen sind, so wie in Betreff der gehei¬
men Conduitelisten nichts vorgesehen, eben so wenig als die mittelalterliche Ein¬
richtung eines besondern Judenamtes und der besonderen Passirzcttel und Geld-
erpressuugeu bereits aufgehoben ist*).

Die Bureaukratie, welche bisher einem Sedlinitzky gedient hat, kann nicht
durch freisinnige Grundsätze eines Ministers, sondern nur durch bestimmte Ver¬
ordnungen im Geiste der neuen Zeit zu einer Aenderung ihres Verfahrens ge¬
zwungen werden.

Das provisorische Prcßgesctz, welches das Ministerium des Innern erlassen,
hat eine entschiedene Mißbilligung gefunden und wurde an mehreren Orten feierlich
verbrannt. Die einzelnen Punkte desselben, in welchen der polizeilichen Willkür
und der Unverletzbarkeit der Bureaukratie Vorschub geleistet wird, anzuführen, ist
hier nicht der Raum vergönnt. Die Entschuldigung des Ministers gegenüber der
Protestation der Studentendeputation: er habe das Schicksal des Gesetzes vorher
gewußt, sei aber bei der Abstimmung in der Minorität geblieben, ist eben so sehr
ein Beweis für den unwürdigen Geist, der das ganze Ministerium beseelt, als



*) Die Bcletzung der Wiener Polizeidirectorstellc durch Herrn Martinetz kann auch wenig
Vertrauen erwecken.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/101>, abgerufen am 28.09.2024.