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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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haben poetische Naturen unter den Gästen ihre Gefühle mit Bleistift an die Thü¬
ren des Balkeusaales gelrizelt. Diese Ausbrüche sind ungarisch und deutsch. Ich
habe mir die Mühe genommen, einige deutsche Exclamationen abzuschreiben. Jeder
Besucher des Kaiserbades wird sie wohl noch nach Jahren dort lesen können:

In meines Leidens bittrer Stunde
Sah ich einen Engel hold und schön --
O süße Momente des Entzückens-
Die Zeit, wo Lipp' an Lippe hängt.
Leise zieht durch mein Gemüth
Liebliches Geläute.
Klinge kleines Frühlingslied,
Kling' hinaus in's Weite.
Wenn du eine Rose siehst,
Sag', ich lass' sie grüßen.

Die aristokratische Welt zieht weiter von Pesth fort nach Furet am Ufer des
Plattensees. Die Natur wird auch dort benützt, wie in den Gebirgen und Bädern
Ofens, uur -- aristokratischer.

Eine schöne Eigenthümlichkeit der Pestherinnen ist es, daß sie nicht am Ende
der "schönen Tage von Aranjuez" Betschwestern und Krenzkriecherinnen werden.
Sie sind sich keiner Sünden bewußt und habe" nichts abzubüßen. Kloster und
durstiges Pfaffenthum kennt diese jugendliche Stadt nicht, Liguorianer und Jesui¬
ten kommen mit ihrem faulen Kram nicht hieher, sie würden bei der lebensfrischen,
rührigen Bevölkerung keine Käufer finden. Man stößt aber auch nicht auf Skepsis,
Religivnsspötterei u. theologische Hahnenkämpfe. Diese neue Stadt hat keine Geschichte
und muß sich uicht wie das übrige Europa aus dem erstickenden Moder früherer Zeit
herausarbeite". Der Weihrauch bleibt in der Kirche eingeschlossen, die Bibel hält man
für ein klassisches Buch, aber es wird nicht gelesen. Der Pfaff liest seine Messe,
der evangelische Prediger spricht seinen Sermon, dann geht man hinaus aus dem
engen Raum und verehrt den Schöpfer im freudigen Genuß seiner Gaben. Nur
ein kleines Häuschen unschädlicher Jesuiten hat sich seit einigen Jahren in Pesth an¬
gesiedelt, es send das einige Missionäre der schottischen Kirche. Englische Arbei¬
ter an dem großen Ofner Schiffswerft und bei dem kolossalen Ban der Ketten¬
brücke haben ihnen Gelegenheit gegeben, ihren finstern kalten Gott ans den Ne¬
beln des schottischen Hochlandes Hieher zu tragen. Sie haben sich einen Betsaal
errichtet und schnüffeln nach Proselyten; aber die frischen Kiuder des Südens
finden wenig Geschmack an den verdrehten Augen und dem langweiligen fröm¬
melnden Gekrächze dieser Seemöve". Aus einigen Unterstützung suchenden Juden
besteht die ganze Heiligenschaar dieser Bekenner. Seit dem Tode des Palatin
Erzherzog Joseph, dessen Gemahlin, die würtenbergische Prinzessin Erzherzogin
Dorothea, diesen Leuten viel Theilnahme erwies, wird ihre Wirksamkeit vollends
aufhören.


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haben poetische Naturen unter den Gästen ihre Gefühle mit Bleistift an die Thü¬
ren des Balkeusaales gelrizelt. Diese Ausbrüche sind ungarisch und deutsch. Ich
habe mir die Mühe genommen, einige deutsche Exclamationen abzuschreiben. Jeder
Besucher des Kaiserbades wird sie wohl noch nach Jahren dort lesen können:

In meines Leidens bittrer Stunde
Sah ich einen Engel hold und schön —
O süße Momente des Entzückens-
Die Zeit, wo Lipp' an Lippe hängt.
Leise zieht durch mein Gemüth
Liebliches Geläute.
Klinge kleines Frühlingslied,
Kling' hinaus in's Weite.
Wenn du eine Rose siehst,
Sag', ich lass' sie grüßen.

Die aristokratische Welt zieht weiter von Pesth fort nach Furet am Ufer des
Plattensees. Die Natur wird auch dort benützt, wie in den Gebirgen und Bädern
Ofens, uur — aristokratischer.

Eine schöne Eigenthümlichkeit der Pestherinnen ist es, daß sie nicht am Ende
der „schönen Tage von Aranjuez" Betschwestern und Krenzkriecherinnen werden.
Sie sind sich keiner Sünden bewußt und habe» nichts abzubüßen. Kloster und
durstiges Pfaffenthum kennt diese jugendliche Stadt nicht, Liguorianer und Jesui¬
ten kommen mit ihrem faulen Kram nicht hieher, sie würden bei der lebensfrischen,
rührigen Bevölkerung keine Käufer finden. Man stößt aber auch nicht auf Skepsis,
Religivnsspötterei u. theologische Hahnenkämpfe. Diese neue Stadt hat keine Geschichte
und muß sich uicht wie das übrige Europa aus dem erstickenden Moder früherer Zeit
herausarbeite». Der Weihrauch bleibt in der Kirche eingeschlossen, die Bibel hält man
für ein klassisches Buch, aber es wird nicht gelesen. Der Pfaff liest seine Messe,
der evangelische Prediger spricht seinen Sermon, dann geht man hinaus aus dem
engen Raum und verehrt den Schöpfer im freudigen Genuß seiner Gaben. Nur
ein kleines Häuschen unschädlicher Jesuiten hat sich seit einigen Jahren in Pesth an¬
gesiedelt, es send das einige Missionäre der schottischen Kirche. Englische Arbei¬
ter an dem großen Ofner Schiffswerft und bei dem kolossalen Ban der Ketten¬
brücke haben ihnen Gelegenheit gegeben, ihren finstern kalten Gott ans den Ne¬
beln des schottischen Hochlandes Hieher zu tragen. Sie haben sich einen Betsaal
errichtet und schnüffeln nach Proselyten; aber die frischen Kiuder des Südens
finden wenig Geschmack an den verdrehten Augen und dem langweiligen fröm¬
melnden Gekrächze dieser Seemöve». Aus einigen Unterstützung suchenden Juden
besteht die ganze Heiligenschaar dieser Bekenner. Seit dem Tode des Palatin
Erzherzog Joseph, dessen Gemahlin, die würtenbergische Prinzessin Erzherzogin
Dorothea, diesen Leuten viel Theilnahme erwies, wird ihre Wirksamkeit vollends
aufhören.


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[0513] haben poetische Naturen unter den Gästen ihre Gefühle mit Bleistift an die Thü¬ ren des Balkeusaales gelrizelt. Diese Ausbrüche sind ungarisch und deutsch. Ich habe mir die Mühe genommen, einige deutsche Exclamationen abzuschreiben. Jeder Besucher des Kaiserbades wird sie wohl noch nach Jahren dort lesen können: In meines Leidens bittrer Stunde Sah ich einen Engel hold und schön — O süße Momente des Entzückens- Die Zeit, wo Lipp' an Lippe hängt. Leise zieht durch mein Gemüth Liebliches Geläute. Klinge kleines Frühlingslied, Kling' hinaus in's Weite. Wenn du eine Rose siehst, Sag', ich lass' sie grüßen. Die aristokratische Welt zieht weiter von Pesth fort nach Furet am Ufer des Plattensees. Die Natur wird auch dort benützt, wie in den Gebirgen und Bädern Ofens, uur — aristokratischer. Eine schöne Eigenthümlichkeit der Pestherinnen ist es, daß sie nicht am Ende der „schönen Tage von Aranjuez" Betschwestern und Krenzkriecherinnen werden. Sie sind sich keiner Sünden bewußt und habe» nichts abzubüßen. Kloster und durstiges Pfaffenthum kennt diese jugendliche Stadt nicht, Liguorianer und Jesui¬ ten kommen mit ihrem faulen Kram nicht hieher, sie würden bei der lebensfrischen, rührigen Bevölkerung keine Käufer finden. Man stößt aber auch nicht auf Skepsis, Religivnsspötterei u. theologische Hahnenkämpfe. Diese neue Stadt hat keine Geschichte und muß sich uicht wie das übrige Europa aus dem erstickenden Moder früherer Zeit herausarbeite». Der Weihrauch bleibt in der Kirche eingeschlossen, die Bibel hält man für ein klassisches Buch, aber es wird nicht gelesen. Der Pfaff liest seine Messe, der evangelische Prediger spricht seinen Sermon, dann geht man hinaus aus dem engen Raum und verehrt den Schöpfer im freudigen Genuß seiner Gaben. Nur ein kleines Häuschen unschädlicher Jesuiten hat sich seit einigen Jahren in Pesth an¬ gesiedelt, es send das einige Missionäre der schottischen Kirche. Englische Arbei¬ ter an dem großen Ofner Schiffswerft und bei dem kolossalen Ban der Ketten¬ brücke haben ihnen Gelegenheit gegeben, ihren finstern kalten Gott ans den Ne¬ beln des schottischen Hochlandes Hieher zu tragen. Sie haben sich einen Betsaal errichtet und schnüffeln nach Proselyten; aber die frischen Kiuder des Südens finden wenig Geschmack an den verdrehten Augen und dem langweiligen fröm¬ melnden Gekrächze dieser Seemöve». Aus einigen Unterstützung suchenden Juden besteht die ganze Heiligenschaar dieser Bekenner. Seit dem Tode des Palatin Erzherzog Joseph, dessen Gemahlin, die würtenbergische Prinzessin Erzherzogin Dorothea, diesen Leuten viel Theilnahme erwies, wird ihre Wirksamkeit vollends aufhören. ß7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/513>, abgerufen am 01.09.2024.