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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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mer geschehen. Vielmehr dient dieser nur dazu, sobald dergleichen Dinge auf ihn
vorkommen, daß sich die Aufmerksamkeit des Kabinets nach ihm hinzieht, welches
Mit verschärfter Absicht zur Herbeiführung des Gegentheils Veranstaltung trifft.

Gehen auf dem Landtage Vorschläge zur Begründung vou Schulen durch,
so kommt der russische Befehl hintennach, daß in ihnen nnr Unterricht in keltischer
Sprache ertheilt werden sollte. Warum zuvorderst nur in keltischer Sprache
ist erklärlich. Ohne jenen öffentlichen Antrag und unter der Hand hätte so
viel deutscher Unterricht als möglich ertheilt werden können, und bei der Willfäh¬
rigkeit des Letten, sich fremde Bildung anzueignen, wär' es gar keine Frage ge¬
wesen, welches Sprachidiom obgesiegt. Interessant waren auf einem der dortigen
Landtage die Debatten wegen Ausdehnung der Freizügigkeit des Landmannes auf
russische Gouvernements. Da konnte man sehen, wie zwei Prinzipe dicht neben¬
einander geriethen, von denen das eine, obwohl es in löblicher Weise nicht deut¬
lich ausgesprochen wurde, sich dennoch errathen ließ. Die jüngern Deputirten woll¬
ten Freizügigkeit, indem sie auf die unserer Zeit angemessene Humanität zurück¬
gingen, die keine Grenzen anerkenne. Wunderliche Reden wurden da laut. Man
citirte alle Maschinen der Neuzeit. Rhetorische Dampfwagen rollten in überaus
lauggeschwungenen stylisirten Sätzen an den Ohren der Hörer vorüber. Vor ihrer
alle Hindernisse besiegenden Wucht würden am Ende auch die äußersten Grenzen
durchbrochen werdeu, und was dergleichen mehr ist. Von Bewilligung des Eigen¬
thums war wenig die Rede. Bei diesem hochartigen Wvrtschwunge übersah man,
daß die wahre Freizügigkeit des Letten darin besteht, daß er in sein Haus, in
sein Besitzthum und in das hieraus sich von selbst ergebende Deutschthum hinein¬
wandern darf.

Die ältern Deputirten trafen für diesmal das Nichtige. Sie bemerkten:
öffnen wir die Grenzen unserer Provinz, so wandert das Lettenthum, wenn auch
zunächst nur aus dem unbestimmten Drange nach Veränderung partienweise aus,
der rührige Russe dagegen in unsere Grenzen ein, indem er sofort auf unsern
Mangel an productiver Menschenkraft speculirt. Mit ihm erhalten wir die grie¬
chische Religion und die ganze russische Bescherung. Es ist Zeit, daß wir den
Letten nicht durch den Zwang des äußern Gesetzes, sondern ans andere Weise in
unserm Lande zu fesseln suchen. Wir müssen ihm zuvörderst durch Bewilligung
von Eigentumsrechten sein Leben angenehm machen (hört!). Ans seiner Ansässig¬
keit, aus der Liebe zu seinem Boden, zu seiner Heimath, werden sich Neigungen
entfalten, die unsern fernern Absichten freiwillig entgegenkommen. Hernach mag
jene Freizügigkeit losgelassen werden. Wir wollen dann sehen, ob der Leite davon
Gebrauch macht.

Wir bemerken, daß diese Ansichten nicht sowohl auf dem Landtage, als vor
der Eröffnung desselben in andern Kreisen geäußert wurden.

Uebrigens sehen wir daraus, daß Ideen nicht an und für sich gelten, sondern


mer geschehen. Vielmehr dient dieser nur dazu, sobald dergleichen Dinge auf ihn
vorkommen, daß sich die Aufmerksamkeit des Kabinets nach ihm hinzieht, welches
Mit verschärfter Absicht zur Herbeiführung des Gegentheils Veranstaltung trifft.

Gehen auf dem Landtage Vorschläge zur Begründung vou Schulen durch,
so kommt der russische Befehl hintennach, daß in ihnen nnr Unterricht in keltischer
Sprache ertheilt werden sollte. Warum zuvorderst nur in keltischer Sprache
ist erklärlich. Ohne jenen öffentlichen Antrag und unter der Hand hätte so
viel deutscher Unterricht als möglich ertheilt werden können, und bei der Willfäh¬
rigkeit des Letten, sich fremde Bildung anzueignen, wär' es gar keine Frage ge¬
wesen, welches Sprachidiom obgesiegt. Interessant waren auf einem der dortigen
Landtage die Debatten wegen Ausdehnung der Freizügigkeit des Landmannes auf
russische Gouvernements. Da konnte man sehen, wie zwei Prinzipe dicht neben¬
einander geriethen, von denen das eine, obwohl es in löblicher Weise nicht deut¬
lich ausgesprochen wurde, sich dennoch errathen ließ. Die jüngern Deputirten woll¬
ten Freizügigkeit, indem sie auf die unserer Zeit angemessene Humanität zurück¬
gingen, die keine Grenzen anerkenne. Wunderliche Reden wurden da laut. Man
citirte alle Maschinen der Neuzeit. Rhetorische Dampfwagen rollten in überaus
lauggeschwungenen stylisirten Sätzen an den Ohren der Hörer vorüber. Vor ihrer
alle Hindernisse besiegenden Wucht würden am Ende auch die äußersten Grenzen
durchbrochen werdeu, und was dergleichen mehr ist. Von Bewilligung des Eigen¬
thums war wenig die Rede. Bei diesem hochartigen Wvrtschwunge übersah man,
daß die wahre Freizügigkeit des Letten darin besteht, daß er in sein Haus, in
sein Besitzthum und in das hieraus sich von selbst ergebende Deutschthum hinein¬
wandern darf.

Die ältern Deputirten trafen für diesmal das Nichtige. Sie bemerkten:
öffnen wir die Grenzen unserer Provinz, so wandert das Lettenthum, wenn auch
zunächst nur aus dem unbestimmten Drange nach Veränderung partienweise aus,
der rührige Russe dagegen in unsere Grenzen ein, indem er sofort auf unsern
Mangel an productiver Menschenkraft speculirt. Mit ihm erhalten wir die grie¬
chische Religion und die ganze russische Bescherung. Es ist Zeit, daß wir den
Letten nicht durch den Zwang des äußern Gesetzes, sondern ans andere Weise in
unserm Lande zu fesseln suchen. Wir müssen ihm zuvörderst durch Bewilligung
von Eigentumsrechten sein Leben angenehm machen (hört!). Ans seiner Ansässig¬
keit, aus der Liebe zu seinem Boden, zu seiner Heimath, werden sich Neigungen
entfalten, die unsern fernern Absichten freiwillig entgegenkommen. Hernach mag
jene Freizügigkeit losgelassen werden. Wir wollen dann sehen, ob der Leite davon
Gebrauch macht.

Wir bemerken, daß diese Ansichten nicht sowohl auf dem Landtage, als vor
der Eröffnung desselben in andern Kreisen geäußert wurden.

Uebrigens sehen wir daraus, daß Ideen nicht an und für sich gelten, sondern


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[0561] mer geschehen. Vielmehr dient dieser nur dazu, sobald dergleichen Dinge auf ihn vorkommen, daß sich die Aufmerksamkeit des Kabinets nach ihm hinzieht, welches Mit verschärfter Absicht zur Herbeiführung des Gegentheils Veranstaltung trifft. Gehen auf dem Landtage Vorschläge zur Begründung vou Schulen durch, so kommt der russische Befehl hintennach, daß in ihnen nnr Unterricht in keltischer Sprache ertheilt werden sollte. Warum zuvorderst nur in keltischer Sprache ist erklärlich. Ohne jenen öffentlichen Antrag und unter der Hand hätte so viel deutscher Unterricht als möglich ertheilt werden können, und bei der Willfäh¬ rigkeit des Letten, sich fremde Bildung anzueignen, wär' es gar keine Frage ge¬ wesen, welches Sprachidiom obgesiegt. Interessant waren auf einem der dortigen Landtage die Debatten wegen Ausdehnung der Freizügigkeit des Landmannes auf russische Gouvernements. Da konnte man sehen, wie zwei Prinzipe dicht neben¬ einander geriethen, von denen das eine, obwohl es in löblicher Weise nicht deut¬ lich ausgesprochen wurde, sich dennoch errathen ließ. Die jüngern Deputirten woll¬ ten Freizügigkeit, indem sie auf die unserer Zeit angemessene Humanität zurück¬ gingen, die keine Grenzen anerkenne. Wunderliche Reden wurden da laut. Man citirte alle Maschinen der Neuzeit. Rhetorische Dampfwagen rollten in überaus lauggeschwungenen stylisirten Sätzen an den Ohren der Hörer vorüber. Vor ihrer alle Hindernisse besiegenden Wucht würden am Ende auch die äußersten Grenzen durchbrochen werdeu, und was dergleichen mehr ist. Von Bewilligung des Eigen¬ thums war wenig die Rede. Bei diesem hochartigen Wvrtschwunge übersah man, daß die wahre Freizügigkeit des Letten darin besteht, daß er in sein Haus, in sein Besitzthum und in das hieraus sich von selbst ergebende Deutschthum hinein¬ wandern darf. Die ältern Deputirten trafen für diesmal das Nichtige. Sie bemerkten: öffnen wir die Grenzen unserer Provinz, so wandert das Lettenthum, wenn auch zunächst nur aus dem unbestimmten Drange nach Veränderung partienweise aus, der rührige Russe dagegen in unsere Grenzen ein, indem er sofort auf unsern Mangel an productiver Menschenkraft speculirt. Mit ihm erhalten wir die grie¬ chische Religion und die ganze russische Bescherung. Es ist Zeit, daß wir den Letten nicht durch den Zwang des äußern Gesetzes, sondern ans andere Weise in unserm Lande zu fesseln suchen. Wir müssen ihm zuvörderst durch Bewilligung von Eigentumsrechten sein Leben angenehm machen (hört!). Ans seiner Ansässig¬ keit, aus der Liebe zu seinem Boden, zu seiner Heimath, werden sich Neigungen entfalten, die unsern fernern Absichten freiwillig entgegenkommen. Hernach mag jene Freizügigkeit losgelassen werden. Wir wollen dann sehen, ob der Leite davon Gebrauch macht. Wir bemerken, daß diese Ansichten nicht sowohl auf dem Landtage, als vor der Eröffnung desselben in andern Kreisen geäußert wurden. Uebrigens sehen wir daraus, daß Ideen nicht an und für sich gelten, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/561>, abgerufen am 01.09.2024.