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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Unser Princip jedoch, daß der Zug nach dein Göttlichen in der menschlichen
Natur stärker sei als der nach dem Bösen, nehmen wir auch für den Letten in
Anspruch. Der Geist zeichnet sich, wenn sein Griffel nicht durch menschliche Lehr¬
meister unterstützt wird, zwar langsam, aber doch sicher endlich ans jener tudulii,
r-is-t des Volksthums ein. Es war die Mission der eingewanderten Deutschen,
diese Zeichnungen mehr zu beschleunigen, als es geschehen ist. Ich denke, wenn
ein Zeitraum vou Jahrhunderten zur Präparation gestattet wurde, konnte eine so
leichte und natürliche Aufgabe wohl zur Zufriedenheit ausfallen.

Man sah sich nach Ausflüchten, nach Entschuldigungen um. Die Natur des
Letten, meinte man, sei eben der Bildung nicht fähig, alle Sprossen, die man sei¬
nem Stamme eiuimpfe, würden sofort in dem engen Kreise seiner Anschauungen,
in der Zähigkeit seines Gewohnheitslebens erstarren und verkümmern.

Ein altes Lied, welches von jeher und in noch größerem Maße der weiße
Herr in Beziehung auf seineu schwarzen Sklaven anstimmte!

Aber die Geschichte, die alltägliche Erfahrung stimmt damit nicht überein.
Der leibeigene Nationalrnsse ist unendlich mehr als der Leite gegen alles das
eingenommen, was Bildung und Schule heißt. Er glaubt sogar, daß dergleichen
Dinge unter dem Einflüsse des Teufels ständen. Wie sehr aber der liebreiche
Einfluß eiuer Gutsherrschaft im Staude war, solche eingewurzelte Vorurtheile zu
beseitige", bewies in neuerer Zeit die Frau vou Jakowlef, die nicht durch Gewalt,
sondern durch herzliche Theilnahme, durch persönlichen Zuspruch und durch ma¬
terielle Vergünstigungen auf ihren Gütern die Menschheit so sehr heranbildete,
daß ich diese im Gegensatz zu andern Bezirken, wo dergleichen Evolutionen nicht
Statt hatten, sehr glücklich und befriedigt fühlte.

Wir wiederholen: herzliche Theilnahme, persönlicher Zuspruch, materielle Ver¬
günstigungen, das waren die Dinge, worauf es zur Forderung des germanischen
Principes in den Ostseeprovinzen ankam.

Dann hätte man vom Gemeindegerichte aus, mehr als dies auf dem Wege
des Landtages möglich ist, alles das unter der Hand einführen können, was
wan zum Zwecke des Germanenthums einführen wollte.

Nur zu oft überspringt gegenwärtig der Bauer ans Mißtrauen gegen die
Beschlüsse des Gemeindegcrichts, das er sich nicht anders als unter dem Einflüsse
des Gutsherrn denkt, die Grenzen seines Gemeinde- und Rechtsgebietes und wird
dafür außerhalb desselben vou Intriguen und Weitläufigkeiten empfangen, die ihn
Noch mehr erbittern und gegen alles das einnehmen, was von seinem deutschen
Herrn kommt.

Ein unbedingtes Vertrauen aber zu seiner Gutsherrschaft, die sich vielfach
und sichtbar durch strengste Gerechtigkeit und Unparteilichkeit bewährte, hätte ihn
seine Sache innerhalb des Gemeindegerichtsbezirkes beschließen lassen: sie ruhte ja
bereits im Hafen, und eine Angelegenheit, die man sichern will, stößt man nicht


Unser Princip jedoch, daß der Zug nach dein Göttlichen in der menschlichen
Natur stärker sei als der nach dem Bösen, nehmen wir auch für den Letten in
Anspruch. Der Geist zeichnet sich, wenn sein Griffel nicht durch menschliche Lehr¬
meister unterstützt wird, zwar langsam, aber doch sicher endlich ans jener tudulii,
r-is-t des Volksthums ein. Es war die Mission der eingewanderten Deutschen,
diese Zeichnungen mehr zu beschleunigen, als es geschehen ist. Ich denke, wenn
ein Zeitraum vou Jahrhunderten zur Präparation gestattet wurde, konnte eine so
leichte und natürliche Aufgabe wohl zur Zufriedenheit ausfallen.

Man sah sich nach Ausflüchten, nach Entschuldigungen um. Die Natur des
Letten, meinte man, sei eben der Bildung nicht fähig, alle Sprossen, die man sei¬
nem Stamme eiuimpfe, würden sofort in dem engen Kreise seiner Anschauungen,
in der Zähigkeit seines Gewohnheitslebens erstarren und verkümmern.

Ein altes Lied, welches von jeher und in noch größerem Maße der weiße
Herr in Beziehung auf seineu schwarzen Sklaven anstimmte!

Aber die Geschichte, die alltägliche Erfahrung stimmt damit nicht überein.
Der leibeigene Nationalrnsse ist unendlich mehr als der Leite gegen alles das
eingenommen, was Bildung und Schule heißt. Er glaubt sogar, daß dergleichen
Dinge unter dem Einflüsse des Teufels ständen. Wie sehr aber der liebreiche
Einfluß eiuer Gutsherrschaft im Staude war, solche eingewurzelte Vorurtheile zu
beseitige«, bewies in neuerer Zeit die Frau vou Jakowlef, die nicht durch Gewalt,
sondern durch herzliche Theilnahme, durch persönlichen Zuspruch und durch ma¬
terielle Vergünstigungen auf ihren Gütern die Menschheit so sehr heranbildete,
daß ich diese im Gegensatz zu andern Bezirken, wo dergleichen Evolutionen nicht
Statt hatten, sehr glücklich und befriedigt fühlte.

Wir wiederholen: herzliche Theilnahme, persönlicher Zuspruch, materielle Ver¬
günstigungen, das waren die Dinge, worauf es zur Forderung des germanischen
Principes in den Ostseeprovinzen ankam.

Dann hätte man vom Gemeindegerichte aus, mehr als dies auf dem Wege
des Landtages möglich ist, alles das unter der Hand einführen können, was
wan zum Zwecke des Germanenthums einführen wollte.

Nur zu oft überspringt gegenwärtig der Bauer ans Mißtrauen gegen die
Beschlüsse des Gemeindegcrichts, das er sich nicht anders als unter dem Einflüsse
des Gutsherrn denkt, die Grenzen seines Gemeinde- und Rechtsgebietes und wird
dafür außerhalb desselben vou Intriguen und Weitläufigkeiten empfangen, die ihn
Noch mehr erbittern und gegen alles das einnehmen, was von seinem deutschen
Herrn kommt.

Ein unbedingtes Vertrauen aber zu seiner Gutsherrschaft, die sich vielfach
und sichtbar durch strengste Gerechtigkeit und Unparteilichkeit bewährte, hätte ihn
seine Sache innerhalb des Gemeindegerichtsbezirkes beschließen lassen: sie ruhte ja
bereits im Hafen, und eine Angelegenheit, die man sichern will, stößt man nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/559>, abgerufen am 01.09.2024.