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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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blieben, und nicht allein die preußische Krone, die mit dem Raub der sächsischen
Provinzen geschmückt war, betrachtete man mit Abneigung, auch das preußische
Volk traf diese Mißgunst, wobei man allerdings das Volt nur in Berlin sah,
eine Stadt, deren ätzende Kritik der sächsischen Gemüthlichkeit seit lange her un¬
bequem gewesen war.

Aber es war dem sächsischen Volk bestimmt, einen edlen Triumph über das
preußische zu erfechten. Noch immer liegt Preußen in den Geburtswehen seiner
Verfassung, während die sächsische seit Decennien festgestellt ist.

Aber so sehr die Kammerverhandlungen in Dresden das Interesse des Volks
in Anspruch nehmen, den eigentlichen Charakter der Stadt konnten sie nicht be¬
stimmen. Selbst für die Sachsen war letzthin wichtiger, was in Berlin geschah.
Dresden konnte nnr durch das Bedeutung gewinnen, was Berlin nicht hatte.

Eine Zeitlang schien es, als wollte sich selbst in der Poesie ein Gegensatz ge¬
gen das Preußenthum herausstellen. Es war eine der Traditionen der romanti¬
schen Kritik, daß besonders seit Goethe's Tod Tieck der größte Dichter Deutsch¬
lands sei. Diesen Dichter gewann Dresden für sich, er suchte durch dramatur¬
gische Vorlesungen das Theater seinen Kuustauschauuugen gemäß zu reformiren,
und ein Kreis andächtiger Zuhörer sammelte sich in seineu Thee's um ihn, die
Meisterwerke der verlorengegangenen Poesie, zu deren Darstellung der entarteten
Zeit die Kräfte abgehen sollten, aus dem Munde des einzelnstehenden Kenners zu
vernehmen. Aber Dresden war kein Ort für die Romantik; der Einfluß Tieck's
blieb auf einige aristokratische Zirkel beschränkt, ihm selbst stand in seiner drama-
turgischen Wirksamkeit Friedrich Kind zur Seite, in dem trotz seiner Wolfsschlucht jeder
Zoll ein Philister war, und Tieck fand sich endlich glücklich, am Abend seines Le¬
bens die Vaterstadt wieder zu scheu, über deren Sand sich plötzlich der Duft von
Novalis blauer Blume und die "mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn ge¬
fangen hält," mit süßem romantischem Schauder ausbreitete. Dort hat er die Ge¬
nugthuung erlebt, daß der Sommernachtstraum mit geistreicher Musikbegleitung
auf einem dein altenglischen nachgebildeten Theater in Scene gesetzt, daß sein
eigener Blaubart, ja sein gestiefelter Kater einem auserwählten Publikum vorge¬
führt wurde. Die altsächstsche Gestalt Böttiger's, des letzten Ritters der eigentlichen
Philisterliteratur, gewann durch den Humor des Schauspielers Döring Fleisch und
Farbe. Berlin zeigte, daß w?um es ihm daraus ankäme, nicht allein seine Ecken¬
steherwitze und seine Philosophie, sondern auch sein Mondschein und sein von
Somnambulismus gesättigter Esprit dem Nachbarvolke den Nang ablaufen könne.
Auf die romantische Schule folgte das junge Deutschland, das wenigstens in den
spätern Phasen seiner Thätigkeit an Productivität alle andem Richtungen der Li-'
teratur hinter sich ließ. Gutzkow nimmt jetzt Tieck's Stelle als Dramaturg ein;
ob zu Gunsten der Entwickelung des Theaters, läßt sich nach dem schon oben Ge¬
sagten wohl bezweifeln.


blieben, und nicht allein die preußische Krone, die mit dem Raub der sächsischen
Provinzen geschmückt war, betrachtete man mit Abneigung, auch das preußische
Volk traf diese Mißgunst, wobei man allerdings das Volt nur in Berlin sah,
eine Stadt, deren ätzende Kritik der sächsischen Gemüthlichkeit seit lange her un¬
bequem gewesen war.

Aber es war dem sächsischen Volk bestimmt, einen edlen Triumph über das
preußische zu erfechten. Noch immer liegt Preußen in den Geburtswehen seiner
Verfassung, während die sächsische seit Decennien festgestellt ist.

Aber so sehr die Kammerverhandlungen in Dresden das Interesse des Volks
in Anspruch nehmen, den eigentlichen Charakter der Stadt konnten sie nicht be¬
stimmen. Selbst für die Sachsen war letzthin wichtiger, was in Berlin geschah.
Dresden konnte nnr durch das Bedeutung gewinnen, was Berlin nicht hatte.

Eine Zeitlang schien es, als wollte sich selbst in der Poesie ein Gegensatz ge¬
gen das Preußenthum herausstellen. Es war eine der Traditionen der romanti¬
schen Kritik, daß besonders seit Goethe's Tod Tieck der größte Dichter Deutsch¬
lands sei. Diesen Dichter gewann Dresden für sich, er suchte durch dramatur¬
gische Vorlesungen das Theater seinen Kuustauschauuugen gemäß zu reformiren,
und ein Kreis andächtiger Zuhörer sammelte sich in seineu Thee's um ihn, die
Meisterwerke der verlorengegangenen Poesie, zu deren Darstellung der entarteten
Zeit die Kräfte abgehen sollten, aus dem Munde des einzelnstehenden Kenners zu
vernehmen. Aber Dresden war kein Ort für die Romantik; der Einfluß Tieck's
blieb auf einige aristokratische Zirkel beschränkt, ihm selbst stand in seiner drama-
turgischen Wirksamkeit Friedrich Kind zur Seite, in dem trotz seiner Wolfsschlucht jeder
Zoll ein Philister war, und Tieck fand sich endlich glücklich, am Abend seines Le¬
bens die Vaterstadt wieder zu scheu, über deren Sand sich plötzlich der Duft von
Novalis blauer Blume und die „mondbeglänzte Zaubernacht, die den Sinn ge¬
fangen hält," mit süßem romantischem Schauder ausbreitete. Dort hat er die Ge¬
nugthuung erlebt, daß der Sommernachtstraum mit geistreicher Musikbegleitung
auf einem dein altenglischen nachgebildeten Theater in Scene gesetzt, daß sein
eigener Blaubart, ja sein gestiefelter Kater einem auserwählten Publikum vorge¬
führt wurde. Die altsächstsche Gestalt Böttiger's, des letzten Ritters der eigentlichen
Philisterliteratur, gewann durch den Humor des Schauspielers Döring Fleisch und
Farbe. Berlin zeigte, daß w?um es ihm daraus ankäme, nicht allein seine Ecken¬
steherwitze und seine Philosophie, sondern auch sein Mondschein und sein von
Somnambulismus gesättigter Esprit dem Nachbarvolke den Nang ablaufen könne.
Auf die romantische Schule folgte das junge Deutschland, das wenigstens in den
spätern Phasen seiner Thätigkeit an Productivität alle andem Richtungen der Li-'
teratur hinter sich ließ. Gutzkow nimmt jetzt Tieck's Stelle als Dramaturg ein;
ob zu Gunsten der Entwickelung des Theaters, läßt sich nach dem schon oben Ge¬
sagten wohl bezweifeln.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/578>, abgerufen am 01.09.2024.