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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Polier geladen wurden und die Zeitungsschreiber schon für einen breiten Bericht
die Feder schnitten, kam vom Schloß die Weisung auf Einstellung aller Zeremo¬
nien, indem der Palatin nur als Privatmann die Galleneu inspiciren wolle. Und
was war die Ursache dieses Umschwungs? -- Der Präsident des leitenden Co¬
mite war -- der unermüdliche Kossuth. Der königliche Statthalter von dem
Haupt der Liberalen empfangen, das war eine Unmöglichkeit, zumal dieser gewiß
seinen Mund geöffnet und Worte ausgesprochen hätte, vor denen die sechs Pferde
des Staatswagens schen geworden wären.

Als Postscript dieser raschen Wanderungen, will ich noch einige flüchtige Be¬
merkungen hersetzen. -- Nicht leicht findet man in einer andern Hauptstadt Euro¬
pa's Stadt und Land so durch einander geworfen, wie in Pesth. Dreistöckige
Prachthänser stehen oft neben baufälligen Erdgeschvßwohuuugen. Es passirt nicht
selten, daß das schönste Trottoir plötzlich in eine Lanke ausläuft. Der Hauptplatz
beim städtischen Theater ist eine wahre Gebirgsgegend; derartige Abwechslungen von
Höhen und Tiefen bietet da das Pflaster. Der Laternenpfahl und der Brunnen
auf diesem Platz siud seltsame Neste aus der Vergangenheit. Auf diesen: Platz
steht eine herrliche Limonadhütte, Chiosk genannt, wo die schöne Welt Erfrischun-
!M nimmt; aber alle die umgebenden Orangen- und Oleanderbäume verhindern
uicht, daß sanfte Zcphire von dem hartan befindlichen Standplatz der Fiaker un¬
erträgliche Ammoniakdünste zu deu schönsten Nasen herbeitragen.

Der großartige Marktplatz, einer der größten in der Welt (er hat dreihundert
Schritte im Geviert nud ist von den prächtigsten Gebäuden und Kaufläden einge¬
faßt), befindet sich noch im Urzustand der Haide. Die Pesther nennen ihn die
Wüste Sahara. Mau schreitet da bis an die Knöchel im Staub, oder bei nassem
Wetter bis an die Knie im Morast. '

Durch die große Brückgasse, eine der schönsten und fregueutirtesteu, kauu man
zu jeder Tageszeit mächtige Schaaren von Ochsen mit ungeheuren Hörnern der
Brücke zu treiben sehen. Sie siud freilich sehr unschuldige Haidebewohner und
gar nicht menschenfeindlich, aber ein Conflict mit Ochsen bleibt immer unbequem
und gefährlich.

Wenig kehrt man sich an die Anhäufungen in den Straßen, so daß Reli¬
quien allerlei durchreisender Vierfüßler ziemlich lange zur Schau ausgestellt bleiben.
Oft müssen erst Naturereignisse, Wind und Wetter, über die Erde gehen, um diese
Nücklässe wegzuführen.

Daß die Nacht zum Schlafen und der Winterabend zur häuslichen Unterhal¬
tung bestimmt ist, lehren hier unermüdlich die Laternen. In den finstern Straßen
tönt noch um Mitternacht Lärm und wilder Gesaug verschiedener Nachtwandler;
die Polizei wiedersetzt sich nicht diesen Privatfreuden, ans dem einfachen Grunde,
weil sie in der Nacht zu Hanse schlafen muß, um sich für den Dienst des Tages
zu stärken.


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Polier geladen wurden und die Zeitungsschreiber schon für einen breiten Bericht
die Feder schnitten, kam vom Schloß die Weisung auf Einstellung aller Zeremo¬
nien, indem der Palatin nur als Privatmann die Galleneu inspiciren wolle. Und
was war die Ursache dieses Umschwungs? — Der Präsident des leitenden Co¬
mite war — der unermüdliche Kossuth. Der königliche Statthalter von dem
Haupt der Liberalen empfangen, das war eine Unmöglichkeit, zumal dieser gewiß
seinen Mund geöffnet und Worte ausgesprochen hätte, vor denen die sechs Pferde
des Staatswagens schen geworden wären.

Als Postscript dieser raschen Wanderungen, will ich noch einige flüchtige Be¬
merkungen hersetzen. — Nicht leicht findet man in einer andern Hauptstadt Euro¬
pa's Stadt und Land so durch einander geworfen, wie in Pesth. Dreistöckige
Prachthänser stehen oft neben baufälligen Erdgeschvßwohuuugen. Es passirt nicht
selten, daß das schönste Trottoir plötzlich in eine Lanke ausläuft. Der Hauptplatz
beim städtischen Theater ist eine wahre Gebirgsgegend; derartige Abwechslungen von
Höhen und Tiefen bietet da das Pflaster. Der Laternenpfahl und der Brunnen
auf diesem Platz siud seltsame Neste aus der Vergangenheit. Auf diesen: Platz
steht eine herrliche Limonadhütte, Chiosk genannt, wo die schöne Welt Erfrischun-
!M nimmt; aber alle die umgebenden Orangen- und Oleanderbäume verhindern
uicht, daß sanfte Zcphire von dem hartan befindlichen Standplatz der Fiaker un¬
erträgliche Ammoniakdünste zu deu schönsten Nasen herbeitragen.

Der großartige Marktplatz, einer der größten in der Welt (er hat dreihundert
Schritte im Geviert nud ist von den prächtigsten Gebäuden und Kaufläden einge¬
faßt), befindet sich noch im Urzustand der Haide. Die Pesther nennen ihn die
Wüste Sahara. Mau schreitet da bis an die Knöchel im Staub, oder bei nassem
Wetter bis an die Knie im Morast. '

Durch die große Brückgasse, eine der schönsten und fregueutirtesteu, kauu man
zu jeder Tageszeit mächtige Schaaren von Ochsen mit ungeheuren Hörnern der
Brücke zu treiben sehen. Sie siud freilich sehr unschuldige Haidebewohner und
gar nicht menschenfeindlich, aber ein Conflict mit Ochsen bleibt immer unbequem
und gefährlich.

Wenig kehrt man sich an die Anhäufungen in den Straßen, so daß Reli¬
quien allerlei durchreisender Vierfüßler ziemlich lange zur Schau ausgestellt bleiben.
Oft müssen erst Naturereignisse, Wind und Wetter, über die Erde gehen, um diese
Nücklässe wegzuführen.

Daß die Nacht zum Schlafen und der Winterabend zur häuslichen Unterhal¬
tung bestimmt ist, lehren hier unermüdlich die Laternen. In den finstern Straßen
tönt noch um Mitternacht Lärm und wilder Gesaug verschiedener Nachtwandler;
die Polizei wiedersetzt sich nicht diesen Privatfreuden, ans dem einfachen Grunde,
weil sie in der Nacht zu Hanse schlafen muß, um sich für den Dienst des Tages
zu stärken.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/519>, abgerufen am 01.09.2024.