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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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legenheiten zu befasse", endlich manchmal auch der Sprache und Satzung
unkundig gewesen, so wurde das Comitat ausschließlich von selbstgewählten
Beamten verwaltet und überwacht. -- Nach dem neuen System sollte dieser
Posten ebeu das gewünschte Werkzeug sein, die Ueberlegenheit der Negierung
und konservativen Partei durchzusetzen. Jedes Comitat erhielt einen Admi¬
nistrator mit einem bestimmten Gehalt. -- Die Regierung warf fast die ge-
sammte Hierarchie bureaukratischen Beamtenwesens über den Haufen, griff
alle Stellungen ohne Schonung an, schuf neue Aemter, setzte überall ihre
Agenten an die leeren Plätze, vertheilte Titel, unterstützte, versprach, beun¬
ruhigte, ermuthigte die kleinen Hoffnungen und nährte die großen Befürch¬
tungen. -- Es wäre Thorheit gewesen, eine Theorie mit Dank zu empfan¬
gen, welche den gesammten Mechanismus der Comitats - Verfassung an die
Zügel der Regierung knüpft, nachdem mau wußte, zu welchem Zweck es.ge¬
schehen sollte. Die Tendenz der Regierung sonderte sich immer weiter von
den nationalen Interessen ab. Dagegen wurde die Stellung der hohen
Aristokratie zur Negierung durch das neue System nicht verschoben; sie that
das Möglichste, eine Regierung zu kräftigen, welche ihre Erwartungen und
Ansichten befriedigte, in ihrem Geist die Strömung der Reform zu beherr¬
schen und zu regeln gesonnen war. Die Geistlichkeit kämpfte gleichfalls uu-
ter dem neuen Panier. So erlitt die Opposition auf dem Reichstag eine
entschiedene Niederlage."

"Die Opposition ist in ihren besten Absichten gelähmt, unumgänglich
an die Zustimmung der Negierung gebunden, sie findet uoch heute keine
Bresche, wo sie eindringen könnte, denn am Eude zerfließe" all' ihre Kräfte
vor der materiellen Gewalt. Indeß ein Regierungssystem, das mit jenen
Stützen sich umgibt und seiue Allianzen in der Mißstimmung gegen geistigen
und staatlichen Fortschritt sucht, obwohl es in der Natur ungarischer Zu¬
stände liegt, daß man sich mit kleinen Fortschritten nicht begnügen kann, da
hier verlorene Jahrhunderte gut zu machen sind: ein solches System ist zu¬
gleich gefahrvoll, gebrechlich und falsch: es bedarf zur Erhaltung der Bei¬
hülfe so vieler Umstände und fortwährender Dauer eines unnatürlichen Zu¬
standes, daß der geringste Zufall in- und auswärts, eine unvorhergesehene
Thatsache dessen Sturz beschleunigen und andere Systeme nöthig machen
muß. Dieser unnatürliche und unsichere Zustand bildet die Stärke der Op¬
position. Diese muß mit jedem Zeitereignis;, möge dessen Schicksal wie im¬
mer sich gestalten,-nnr gewinnen, ein jeder Tag bringt ihr neues Leben,
neuen Geist, neue Argumente.."


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legenheiten zu befasse«, endlich manchmal auch der Sprache und Satzung
unkundig gewesen, so wurde das Comitat ausschließlich von selbstgewählten
Beamten verwaltet und überwacht. — Nach dem neuen System sollte dieser
Posten ebeu das gewünschte Werkzeug sein, die Ueberlegenheit der Negierung
und konservativen Partei durchzusetzen. Jedes Comitat erhielt einen Admi¬
nistrator mit einem bestimmten Gehalt. — Die Regierung warf fast die ge-
sammte Hierarchie bureaukratischen Beamtenwesens über den Haufen, griff
alle Stellungen ohne Schonung an, schuf neue Aemter, setzte überall ihre
Agenten an die leeren Plätze, vertheilte Titel, unterstützte, versprach, beun¬
ruhigte, ermuthigte die kleinen Hoffnungen und nährte die großen Befürch¬
tungen. — Es wäre Thorheit gewesen, eine Theorie mit Dank zu empfan¬
gen, welche den gesammten Mechanismus der Comitats - Verfassung an die
Zügel der Regierung knüpft, nachdem mau wußte, zu welchem Zweck es.ge¬
schehen sollte. Die Tendenz der Regierung sonderte sich immer weiter von
den nationalen Interessen ab. Dagegen wurde die Stellung der hohen
Aristokratie zur Negierung durch das neue System nicht verschoben; sie that
das Möglichste, eine Regierung zu kräftigen, welche ihre Erwartungen und
Ansichten befriedigte, in ihrem Geist die Strömung der Reform zu beherr¬
schen und zu regeln gesonnen war. Die Geistlichkeit kämpfte gleichfalls uu-
ter dem neuen Panier. So erlitt die Opposition auf dem Reichstag eine
entschiedene Niederlage."

„Die Opposition ist in ihren besten Absichten gelähmt, unumgänglich
an die Zustimmung der Negierung gebunden, sie findet uoch heute keine
Bresche, wo sie eindringen könnte, denn am Eude zerfließe» all' ihre Kräfte
vor der materiellen Gewalt. Indeß ein Regierungssystem, das mit jenen
Stützen sich umgibt und seiue Allianzen in der Mißstimmung gegen geistigen
und staatlichen Fortschritt sucht, obwohl es in der Natur ungarischer Zu¬
stände liegt, daß man sich mit kleinen Fortschritten nicht begnügen kann, da
hier verlorene Jahrhunderte gut zu machen sind: ein solches System ist zu¬
gleich gefahrvoll, gebrechlich und falsch: es bedarf zur Erhaltung der Bei¬
hülfe so vieler Umstände und fortwährender Dauer eines unnatürlichen Zu¬
standes, daß der geringste Zufall in- und auswärts, eine unvorhergesehene
Thatsache dessen Sturz beschleunigen und andere Systeme nöthig machen
muß. Dieser unnatürliche und unsichere Zustand bildet die Stärke der Op¬
position. Diese muß mit jedem Zeitereignis;, möge dessen Schicksal wie im¬
mer sich gestalten,-nnr gewinnen, ein jeder Tag bringt ihr neues Leben,
neuen Geist, neue Argumente.."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/73>, abgerufen am 28.07.2024.