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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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nur insofern, als sie sich an dem Stoffe gegebener Verhältnisse verwirklichen. Hu¬
manitätsphilosophen, deren Erfahrungen kaum weiter reiche", als die vier Wände
ihres Studierzimmers, werden sich außerhalb der Berührungspunkte jener drei
sich bestreitendeu Nationalitäten, der lettischen, deutschen" und russischen, sofort für
jenes scheinbar höchste Princip der Freiheit und Freizügigkeit entscheiden. Dennoch
ist letztere uuter den gegebenen Verhältnissen nichts weiter, als ein Verlust der
Freiheit, indem eine schwache Volksthümlichkeit, entwurzelt aus seinen heimischen
Verhältnissen und losgerissen von dem Spalier der Bildung, woran es sich hätte
emporranken und entfalten können, der abgeschnittenen Blume gleich, in den so¬
zialen Wüsten des fernen Ostens zerflatteru würde.

Hätte man nur eher die Basis des Besitzthums gelegt, um darauf fernere
Absichten zu begründen!

Aber auch jetzt noch sucht meist der Vorstand der Ritterschaft diesem Kerne
der Debatte, worauf Alles beruht, durch weitschichtige, nebelhafte Reden zu echa-
pireu. Natürlich, er reist in Aufträgen der Ritterschaft nach Petersburg, Ver¬
wandte von ihm sitzen vielleicht im Senat und Reichsrath, er hat in Salons viele
Sterne entdeckt, russische Feudalautokrateu und deu Kaiser selber gesprochen. O klei¬
nes Vaterland und vollends ihr Letten, wie sehr tretet ihr in deu Hintergrund!
Wie wichtig und achselzuckend ist seiue Miene, wenn er in seinem Salon die ritter-
schaftlichen Notabilitäten um sich versammelt! Er weiß sich den Anstrich eines
Diplomaten zu geben, er läßt durch das künstliche Zwielicht seiner Rede den in
Petersburg so prächtig ausstaffirter russischen Koloß hindurchschimmern, er legt
sein kleines Vaterland in die eine Wagschale und Nußland in die andere und ruft:
welch' ein Unterschied! Und dann seine Reden ans dem Landtage, Sätze, für welche
eine Folioseite nicht Raum hat, der ungeheure Schweif kommt dem Kopfende ab¬
handen. Der langen Rede kurzer Sinn etwa folgender: meine Herren, mögen
Sie immerhin deu Anregungen der Neuzeit ihre Theilnahme nicht versagen, mögen
Sie den Laus der Eisenbahnen mit Interesse verfolgen :c., das aber mein' ich,
unsere unveräußerlichen ritterschaftlichen Rechte, das durch Jahrhunderte geheiligte
Privilegium des Adels, einzig und allein Grundboden besitzen und erwerben zu
dürfen und unser Ruhm in Folge dieser Begründungen für eine der hauptsächlich¬
sten Stützen der Krone (! ?) zu gelten, das eben mein' ich, sollte die Basis sein, auf
welcher sich alle fernern Debatten fortsetzen ließen.

Und die Ritterschaft? O ja, sie goutirt ihren Stellvertreter nicht, für jeden
Landtag hat man sich vorgenommen, einen neuen zu erwählen, aber es bleibt beim
alten. Die Connexionen im Reichsrath, die Reisen nach Petersburg ze., welch' eine
Perspective, die deu beständig auf seinem Gute ansässigen Landwirth in ahnungs¬
volle Fernen fortzieht und ihn die Nothstände seiner Gegenwart übersehen läßt!

Ich hielt einmal mehrere als Manuskript gedruckte Blätter in meinen Händen.
Da fragte mich eine junge, niedliche Dame: was haben Sie denn da? Ich sagte,


nur insofern, als sie sich an dem Stoffe gegebener Verhältnisse verwirklichen. Hu¬
manitätsphilosophen, deren Erfahrungen kaum weiter reiche», als die vier Wände
ihres Studierzimmers, werden sich außerhalb der Berührungspunkte jener drei
sich bestreitendeu Nationalitäten, der lettischen, deutschen« und russischen, sofort für
jenes scheinbar höchste Princip der Freiheit und Freizügigkeit entscheiden. Dennoch
ist letztere uuter den gegebenen Verhältnissen nichts weiter, als ein Verlust der
Freiheit, indem eine schwache Volksthümlichkeit, entwurzelt aus seinen heimischen
Verhältnissen und losgerissen von dem Spalier der Bildung, woran es sich hätte
emporranken und entfalten können, der abgeschnittenen Blume gleich, in den so¬
zialen Wüsten des fernen Ostens zerflatteru würde.

Hätte man nur eher die Basis des Besitzthums gelegt, um darauf fernere
Absichten zu begründen!

Aber auch jetzt noch sucht meist der Vorstand der Ritterschaft diesem Kerne
der Debatte, worauf Alles beruht, durch weitschichtige, nebelhafte Reden zu echa-
pireu. Natürlich, er reist in Aufträgen der Ritterschaft nach Petersburg, Ver¬
wandte von ihm sitzen vielleicht im Senat und Reichsrath, er hat in Salons viele
Sterne entdeckt, russische Feudalautokrateu und deu Kaiser selber gesprochen. O klei¬
nes Vaterland und vollends ihr Letten, wie sehr tretet ihr in deu Hintergrund!
Wie wichtig und achselzuckend ist seiue Miene, wenn er in seinem Salon die ritter-
schaftlichen Notabilitäten um sich versammelt! Er weiß sich den Anstrich eines
Diplomaten zu geben, er läßt durch das künstliche Zwielicht seiner Rede den in
Petersburg so prächtig ausstaffirter russischen Koloß hindurchschimmern, er legt
sein kleines Vaterland in die eine Wagschale und Nußland in die andere und ruft:
welch' ein Unterschied! Und dann seine Reden ans dem Landtage, Sätze, für welche
eine Folioseite nicht Raum hat, der ungeheure Schweif kommt dem Kopfende ab¬
handen. Der langen Rede kurzer Sinn etwa folgender: meine Herren, mögen
Sie immerhin deu Anregungen der Neuzeit ihre Theilnahme nicht versagen, mögen
Sie den Laus der Eisenbahnen mit Interesse verfolgen :c., das aber mein' ich,
unsere unveräußerlichen ritterschaftlichen Rechte, das durch Jahrhunderte geheiligte
Privilegium des Adels, einzig und allein Grundboden besitzen und erwerben zu
dürfen und unser Ruhm in Folge dieser Begründungen für eine der hauptsächlich¬
sten Stützen der Krone (! ?) zu gelten, das eben mein' ich, sollte die Basis sein, auf
welcher sich alle fernern Debatten fortsetzen ließen.

Und die Ritterschaft? O ja, sie goutirt ihren Stellvertreter nicht, für jeden
Landtag hat man sich vorgenommen, einen neuen zu erwählen, aber es bleibt beim
alten. Die Connexionen im Reichsrath, die Reisen nach Petersburg ze., welch' eine
Perspective, die deu beständig auf seinem Gute ansässigen Landwirth in ahnungs¬
volle Fernen fortzieht und ihn die Nothstände seiner Gegenwart übersehen läßt!

Ich hielt einmal mehrere als Manuskript gedruckte Blätter in meinen Händen.
Da fragte mich eine junge, niedliche Dame: was haben Sie denn da? Ich sagte,


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[0562] nur insofern, als sie sich an dem Stoffe gegebener Verhältnisse verwirklichen. Hu¬ manitätsphilosophen, deren Erfahrungen kaum weiter reiche», als die vier Wände ihres Studierzimmers, werden sich außerhalb der Berührungspunkte jener drei sich bestreitendeu Nationalitäten, der lettischen, deutschen« und russischen, sofort für jenes scheinbar höchste Princip der Freiheit und Freizügigkeit entscheiden. Dennoch ist letztere uuter den gegebenen Verhältnissen nichts weiter, als ein Verlust der Freiheit, indem eine schwache Volksthümlichkeit, entwurzelt aus seinen heimischen Verhältnissen und losgerissen von dem Spalier der Bildung, woran es sich hätte emporranken und entfalten können, der abgeschnittenen Blume gleich, in den so¬ zialen Wüsten des fernen Ostens zerflatteru würde. Hätte man nur eher die Basis des Besitzthums gelegt, um darauf fernere Absichten zu begründen! Aber auch jetzt noch sucht meist der Vorstand der Ritterschaft diesem Kerne der Debatte, worauf Alles beruht, durch weitschichtige, nebelhafte Reden zu echa- pireu. Natürlich, er reist in Aufträgen der Ritterschaft nach Petersburg, Ver¬ wandte von ihm sitzen vielleicht im Senat und Reichsrath, er hat in Salons viele Sterne entdeckt, russische Feudalautokrateu und deu Kaiser selber gesprochen. O klei¬ nes Vaterland und vollends ihr Letten, wie sehr tretet ihr in deu Hintergrund! Wie wichtig und achselzuckend ist seiue Miene, wenn er in seinem Salon die ritter- schaftlichen Notabilitäten um sich versammelt! Er weiß sich den Anstrich eines Diplomaten zu geben, er läßt durch das künstliche Zwielicht seiner Rede den in Petersburg so prächtig ausstaffirter russischen Koloß hindurchschimmern, er legt sein kleines Vaterland in die eine Wagschale und Nußland in die andere und ruft: welch' ein Unterschied! Und dann seine Reden ans dem Landtage, Sätze, für welche eine Folioseite nicht Raum hat, der ungeheure Schweif kommt dem Kopfende ab¬ handen. Der langen Rede kurzer Sinn etwa folgender: meine Herren, mögen Sie immerhin deu Anregungen der Neuzeit ihre Theilnahme nicht versagen, mögen Sie den Laus der Eisenbahnen mit Interesse verfolgen :c., das aber mein' ich, unsere unveräußerlichen ritterschaftlichen Rechte, das durch Jahrhunderte geheiligte Privilegium des Adels, einzig und allein Grundboden besitzen und erwerben zu dürfen und unser Ruhm in Folge dieser Begründungen für eine der hauptsächlich¬ sten Stützen der Krone (! ?) zu gelten, das eben mein' ich, sollte die Basis sein, auf welcher sich alle fernern Debatten fortsetzen ließen. Und die Ritterschaft? O ja, sie goutirt ihren Stellvertreter nicht, für jeden Landtag hat man sich vorgenommen, einen neuen zu erwählen, aber es bleibt beim alten. Die Connexionen im Reichsrath, die Reisen nach Petersburg ze., welch' eine Perspective, die deu beständig auf seinem Gute ansässigen Landwirth in ahnungs¬ volle Fernen fortzieht und ihn die Nothstände seiner Gegenwart übersehen läßt! Ich hielt einmal mehrere als Manuskript gedruckte Blätter in meinen Händen. Da fragte mich eine junge, niedliche Dame: was haben Sie denn da? Ich sagte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/562>, abgerufen am 01.09.2024.