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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Was die Poesie nicht geleistet, versuchte man in der Musik. Weber war
in alter Zeit der eigentliche künstlerische Genius Dresdens gewesen. Noch immer
pflegt man sein Andenken in seinen Werken. Nun, wo Wagner die Direction
der Oper übernahm, zugleich ein musikalisches und poetisches Talent, trat auch
die neuere Richtung der Musik in Dresden mit selbstständigen Leistungen auf.
Allein "der Tannhäuser" kounte sich, was Popularität betrifft, immer mit den
Hugenotten nud Robert dem Teufel nicht messen, und so behielt auch in dieser
Sphäre Berlin durch Meyerbeer und Mendelssohn das Uebergewicht. Bedeuten¬
des läßt sich von Hiller erwarten, der gegenwärtig im Begriff ist, mit einer
neuen großen Oper hervorzutreten.

Auch in der Malerei ist es Dresden noch uicht gelungen, eine selbstständige,
originelle Stellung in dem Gedränge der Parteien einzunehmen. Wenn man nach
der so eben geschlossenen Kunstausstellung urtheilen darf, die neben manchem vor¬
trefflich Ausgeführten eine wunderbare Fülle des Mittelmäßigen enthält, so ist wohl
der Einfluß der Düsseldorfer Schule der dominirende. Mit wenigen Ausnahmen
-- das sehr gut gemalte Bild von Rüben in Prag gehört dazu -- enthalten na¬
mentlich die historischen Gemälde die wohlbekannten, einem idealisirtcn Modejournal
angehörigen deutschen Gesichter, die conventionellen Stellungen der Körper, die
häusig beleidigende Ausführlichkeit in deu äußerlichen Dingen. Die geniale Leich¬
tigkeit der französischen Malerei scheint wenig Einfluß auf diese Leistungen gehabt
zu haben; unverkennbar dagegen ist in einigen der besseren Bilder der Einfluß
der Belgier. Wenn übrigens die Berliner Kunstausstellung in der Regel einen
günstigeren Eindruck hervorbringt, so liegt das wohl in nichts anderem, als daß
die Stadt eiuen unendlich größeren Zudrang von fremden Künstlern hervorbringt,
denn der eigentlichen Berliner Malerschule läßt sich ebensowenig Ursprünglichkeit
nachrühmen, als der Dresdner. Ich muß übrigens bemerken, daß ebenso wie im
Drama das bürgerliche, halb prosaische Wesen, das dramatische Portrait der wirk¬
lichen Welt, sich einer weit besseren Darstellung zu erfreuen hat, als die ideale
Richtung der Kunst; so mochte es auch fast vou der Malerei gelten. Das Portrait
und das Genre siudeu überall weit würdigere Vertreter, als die historische Malerei
im größeren Styl; denn selbst von den sogenannten historischen Gemälden werden
in der Regel diejenigen am besten ansgeführt, die an's Portrait streifen. Die bei¬
den belgischen Bilder, die vor einigen Jahren durch ganz Deutschland eine so all¬
gemeine und wohlverdiente Aufmerksamkeit erregten, gehören unstreitig zu dieser
durchaus nicht verwerflichen Gattung der historischen Portraitmalern, und selbst
die französischen Maler fassen in ihren glücklichsten Gemälden ihren Gegenstand
genre- und portraitartig auf; ich erinnere nur an Napoleon von Paul Delaroche.
Vielleicht würden wir auf diesem Umweg am Sichersten zu einer Kunst im höhern
Sinn gelangen, denn aus dem Bestimmter und Concreten läßt sich dann eher das


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Was die Poesie nicht geleistet, versuchte man in der Musik. Weber war
in alter Zeit der eigentliche künstlerische Genius Dresdens gewesen. Noch immer
pflegt man sein Andenken in seinen Werken. Nun, wo Wagner die Direction
der Oper übernahm, zugleich ein musikalisches und poetisches Talent, trat auch
die neuere Richtung der Musik in Dresden mit selbstständigen Leistungen auf.
Allein „der Tannhäuser" kounte sich, was Popularität betrifft, immer mit den
Hugenotten nud Robert dem Teufel nicht messen, und so behielt auch in dieser
Sphäre Berlin durch Meyerbeer und Mendelssohn das Uebergewicht. Bedeuten¬
des läßt sich von Hiller erwarten, der gegenwärtig im Begriff ist, mit einer
neuen großen Oper hervorzutreten.

Auch in der Malerei ist es Dresden noch uicht gelungen, eine selbstständige,
originelle Stellung in dem Gedränge der Parteien einzunehmen. Wenn man nach
der so eben geschlossenen Kunstausstellung urtheilen darf, die neben manchem vor¬
trefflich Ausgeführten eine wunderbare Fülle des Mittelmäßigen enthält, so ist wohl
der Einfluß der Düsseldorfer Schule der dominirende. Mit wenigen Ausnahmen
— das sehr gut gemalte Bild von Rüben in Prag gehört dazu — enthalten na¬
mentlich die historischen Gemälde die wohlbekannten, einem idealisirtcn Modejournal
angehörigen deutschen Gesichter, die conventionellen Stellungen der Körper, die
häusig beleidigende Ausführlichkeit in deu äußerlichen Dingen. Die geniale Leich¬
tigkeit der französischen Malerei scheint wenig Einfluß auf diese Leistungen gehabt
zu haben; unverkennbar dagegen ist in einigen der besseren Bilder der Einfluß
der Belgier. Wenn übrigens die Berliner Kunstausstellung in der Regel einen
günstigeren Eindruck hervorbringt, so liegt das wohl in nichts anderem, als daß
die Stadt eiuen unendlich größeren Zudrang von fremden Künstlern hervorbringt,
denn der eigentlichen Berliner Malerschule läßt sich ebensowenig Ursprünglichkeit
nachrühmen, als der Dresdner. Ich muß übrigens bemerken, daß ebenso wie im
Drama das bürgerliche, halb prosaische Wesen, das dramatische Portrait der wirk¬
lichen Welt, sich einer weit besseren Darstellung zu erfreuen hat, als die ideale
Richtung der Kunst; so mochte es auch fast vou der Malerei gelten. Das Portrait
und das Genre siudeu überall weit würdigere Vertreter, als die historische Malerei
im größeren Styl; denn selbst von den sogenannten historischen Gemälden werden
in der Regel diejenigen am besten ansgeführt, die an's Portrait streifen. Die bei¬
den belgischen Bilder, die vor einigen Jahren durch ganz Deutschland eine so all¬
gemeine und wohlverdiente Aufmerksamkeit erregten, gehören unstreitig zu dieser
durchaus nicht verwerflichen Gattung der historischen Portraitmalern, und selbst
die französischen Maler fassen in ihren glücklichsten Gemälden ihren Gegenstand
genre- und portraitartig auf; ich erinnere nur an Napoleon von Paul Delaroche.
Vielleicht würden wir auf diesem Umweg am Sichersten zu einer Kunst im höhern
Sinn gelangen, denn aus dem Bestimmter und Concreten läßt sich dann eher das


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[0579] Was die Poesie nicht geleistet, versuchte man in der Musik. Weber war in alter Zeit der eigentliche künstlerische Genius Dresdens gewesen. Noch immer pflegt man sein Andenken in seinen Werken. Nun, wo Wagner die Direction der Oper übernahm, zugleich ein musikalisches und poetisches Talent, trat auch die neuere Richtung der Musik in Dresden mit selbstständigen Leistungen auf. Allein „der Tannhäuser" kounte sich, was Popularität betrifft, immer mit den Hugenotten nud Robert dem Teufel nicht messen, und so behielt auch in dieser Sphäre Berlin durch Meyerbeer und Mendelssohn das Uebergewicht. Bedeuten¬ des läßt sich von Hiller erwarten, der gegenwärtig im Begriff ist, mit einer neuen großen Oper hervorzutreten. Auch in der Malerei ist es Dresden noch uicht gelungen, eine selbstständige, originelle Stellung in dem Gedränge der Parteien einzunehmen. Wenn man nach der so eben geschlossenen Kunstausstellung urtheilen darf, die neben manchem vor¬ trefflich Ausgeführten eine wunderbare Fülle des Mittelmäßigen enthält, so ist wohl der Einfluß der Düsseldorfer Schule der dominirende. Mit wenigen Ausnahmen — das sehr gut gemalte Bild von Rüben in Prag gehört dazu — enthalten na¬ mentlich die historischen Gemälde die wohlbekannten, einem idealisirtcn Modejournal angehörigen deutschen Gesichter, die conventionellen Stellungen der Körper, die häusig beleidigende Ausführlichkeit in deu äußerlichen Dingen. Die geniale Leich¬ tigkeit der französischen Malerei scheint wenig Einfluß auf diese Leistungen gehabt zu haben; unverkennbar dagegen ist in einigen der besseren Bilder der Einfluß der Belgier. Wenn übrigens die Berliner Kunstausstellung in der Regel einen günstigeren Eindruck hervorbringt, so liegt das wohl in nichts anderem, als daß die Stadt eiuen unendlich größeren Zudrang von fremden Künstlern hervorbringt, denn der eigentlichen Berliner Malerschule läßt sich ebensowenig Ursprünglichkeit nachrühmen, als der Dresdner. Ich muß übrigens bemerken, daß ebenso wie im Drama das bürgerliche, halb prosaische Wesen, das dramatische Portrait der wirk¬ lichen Welt, sich einer weit besseren Darstellung zu erfreuen hat, als die ideale Richtung der Kunst; so mochte es auch fast vou der Malerei gelten. Das Portrait und das Genre siudeu überall weit würdigere Vertreter, als die historische Malerei im größeren Styl; denn selbst von den sogenannten historischen Gemälden werden in der Regel diejenigen am besten ansgeführt, die an's Portrait streifen. Die bei¬ den belgischen Bilder, die vor einigen Jahren durch ganz Deutschland eine so all¬ gemeine und wohlverdiente Aufmerksamkeit erregten, gehören unstreitig zu dieser durchaus nicht verwerflichen Gattung der historischen Portraitmalern, und selbst die französischen Maler fassen in ihren glücklichsten Gemälden ihren Gegenstand genre- und portraitartig auf; ich erinnere nur an Napoleon von Paul Delaroche. Vielleicht würden wir auf diesem Umweg am Sichersten zu einer Kunst im höhern Sinn gelangen, denn aus dem Bestimmter und Concreten läßt sich dann eher das GrenMcn. ni. I«47. 7z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/579>, abgerufen am 01.09.2024.