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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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auf einem andern, als dem gewöhnlichen Wege der Gelehrsamkeit widmet und
die Messen setzen Leipzig mit halb Europa in Communication. Ist es nicht
erstaunlich, wie dürstig eine so bedeutende Stadt, wie Dresden, in der Presse
vertreten ist? wie selbst in den ziemlich unbedeutenden Organen, die es noch
für sich hat, fortwährend auf Leipzig Bezug genommen wird? Es ist sogar in
Leipzig Ton geworden, auf die Einwohner Dresdens mit einem gewissen Hochmuth
herabznsehn; eine Geringschätzung, deren Berechtigung ich nicht anerkennen möchte.

Zweimal hat Dresden eine Stelle in der Weltgeschichte eingenommen. Ein¬
mal in der Zeit, als Kursachsen die anerkannte Hauptmacht des protestantischen
Deutschland war, als die Dresdner Hofprediger selbst in Kriegszeiten an Wich¬
tigkeit den Generalen nicht nachstanden. Die schwankende Stellung Sachsens im
dreißigjährigen Kriege, wenn man will, diese Unbestimmtheit in der Abgrenzung
der religiösen und politischen Pflichten, und gleich daraus die Energie, mit welcher
Friedrich Wilhelm der Große Brandenburg's Macht entfaltete, die Gewalt, mit
welcher diese große Persönlichkeit alle Kräfte des Protestantismus in seinen Dienst
zog, machten dieser Stellung ein Ende. Das zweitemal wurde Dresden zwar ans eine
glänzendere Weise, aber auch schou sehr künstlich, in die Reihe der Weltstädte er¬
hoben; die sächsischen Regenten legten den Glauben ihrer Väter ab, und schmückten
ihr Haupt mit einer fremden Krone. Zwei lange und wenigstens äußerlich glän¬
zende Regierungen führten die Bildung, den Prunk und die Lasterhaftigkeit der
damaligen Cultur in Dresden ein. Der Dresdner Hof war der glänzendste in
Europa uach dem von Versailles, die Kollisionen der europäischen Politik traten
in wesentliche Bezüge zu dem sächsischen Staats- und Hofleben, aus allen Gegen¬
den Europa's wurden Kunstschätze und Raritäten aller Art an diese Stätte des
Prunks und des Genusses hingezogen.

Das Elend des Volks, aus dem dieser Glanz des Hofes aufblühte, ist nun
vergessen; die Denkmale jener Pracht sind geblieben, und wir zögern, über einen
Tyrannen den Stab zu brechen, dessen Willkür uns so werthe Früchte getragen hat.
Es war eine künstlich hervorgerufene Macht, eine Treibhauspflanze, die ebenso
rasch verblüht, als sie aufgegangen ist. Der siebenjährige Krieg, der nicht blos
Deutschland's politische Verhältnisse umgestaltete, machte mit der scheinbaren Höhe
Sachsens ein rasches Ende. Gleich darauf erfolgte die Uebertragung der polnischen
Krone an einem andern Herrscher.

Die napoleonischen Zeiten gaben Sachsen noch einmal Gelegenheit, in eine
eigenthümlich bedeutende Stellung einzutreten. Im Unglück des gewaltigen Feld¬
herrn zeigte der König wenigstens einen ritterlichen Sinn; er blieb ihm treu; aber
das Volk schloß sich der Sache des Vaterlandes an, und der Friede drückte das
neue Königreich in die Reihe der Mächte dritten Ranges hinab.

In allen Momenten, wo Sachsen gedemüthigt wurde, war es Preußen, von
dem das Unglück ausging. Es ist diese alte Antipathie im sächsischen Volk ge-


auf einem andern, als dem gewöhnlichen Wege der Gelehrsamkeit widmet und
die Messen setzen Leipzig mit halb Europa in Communication. Ist es nicht
erstaunlich, wie dürstig eine so bedeutende Stadt, wie Dresden, in der Presse
vertreten ist? wie selbst in den ziemlich unbedeutenden Organen, die es noch
für sich hat, fortwährend auf Leipzig Bezug genommen wird? Es ist sogar in
Leipzig Ton geworden, auf die Einwohner Dresdens mit einem gewissen Hochmuth
herabznsehn; eine Geringschätzung, deren Berechtigung ich nicht anerkennen möchte.

Zweimal hat Dresden eine Stelle in der Weltgeschichte eingenommen. Ein¬
mal in der Zeit, als Kursachsen die anerkannte Hauptmacht des protestantischen
Deutschland war, als die Dresdner Hofprediger selbst in Kriegszeiten an Wich¬
tigkeit den Generalen nicht nachstanden. Die schwankende Stellung Sachsens im
dreißigjährigen Kriege, wenn man will, diese Unbestimmtheit in der Abgrenzung
der religiösen und politischen Pflichten, und gleich daraus die Energie, mit welcher
Friedrich Wilhelm der Große Brandenburg's Macht entfaltete, die Gewalt, mit
welcher diese große Persönlichkeit alle Kräfte des Protestantismus in seinen Dienst
zog, machten dieser Stellung ein Ende. Das zweitemal wurde Dresden zwar ans eine
glänzendere Weise, aber auch schou sehr künstlich, in die Reihe der Weltstädte er¬
hoben; die sächsischen Regenten legten den Glauben ihrer Väter ab, und schmückten
ihr Haupt mit einer fremden Krone. Zwei lange und wenigstens äußerlich glän¬
zende Regierungen führten die Bildung, den Prunk und die Lasterhaftigkeit der
damaligen Cultur in Dresden ein. Der Dresdner Hof war der glänzendste in
Europa uach dem von Versailles, die Kollisionen der europäischen Politik traten
in wesentliche Bezüge zu dem sächsischen Staats- und Hofleben, aus allen Gegen¬
den Europa's wurden Kunstschätze und Raritäten aller Art an diese Stätte des
Prunks und des Genusses hingezogen.

Das Elend des Volks, aus dem dieser Glanz des Hofes aufblühte, ist nun
vergessen; die Denkmale jener Pracht sind geblieben, und wir zögern, über einen
Tyrannen den Stab zu brechen, dessen Willkür uns so werthe Früchte getragen hat.
Es war eine künstlich hervorgerufene Macht, eine Treibhauspflanze, die ebenso
rasch verblüht, als sie aufgegangen ist. Der siebenjährige Krieg, der nicht blos
Deutschland's politische Verhältnisse umgestaltete, machte mit der scheinbaren Höhe
Sachsens ein rasches Ende. Gleich darauf erfolgte die Uebertragung der polnischen
Krone an einem andern Herrscher.

Die napoleonischen Zeiten gaben Sachsen noch einmal Gelegenheit, in eine
eigenthümlich bedeutende Stellung einzutreten. Im Unglück des gewaltigen Feld¬
herrn zeigte der König wenigstens einen ritterlichen Sinn; er blieb ihm treu; aber
das Volk schloß sich der Sache des Vaterlandes an, und der Friede drückte das
neue Königreich in die Reihe der Mächte dritten Ranges hinab.

In allen Momenten, wo Sachsen gedemüthigt wurde, war es Preußen, von
dem das Unglück ausging. Es ist diese alte Antipathie im sächsischen Volk ge-


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[0577] auf einem andern, als dem gewöhnlichen Wege der Gelehrsamkeit widmet und die Messen setzen Leipzig mit halb Europa in Communication. Ist es nicht erstaunlich, wie dürstig eine so bedeutende Stadt, wie Dresden, in der Presse vertreten ist? wie selbst in den ziemlich unbedeutenden Organen, die es noch für sich hat, fortwährend auf Leipzig Bezug genommen wird? Es ist sogar in Leipzig Ton geworden, auf die Einwohner Dresdens mit einem gewissen Hochmuth herabznsehn; eine Geringschätzung, deren Berechtigung ich nicht anerkennen möchte. Zweimal hat Dresden eine Stelle in der Weltgeschichte eingenommen. Ein¬ mal in der Zeit, als Kursachsen die anerkannte Hauptmacht des protestantischen Deutschland war, als die Dresdner Hofprediger selbst in Kriegszeiten an Wich¬ tigkeit den Generalen nicht nachstanden. Die schwankende Stellung Sachsens im dreißigjährigen Kriege, wenn man will, diese Unbestimmtheit in der Abgrenzung der religiösen und politischen Pflichten, und gleich daraus die Energie, mit welcher Friedrich Wilhelm der Große Brandenburg's Macht entfaltete, die Gewalt, mit welcher diese große Persönlichkeit alle Kräfte des Protestantismus in seinen Dienst zog, machten dieser Stellung ein Ende. Das zweitemal wurde Dresden zwar ans eine glänzendere Weise, aber auch schou sehr künstlich, in die Reihe der Weltstädte er¬ hoben; die sächsischen Regenten legten den Glauben ihrer Väter ab, und schmückten ihr Haupt mit einer fremden Krone. Zwei lange und wenigstens äußerlich glän¬ zende Regierungen führten die Bildung, den Prunk und die Lasterhaftigkeit der damaligen Cultur in Dresden ein. Der Dresdner Hof war der glänzendste in Europa uach dem von Versailles, die Kollisionen der europäischen Politik traten in wesentliche Bezüge zu dem sächsischen Staats- und Hofleben, aus allen Gegen¬ den Europa's wurden Kunstschätze und Raritäten aller Art an diese Stätte des Prunks und des Genusses hingezogen. Das Elend des Volks, aus dem dieser Glanz des Hofes aufblühte, ist nun vergessen; die Denkmale jener Pracht sind geblieben, und wir zögern, über einen Tyrannen den Stab zu brechen, dessen Willkür uns so werthe Früchte getragen hat. Es war eine künstlich hervorgerufene Macht, eine Treibhauspflanze, die ebenso rasch verblüht, als sie aufgegangen ist. Der siebenjährige Krieg, der nicht blos Deutschland's politische Verhältnisse umgestaltete, machte mit der scheinbaren Höhe Sachsens ein rasches Ende. Gleich darauf erfolgte die Uebertragung der polnischen Krone an einem andern Herrscher. Die napoleonischen Zeiten gaben Sachsen noch einmal Gelegenheit, in eine eigenthümlich bedeutende Stellung einzutreten. Im Unglück des gewaltigen Feld¬ herrn zeigte der König wenigstens einen ritterlichen Sinn; er blieb ihm treu; aber das Volk schloß sich der Sache des Vaterlandes an, und der Friede drückte das neue Königreich in die Reihe der Mächte dritten Ranges hinab. In allen Momenten, wo Sachsen gedemüthigt wurde, war es Preußen, von dem das Unglück ausging. Es ist diese alte Antipathie im sächsischen Volk ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/577>, abgerufen am 01.09.2024.