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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Bald sind wir an Ort und Stelle. Ich trete in's Zimmer. In der Mitte ein
Tisch, über welchem ein rothes Tuch ausgespannt ist, auf demselben ein pyrami-
dalförmigcr, oben abgestumpfter Gerichts spiegel, jede der drei Seiten mit
einer dem Swod entnommenen Verordnung Peter des Großen beschrieben. An
dem einen Ende des viereckigen Tisches sitzt der Gemeindcgerichtsschreiber, das
Protokoll liegt vor ihm, welches er in deutscher Sprache führt und hernach den
Gerichtsbeisitzern in keltischer wiederholt. Diese sitzen an den drei andern Seiten
des Tisches und geben eigentlich das Endurtheil, ich finde aber, daß sich der von
dem Gutsherrn eingesetzte Gerichtsschreiber so häufig einmischt, daß jene so ziem¬
lich in den Hintergrund treten. Nun, das ist ihre Schuld, warum ließen sie sich
das gefallen. Auch können sie nicht einmal schreiben, sie unterzeichnen vermittelst
dreier Kreuze!! Die Sitzungen sind uicht öffentlich, ich selber bilde nur eine
Ausnahme. Jn's Bereich der Gemeindegerichte gehören: Handhabung der Ruhe
und Ordnung, Führung der Listen über Geborene und in die Gemeinde Neuauf¬
genommene, Beaufsichtigung der Obliegenheiten gegen das Gut, Repartitiou der
Kronöabgaben, die Taxation derjenigen Felder, deren Inhaber von der Krone
leihen wollen, Aufsicht über Krüge, Grenzzeichen und Pfosten, über das richtige
Einkommen für Prediger, Kirchen, Schulen:c., Unterstützung armer Bauern,
Taxation der Bauernfelder vor der Erndte, um darnach Abgaben und Verbind¬
lichkeiten berechnen zu können, Schlichtung aller Streitigkeiten der Gemeindemit-
glieder in erster Instanz. Die Gerichtsbeisitzer werden von der Bauerschaft ge¬
wühlt. Letztere übt sogar ihren Einfluß ans das Kreisgericht aus, indem bei
diesem außer dem Kreisrichter und zwei Assessoren, welche Edelleute sein müssen,
anch ein Bauerassessor vorkommt, der sogar einen Gehalt von 80 Silberrubeln
bezieht. Ein bei dem Kreisgertchte angestellter Friedensrichter bemüht sich zur
VerlMuug kostspieliger Prozesse die Parteien zu vergleichen, bevor sie ihre aus
dein Gemeiudcgerichte genommenen Sachen bei dem Kreisgerichte als zweiter Instanz
anhängig machen. Die Strafen, welche das Gemeindcgericht verhängt, bestehen in
Stockprügelu, welche nicht die Zahl zwanzig übersteigen dürfen, in strengen Ver¬
weisen, in Arbeiten ohne Bezahlung auf drei Tage, in dreitägigen Arresten, die
sich in Liefland durch 3V Stockprügel ablösen lassen. In letzterem Lande kommen
auf 500 bis 750 Seelen drei, auf 1000 Seelen vier Gcmeindegcrichtsbeisitzer. Diese
tragen am grünseidenen Bande ein Blechplättchen mit der Wage der Gerechtigkeit,
in Kurland ein solches mit dem Namen Alexander's I., nebst dem Datum der
Verfassung, 30. August 1818.

Ich meine: die Idee zu diesem Gcmeindegericht, so wenig sie auch bis jetzt
in Folge mancher nachtheiligen Einflüsse der Wirklichkeit entspricht, ist vortrefflich
und kann vielen Gegenden Deutschlands zum Muster dienen. Hier nämlich, wir
nehmen einige Bezirke aus, werden alle bäuerliche" Verhältnisse von gelehrten
Juristen entschieden, die ihre Oirpns juris-Weisheit in's Amtsburean verschleppen,


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Bald sind wir an Ort und Stelle. Ich trete in's Zimmer. In der Mitte ein
Tisch, über welchem ein rothes Tuch ausgespannt ist, auf demselben ein pyrami-
dalförmigcr, oben abgestumpfter Gerichts spiegel, jede der drei Seiten mit
einer dem Swod entnommenen Verordnung Peter des Großen beschrieben. An
dem einen Ende des viereckigen Tisches sitzt der Gemeindcgerichtsschreiber, das
Protokoll liegt vor ihm, welches er in deutscher Sprache führt und hernach den
Gerichtsbeisitzern in keltischer wiederholt. Diese sitzen an den drei andern Seiten
des Tisches und geben eigentlich das Endurtheil, ich finde aber, daß sich der von
dem Gutsherrn eingesetzte Gerichtsschreiber so häufig einmischt, daß jene so ziem¬
lich in den Hintergrund treten. Nun, das ist ihre Schuld, warum ließen sie sich
das gefallen. Auch können sie nicht einmal schreiben, sie unterzeichnen vermittelst
dreier Kreuze!! Die Sitzungen sind uicht öffentlich, ich selber bilde nur eine
Ausnahme. Jn's Bereich der Gemeindegerichte gehören: Handhabung der Ruhe
und Ordnung, Führung der Listen über Geborene und in die Gemeinde Neuauf¬
genommene, Beaufsichtigung der Obliegenheiten gegen das Gut, Repartitiou der
Kronöabgaben, die Taxation derjenigen Felder, deren Inhaber von der Krone
leihen wollen, Aufsicht über Krüge, Grenzzeichen und Pfosten, über das richtige
Einkommen für Prediger, Kirchen, Schulen:c., Unterstützung armer Bauern,
Taxation der Bauernfelder vor der Erndte, um darnach Abgaben und Verbind¬
lichkeiten berechnen zu können, Schlichtung aller Streitigkeiten der Gemeindemit-
glieder in erster Instanz. Die Gerichtsbeisitzer werden von der Bauerschaft ge¬
wühlt. Letztere übt sogar ihren Einfluß ans das Kreisgericht aus, indem bei
diesem außer dem Kreisrichter und zwei Assessoren, welche Edelleute sein müssen,
anch ein Bauerassessor vorkommt, der sogar einen Gehalt von 80 Silberrubeln
bezieht. Ein bei dem Kreisgertchte angestellter Friedensrichter bemüht sich zur
VerlMuug kostspieliger Prozesse die Parteien zu vergleichen, bevor sie ihre aus
dein Gemeiudcgerichte genommenen Sachen bei dem Kreisgerichte als zweiter Instanz
anhängig machen. Die Strafen, welche das Gemeindcgericht verhängt, bestehen in
Stockprügelu, welche nicht die Zahl zwanzig übersteigen dürfen, in strengen Ver¬
weisen, in Arbeiten ohne Bezahlung auf drei Tage, in dreitägigen Arresten, die
sich in Liefland durch 3V Stockprügel ablösen lassen. In letzterem Lande kommen
auf 500 bis 750 Seelen drei, auf 1000 Seelen vier Gcmeindegcrichtsbeisitzer. Diese
tragen am grünseidenen Bande ein Blechplättchen mit der Wage der Gerechtigkeit,
in Kurland ein solches mit dem Namen Alexander's I., nebst dem Datum der
Verfassung, 30. August 1818.

Ich meine: die Idee zu diesem Gcmeindegericht, so wenig sie auch bis jetzt
in Folge mancher nachtheiligen Einflüsse der Wirklichkeit entspricht, ist vortrefflich
und kann vielen Gegenden Deutschlands zum Muster dienen. Hier nämlich, wir
nehmen einige Bezirke aus, werden alle bäuerliche» Verhältnisse von gelehrten
Juristen entschieden, die ihre Oirpns juris-Weisheit in's Amtsburean verschleppen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/557>, abgerufen am 27.07.2024.