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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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zwischen Wogen und Klippen, wo streit- und prozeßsüchtige Ungethüme sie ver¬
schlucken, um sie angeblich besser würdigen zu können.

Ueber dieser vou der Gerechtigkeit gelegten und umfriedigten Basis würden
sich dann im Verlaufe der Zeit die höhern Blüthen des geistigen Lebens hervor¬
gethan haben, welche von germanischen Gärtnern gepflegt, auch in germanischer
Weise Früchte getragen hätten.

Wie gesagt: auf diese Weise wäre Alles unter der Hand geschehen. Wir
accentuirtem dies Wort absichtlich, weil sehr viel Gewicht darauf beruht.

Die Zügel der russischen Regierung nämlich siud nur auf dem Papiere straff
angezogen, darüber hinaus flattern sie, je weiter vou Petersburg entfernt, desto
loser in die Provinzen hinein. Hier verlängern und verwickeln sie sich dermaßen,
daß sich ans deu gelockerten Strängen wiederum Zügel bilden lassen, mit denen
man sogar, sobald mau sie nur mit Gold- oder Silbcrstückchcn besetzt, Haufen
vou Tschiuowniks zu seinen Privatzwecken aufzäumen kann.

So wunderbar es klingen mag, so gewiß ist es: es gibt in Rußland, wo
ein automatischer Wille alle Provinzen uach dem Modell eines Petersburger Bu¬
reau's zuzustutzen versucht, Bezirke, die sich außerhalb der Kabiuetscvntrvle zu
setzen wissen und ihre Angelegenheiten in republikanische Verfassung bringen. So
ist und wird z. B. alles Land bei den Syrjaeuen im nördlichen Rußland uuter
die einzelnen Familien, je nach der Größe derselben, vertheilt und also nicht wie
in Majoratsverhältnissen für eine gewisse Gesellschastskaste auf angeblich ewige
Zeiten prädestinirt. Kommt der Termin der Entrichtung der Abgaben, so sind
diese uach gemeinschaftlicher Uebereinkunft schon vor dem Erscheinen des Tschinow-
niks von den Gemeinden zusammengetragen und jeuer braucht sie nnr an dem ihm
bezeichneten Orte nebst einigen Beigeschenken in Empfang zu nehmen, durch die
er sich verpflichtet, nicht in die Gemeinde selber zu kommen, welche er durch seine
Gegenwart nur in Unordnung bringen würde. Es läßt sich leicht denken, daß nun¬
mehr auch alle sonstigen Angelegenheiten innerhalb der Gemeindegrenze und außer¬
halb des Bereiches der Tschiuowniks entschiede,: werdeu und daß niemand sich auf¬
gefordert fühlt, seiue Privatstreitigkeiten in's Ungewisse über die Grenze hinauf¬
zutragen, denn er weiß, daß die von ihm selber gewählte Obrigkeit nur nach dem
Grundsatze strengster Gerechtigkeit entscheidet, sowie denn bei jenem Volke die
Worte: lieber sterben als ungerecht sein als Sprichwort gelten.

Die Anwendung für unsere Verhältnisse ergibt sich von selbst. Es kam ge¬
wissermaßen ans eine stille Uebereinkunft an, die bei Erfüllung aller sonstigen Ob¬
liegenheiten zu Gunsten des Deutschthums in idyllischer Unschuld und Zurückge-
zogenheit gewirkt hätte, so daß mau dem plötzlich von oben herab eingeleiteten
Umgestaltnugsversuche mit deu s-ut -^com,>Il germanischer Bildung entgegenge¬
treten wäre.

Auf dem Wege der Oeffentlichkeit, z. B. durch eiuen Landtag, kann dies nim-


zwischen Wogen und Klippen, wo streit- und prozeßsüchtige Ungethüme sie ver¬
schlucken, um sie angeblich besser würdigen zu können.

Ueber dieser vou der Gerechtigkeit gelegten und umfriedigten Basis würden
sich dann im Verlaufe der Zeit die höhern Blüthen des geistigen Lebens hervor¬
gethan haben, welche von germanischen Gärtnern gepflegt, auch in germanischer
Weise Früchte getragen hätten.

Wie gesagt: auf diese Weise wäre Alles unter der Hand geschehen. Wir
accentuirtem dies Wort absichtlich, weil sehr viel Gewicht darauf beruht.

Die Zügel der russischen Regierung nämlich siud nur auf dem Papiere straff
angezogen, darüber hinaus flattern sie, je weiter vou Petersburg entfernt, desto
loser in die Provinzen hinein. Hier verlängern und verwickeln sie sich dermaßen,
daß sich ans deu gelockerten Strängen wiederum Zügel bilden lassen, mit denen
man sogar, sobald mau sie nur mit Gold- oder Silbcrstückchcn besetzt, Haufen
vou Tschiuowniks zu seinen Privatzwecken aufzäumen kann.

So wunderbar es klingen mag, so gewiß ist es: es gibt in Rußland, wo
ein automatischer Wille alle Provinzen uach dem Modell eines Petersburger Bu¬
reau's zuzustutzen versucht, Bezirke, die sich außerhalb der Kabiuetscvntrvle zu
setzen wissen und ihre Angelegenheiten in republikanische Verfassung bringen. So
ist und wird z. B. alles Land bei den Syrjaeuen im nördlichen Rußland uuter
die einzelnen Familien, je nach der Größe derselben, vertheilt und also nicht wie
in Majoratsverhältnissen für eine gewisse Gesellschastskaste auf angeblich ewige
Zeiten prädestinirt. Kommt der Termin der Entrichtung der Abgaben, so sind
diese uach gemeinschaftlicher Uebereinkunft schon vor dem Erscheinen des Tschinow-
niks von den Gemeinden zusammengetragen und jeuer braucht sie nnr an dem ihm
bezeichneten Orte nebst einigen Beigeschenken in Empfang zu nehmen, durch die
er sich verpflichtet, nicht in die Gemeinde selber zu kommen, welche er durch seine
Gegenwart nur in Unordnung bringen würde. Es läßt sich leicht denken, daß nun¬
mehr auch alle sonstigen Angelegenheiten innerhalb der Gemeindegrenze und außer¬
halb des Bereiches der Tschiuowniks entschiede,: werdeu und daß niemand sich auf¬
gefordert fühlt, seiue Privatstreitigkeiten in's Ungewisse über die Grenze hinauf¬
zutragen, denn er weiß, daß die von ihm selber gewählte Obrigkeit nur nach dem
Grundsatze strengster Gerechtigkeit entscheidet, sowie denn bei jenem Volke die
Worte: lieber sterben als ungerecht sein als Sprichwort gelten.

Die Anwendung für unsere Verhältnisse ergibt sich von selbst. Es kam ge¬
wissermaßen ans eine stille Uebereinkunft an, die bei Erfüllung aller sonstigen Ob¬
liegenheiten zu Gunsten des Deutschthums in idyllischer Unschuld und Zurückge-
zogenheit gewirkt hätte, so daß mau dem plötzlich von oben herab eingeleiteten
Umgestaltnugsversuche mit deu s-ut -^com,>Il germanischer Bildung entgegenge¬
treten wäre.

Auf dem Wege der Oeffentlichkeit, z. B. durch eiuen Landtag, kann dies nim-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/560>, abgerufen am 01.09.2024.