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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Unwesentliche durch Geschmack ausmerzen, als sich in die unbestimmte, abstracte
Idealität ein reeller Inhalt hineinbringen läßt. Offenbar kommt der Ruf, den
Hühner's sogenannte politische Bilder erlangt haben, weniger von dieser Tendenz
her, als von dem realistischen Sinn, der sich unverkennbar in ihnen ausspricht.

Uebersehen wir noch einmal, was nur von Dresden's Bedeutung hier aufge¬
zählt haben, so scheint das Resultat nicht eben groß zu sein; die politische und
intellectuelle Seite war im allergeringsten Maaß vertreten; und in Bezug auf
künstlerische Productivität nimmt es wenigstens nirgend die erste Stelle ein.

Aber Dresden hat einen andern Werth; es ist die Stadt der Sammlung und
des Gewisses. Wenn man sich in dieser heitern, freundlichen Natur ergeht, die
dreht allein die Umgebungen der Stadt charakterisirt, sondern die uns in der Stadt
selbst eine" großen, anmuthigen Park finden läßt, wenn man einen Vormittag in
den glänzenden Hallen der Kunst zubringt, diGden ruhigen Genuß nur durch ihre
Fülle schwierig machen, so kann man es wohl begreifen, wie der unabhängige
Fremde, der nicht durch ein bestimmtes Geschäft irgendwo gefesselt wird, hier am
liebsten seinen Wohnsitz aufschlägt. Der hervortretende Charakter der Dresdner
ist Gutmütigkeit; es soll in frühern Zeiten in der Geselligkeit ein etwas steifer
und langweiliger Ton geherrscht haben, aber das Zusammenströmen von gebildeten
Fremden, verbunden mit der populären, ungezwungenen Haltung des Hofes, haben
diese conventionellen Formen vollständig gebrochen. Namentlich hat der Aufenthalt
der Engländer, die in Schaaren herstromen, und die beiläufig die Kunstschätze
nicht mehr ganz in der trockenen, blastrtcn Weise anstieren, welche früher die
Sohne Albions ausgezeichnet haben sollen, sondern die sich mit großer Liebe und
Aufmerksamkeit einem schönen Gemälde hinzugeben wissen, aus das wohlthätigste
auf die geselligen Verhältnisse eingewirkt. Nächst den Engländern finden wir eine
große Zahl polnischer Emigrirten, die noch immer eine gewisse Sympathie für
das ehemals ihnen so enge verbrüderte Land zu hegen scheinen. Man mag nun
über die politischen Ansichten der Polen denken was man will, in der Gesellschaft
haben sie immer etwas Anziehendes und Anregendes, namentlich wenn man nur
in einem vorübergehenden Verhältniß zu ihnen steht. Auch die Franzosen fehlen
nicht, und eben so wenig Besucher aus allen Theilen Deutschlands.

Man möchte versucht sein, auch in Beziehung ans ihre Kunstschätze Berlin
und Dresden in Parallele (? ?) zu stellen, und auch in diesem Unterschied den bei¬
derseitigen Charakter herauszufinden. Freilich könnte man dabei leicht irre geführt
werden, einen temporären Umstand für permanent auszugeben. Die Vollendung
des neuen Museums in Berlin und die Verlegung der Dresdner Galerie in das
nenzuerrichteude Gebäude am Zwinger, das etwa in drei Jahren seiner Vollendung
entgegensteht, wird das Verhältniß im Wesentlichen ändern. An der Berliner
Gemäldesammlung sieht man sofort die Absicht -- und wird verstimmt, möchte ich
hinzusetzen -- ebenso wie die Stadt ans dem Willen der Monarchen plötzlich und


Unwesentliche durch Geschmack ausmerzen, als sich in die unbestimmte, abstracte
Idealität ein reeller Inhalt hineinbringen läßt. Offenbar kommt der Ruf, den
Hühner's sogenannte politische Bilder erlangt haben, weniger von dieser Tendenz
her, als von dem realistischen Sinn, der sich unverkennbar in ihnen ausspricht.

Uebersehen wir noch einmal, was nur von Dresden's Bedeutung hier aufge¬
zählt haben, so scheint das Resultat nicht eben groß zu sein; die politische und
intellectuelle Seite war im allergeringsten Maaß vertreten; und in Bezug auf
künstlerische Productivität nimmt es wenigstens nirgend die erste Stelle ein.

Aber Dresden hat einen andern Werth; es ist die Stadt der Sammlung und
des Gewisses. Wenn man sich in dieser heitern, freundlichen Natur ergeht, die
dreht allein die Umgebungen der Stadt charakterisirt, sondern die uns in der Stadt
selbst eine» großen, anmuthigen Park finden läßt, wenn man einen Vormittag in
den glänzenden Hallen der Kunst zubringt, diGden ruhigen Genuß nur durch ihre
Fülle schwierig machen, so kann man es wohl begreifen, wie der unabhängige
Fremde, der nicht durch ein bestimmtes Geschäft irgendwo gefesselt wird, hier am
liebsten seinen Wohnsitz aufschlägt. Der hervortretende Charakter der Dresdner
ist Gutmütigkeit; es soll in frühern Zeiten in der Geselligkeit ein etwas steifer
und langweiliger Ton geherrscht haben, aber das Zusammenströmen von gebildeten
Fremden, verbunden mit der populären, ungezwungenen Haltung des Hofes, haben
diese conventionellen Formen vollständig gebrochen. Namentlich hat der Aufenthalt
der Engländer, die in Schaaren herstromen, und die beiläufig die Kunstschätze
nicht mehr ganz in der trockenen, blastrtcn Weise anstieren, welche früher die
Sohne Albions ausgezeichnet haben sollen, sondern die sich mit großer Liebe und
Aufmerksamkeit einem schönen Gemälde hinzugeben wissen, aus das wohlthätigste
auf die geselligen Verhältnisse eingewirkt. Nächst den Engländern finden wir eine
große Zahl polnischer Emigrirten, die noch immer eine gewisse Sympathie für
das ehemals ihnen so enge verbrüderte Land zu hegen scheinen. Man mag nun
über die politischen Ansichten der Polen denken was man will, in der Gesellschaft
haben sie immer etwas Anziehendes und Anregendes, namentlich wenn man nur
in einem vorübergehenden Verhältniß zu ihnen steht. Auch die Franzosen fehlen
nicht, und eben so wenig Besucher aus allen Theilen Deutschlands.

Man möchte versucht sein, auch in Beziehung ans ihre Kunstschätze Berlin
und Dresden in Parallele (? ?) zu stellen, und auch in diesem Unterschied den bei¬
derseitigen Charakter herauszufinden. Freilich könnte man dabei leicht irre geführt
werden, einen temporären Umstand für permanent auszugeben. Die Vollendung
des neuen Museums in Berlin und die Verlegung der Dresdner Galerie in das
nenzuerrichteude Gebäude am Zwinger, das etwa in drei Jahren seiner Vollendung
entgegensteht, wird das Verhältniß im Wesentlichen ändern. An der Berliner
Gemäldesammlung sieht man sofort die Absicht — und wird verstimmt, möchte ich
hinzusetzen — ebenso wie die Stadt ans dem Willen der Monarchen plötzlich und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/580>, abgerufen am 01.09.2024.