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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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freier wurde, denn aus frühern Verhältnisse" hatte er keine Mittel mit herüberge¬
nommen, sich dergleichen anzuschaffen. Der Herr blieb also gleich dem Pascha von
Aegypten nach wie vor Monopolist des Landes und der Gerätschaften. Nur die
Person allein war seiner absoluten Machtvollkommenheit entnommen. Wie nun
aber, wenn der Bauer krank wird, oder bei schlechter Erndte vor Hunger zu ster¬
ben droht, und das durch gemeinschaftliche Beiträge der Gemeinde versorgte Ma¬
gazin nicht im Stande ist, der Noth eines jeden Einzelnen abzuhelfen? Der Herr
ist nach Aufhebung der Leibeigenschaft nicht mehr verpflichtet, für seinen Bauer
zu sorgen, der früher, um einen milden Ausdruck zu brauchen, zu ersterm wie
ein Sohn zu seinem Patriarchen stand. Liebe, Barmherzigkeit, Pietät treten in
den Hintergrund, dagegen bildeten sich Rechtsverhältnisse, die nach geschriebenen
Gesetzen gegenseitig abgewogen werden. Da handelt es sich denn nicht mehr um
die Fülle, welche ans der Liebe entspringt, sondern um das Loth, um welches
der gesetzmäßige Egoismus feilscht. Wer ist uun im Besitze des Reichthums und
der Möglichkeit aus der Noth zu helfen? -- der Staat, das Cabinet von Se.
Petersburg? ach, das hat etwas ganz anderes zu thun, als sich um den Noth¬
stand Einzelner zu kümmern. Auch ist es Princip des Finanzministeriums, daß
die Krone niemals Verlust erleiden dürfe. Beiläufig eine sehr bequeme Versiche¬
rung! Denn da die Nechnungsbilance auf gar keinen sichtbaren Posten beruht, so
erfährt man niemals, wann etwa der Staat in der Lage sein möchte, seineu gol¬
denen Finanzarm, indem er ihn nach oben hin verkürzt, hülfreich nach den untern
Schichten des Volks zu verlängern. Man würde eine derartige Embrassirung so¬
fort für einen Verlust der Krone erklären. Also der Gutsherr muß herhalten.
Er öffnet seine Hausapotheke, wenn der Bauer an der Lunge, sein Privatmagazin,
wenn der Bauer am Magen leidet, er bezahlt für ihn die Kopfsteuer, die der
Staat für seine Kriege und diplomatischen Geschäfte verlangt. Das Alles erfor¬
dert Geld. Welche hypothekarische Sicherheit hat aber der Herr für diese Aus¬
gabe? Gar keine! denn der Bauer ist arm, Pferd und Kuh und Ackergeräthschaft
gehören dem Herrn, folglich hält sich dieser lediglich an der Person des erstern
und den productiven Kräften, die für deu Ackerbau aus dessen physischer Thatkraft
ersprießen. Der Herr weiß ungefähr, wie viel Tage im Jahre dazu nöthig sind,
die Cultur seiner Hofesfelder zu vollenden. Aber aus Rücksicht auf jene materi¬
ellen Vorschüsse, die er dem Bauer in dessen bedrängnißvoller Lage zukommen
ließ, nimmt er noch einige Tage aus des Bauers Zeit hinzu, die ihm dieser aus
Mangel andern Besitzthums verpfänden mußte. Er wird schon zusehen, wie er
sich durchschlägt, denkt der Gutsherr, eine Portion saure Grütze, ein Paar Kar¬
toffeln, ein Häring, hinlänglich genug sür ihn! Dagegen für mich so und so viel
Los Getreide mehr, die sich aus diesen durch vergrößerte Tagearbeit potenzirten
Bestrebungen für meinen Seckel in klingende Münzen verwandeln. Droht dieser
vom goldenen Segen überzufließen, so wird er zinsenwuchernd in die Kanäle der


freier wurde, denn aus frühern Verhältnisse» hatte er keine Mittel mit herüberge¬
nommen, sich dergleichen anzuschaffen. Der Herr blieb also gleich dem Pascha von
Aegypten nach wie vor Monopolist des Landes und der Gerätschaften. Nur die
Person allein war seiner absoluten Machtvollkommenheit entnommen. Wie nun
aber, wenn der Bauer krank wird, oder bei schlechter Erndte vor Hunger zu ster¬
ben droht, und das durch gemeinschaftliche Beiträge der Gemeinde versorgte Ma¬
gazin nicht im Stande ist, der Noth eines jeden Einzelnen abzuhelfen? Der Herr
ist nach Aufhebung der Leibeigenschaft nicht mehr verpflichtet, für seinen Bauer
zu sorgen, der früher, um einen milden Ausdruck zu brauchen, zu ersterm wie
ein Sohn zu seinem Patriarchen stand. Liebe, Barmherzigkeit, Pietät treten in
den Hintergrund, dagegen bildeten sich Rechtsverhältnisse, die nach geschriebenen
Gesetzen gegenseitig abgewogen werden. Da handelt es sich denn nicht mehr um
die Fülle, welche ans der Liebe entspringt, sondern um das Loth, um welches
der gesetzmäßige Egoismus feilscht. Wer ist uun im Besitze des Reichthums und
der Möglichkeit aus der Noth zu helfen? — der Staat, das Cabinet von Se.
Petersburg? ach, das hat etwas ganz anderes zu thun, als sich um den Noth¬
stand Einzelner zu kümmern. Auch ist es Princip des Finanzministeriums, daß
die Krone niemals Verlust erleiden dürfe. Beiläufig eine sehr bequeme Versiche¬
rung! Denn da die Nechnungsbilance auf gar keinen sichtbaren Posten beruht, so
erfährt man niemals, wann etwa der Staat in der Lage sein möchte, seineu gol¬
denen Finanzarm, indem er ihn nach oben hin verkürzt, hülfreich nach den untern
Schichten des Volks zu verlängern. Man würde eine derartige Embrassirung so¬
fort für einen Verlust der Krone erklären. Also der Gutsherr muß herhalten.
Er öffnet seine Hausapotheke, wenn der Bauer an der Lunge, sein Privatmagazin,
wenn der Bauer am Magen leidet, er bezahlt für ihn die Kopfsteuer, die der
Staat für seine Kriege und diplomatischen Geschäfte verlangt. Das Alles erfor¬
dert Geld. Welche hypothekarische Sicherheit hat aber der Herr für diese Aus¬
gabe? Gar keine! denn der Bauer ist arm, Pferd und Kuh und Ackergeräthschaft
gehören dem Herrn, folglich hält sich dieser lediglich an der Person des erstern
und den productiven Kräften, die für deu Ackerbau aus dessen physischer Thatkraft
ersprießen. Der Herr weiß ungefähr, wie viel Tage im Jahre dazu nöthig sind,
die Cultur seiner Hofesfelder zu vollenden. Aber aus Rücksicht auf jene materi¬
ellen Vorschüsse, die er dem Bauer in dessen bedrängnißvoller Lage zukommen
ließ, nimmt er noch einige Tage aus des Bauers Zeit hinzu, die ihm dieser aus
Mangel andern Besitzthums verpfänden mußte. Er wird schon zusehen, wie er
sich durchschlägt, denkt der Gutsherr, eine Portion saure Grütze, ein Paar Kar¬
toffeln, ein Häring, hinlänglich genug sür ihn! Dagegen für mich so und so viel
Los Getreide mehr, die sich aus diesen durch vergrößerte Tagearbeit potenzirten
Bestrebungen für meinen Seckel in klingende Münzen verwandeln. Droht dieser
vom goldenen Segen überzufließen, so wird er zinsenwuchernd in die Kanäle der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/506>, abgerufen am 01.09.2024.