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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Der eigentliche Held der'^Dresdner Bühne, Herr Emil Devrient, hat zunächst ein
ausgezeichnetes Aeußere und eine tonvolle Stimme für sich; wenn ich ihn mit dem
Leipziger Schauspieler Wagner vergleiche, so hat er entschieden eine größere Virtuosität
für sich, währeudWagucr einen mehr geistigen Eindruck macht.-Im Uriel Ncosta muß
ich Devrient den Vorzug geben, weil er im Anfang mehr Maaß hält, und daher eine
angemessene Steigerung anwenden kann, und weil er den letzten Act uach meiner
Ansicht richtiger auffaßt. Gutzkow hat übrigens einige Verbesserungen angebracht.
So z. B. ist der Anachronismus, mit welchen Manasse sich über die Intoleranz
seines Schwagers wunderte, ciusgclasseu; eben so der brutale Einbruch Best
Jochai's in Judith's Zimmer, nachdem er ihren Vater ruinirt; dafür ist dieser Ban-
ciuerout etwas natürlicher und anschaulicher entwickelt. Man könnte Herrn Gutzkow,
der übrigeus auch diesmal uoch von dem Publikum hervorgerufen wurde,noch empfeh¬
le", die Acher- Philosophie etwas abzukürzen, die doch nur schwache Reminiscenzen
aus Collegienheften enthält, und den guten Spinoza ganz wegzulassen, der lieber
zu Hause Blumen pflücken und Griechisch lesen kaun, als daß er aus dem Theater
die unangenehme Reihe altkluger Kinder vermehrt. Die eigentlichen Fehler des
Stücks werden zwar durch diese Abänderungen nicht wegfallen, denn sie liegen in
der ganzen Anlage. -- Im Ganzen wird in Dresden das Stück nicht besser aufge¬
führt, als in Leipzig; nur Herr Eduard Devrient, der überhaupt ein durchdachter
Künstler ist, zeichnete sich als de silva vortheilhaft aus. Ich mache übrigens beiläufig
die Bemerkung, daß Stücke, wie Uriel Acosta und König Ne.'no's Tochter, die in
Versen geschrieben sind und von einem romantischen Interesse getragen werden, von
unsern Schauspielern viel schlechter dargestellt werden, als diejenigen, die dem
bürgerlichen Leben angehören und wenigstens einen humoristischem Anflug haben.
Die beiden Stücke "der alte Magister" von Benedix und "Großjährig" von
Banernfeld wurden in allen Beziehungen ausgezeichnet dargestellt; wenn die dra¬
matischen Dichter wirklich unmittelbar von der Bühne herab wirken wollte", so
werden sie diesen Umstand beherzigen müssen. Das .letztere Stück von Vaucru-
fcld ist bekanntlich eine Sammlung politischer Anspielungen und obendrein eine
Allegorie auf einen bestimmten Staat. Wenn Banernfeld aus China wäre, so
würde man sagen, er habe darstellen wollen, wie sein Monarch, von guten Anla¬
ge", aber durch eine pedantische Erziehung und den überwiegenden Einfluß eines
Mandarinen niedergedrückt, sich um die Leiden seines Volks nicht bekümmert, und
deu Schlendrian der furchtsamen Diplomaten-Politik, die darin besteht, daß Alles
beim Altem bleibe, ruhig habe gewähren lassen, bis ein glücklicher Zufall ihm das
Gefühl seiner Kunst in die Hand gibt, und es sich dann zeigt, daß der alte diplo¬
matische Mandarin, der die Geschicke China's seit einem Menschenalter geleitet,
eigentlich geistlos war. Es klänge wie ein Zuruf an das chinesische Fürstenhaus:
Ihr Söhne des Himmels, macht euch los von der geisttötenden Vormundschaft
des alten Mandarinen, habt den Muth, einen Willen zu haben, so zerfliegt seine


GmiMc". III. I"47. s!g

Der eigentliche Held der'^Dresdner Bühne, Herr Emil Devrient, hat zunächst ein
ausgezeichnetes Aeußere und eine tonvolle Stimme für sich; wenn ich ihn mit dem
Leipziger Schauspieler Wagner vergleiche, so hat er entschieden eine größere Virtuosität
für sich, währeudWagucr einen mehr geistigen Eindruck macht.-Im Uriel Ncosta muß
ich Devrient den Vorzug geben, weil er im Anfang mehr Maaß hält, und daher eine
angemessene Steigerung anwenden kann, und weil er den letzten Act uach meiner
Ansicht richtiger auffaßt. Gutzkow hat übrigens einige Verbesserungen angebracht.
So z. B. ist der Anachronismus, mit welchen Manasse sich über die Intoleranz
seines Schwagers wunderte, ciusgclasseu; eben so der brutale Einbruch Best
Jochai's in Judith's Zimmer, nachdem er ihren Vater ruinirt; dafür ist dieser Ban-
ciuerout etwas natürlicher und anschaulicher entwickelt. Man könnte Herrn Gutzkow,
der übrigeus auch diesmal uoch von dem Publikum hervorgerufen wurde,noch empfeh¬
le«, die Acher- Philosophie etwas abzukürzen, die doch nur schwache Reminiscenzen
aus Collegienheften enthält, und den guten Spinoza ganz wegzulassen, der lieber
zu Hause Blumen pflücken und Griechisch lesen kaun, als daß er aus dem Theater
die unangenehme Reihe altkluger Kinder vermehrt. Die eigentlichen Fehler des
Stücks werden zwar durch diese Abänderungen nicht wegfallen, denn sie liegen in
der ganzen Anlage. — Im Ganzen wird in Dresden das Stück nicht besser aufge¬
führt, als in Leipzig; nur Herr Eduard Devrient, der überhaupt ein durchdachter
Künstler ist, zeichnete sich als de silva vortheilhaft aus. Ich mache übrigens beiläufig
die Bemerkung, daß Stücke, wie Uriel Acosta und König Ne.'no's Tochter, die in
Versen geschrieben sind und von einem romantischen Interesse getragen werden, von
unsern Schauspielern viel schlechter dargestellt werden, als diejenigen, die dem
bürgerlichen Leben angehören und wenigstens einen humoristischem Anflug haben.
Die beiden Stücke „der alte Magister" von Benedix und „Großjährig" von
Banernfeld wurden in allen Beziehungen ausgezeichnet dargestellt; wenn die dra¬
matischen Dichter wirklich unmittelbar von der Bühne herab wirken wollte», so
werden sie diesen Umstand beherzigen müssen. Das .letztere Stück von Vaucru-
fcld ist bekanntlich eine Sammlung politischer Anspielungen und obendrein eine
Allegorie auf einen bestimmten Staat. Wenn Banernfeld aus China wäre, so
würde man sagen, er habe darstellen wollen, wie sein Monarch, von guten Anla¬
ge«, aber durch eine pedantische Erziehung und den überwiegenden Einfluß eines
Mandarinen niedergedrückt, sich um die Leiden seines Volks nicht bekümmert, und
deu Schlendrian der furchtsamen Diplomaten-Politik, die darin besteht, daß Alles
beim Altem bleibe, ruhig habe gewähren lassen, bis ein glücklicher Zufall ihm das
Gefühl seiner Kunst in die Hand gibt, und es sich dann zeigt, daß der alte diplo¬
matische Mandarin, der die Geschicke China's seit einem Menschenalter geleitet,
eigentlich geistlos war. Es klänge wie ein Zuruf an das chinesische Fürstenhaus:
Ihr Söhne des Himmels, macht euch los von der geisttötenden Vormundschaft
des alten Mandarinen, habt den Muth, einen Willen zu haben, so zerfliegt seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/527>, abgerufen am 28.07.2024.