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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Ick bin er Licfflandisch Buer,
Min Leven ward my sucr,
Ick stieg up den Barcken-Bohm,
Davon haun ick mien Säbel und Thom,
Ick bird mien Sko mit Bast,
Ick full' mien Junkern de Kast,
Ick gcss den Payen de Pflicht
Und weht von GAde und sine Worte nicht.

Bei Eröffnung des Landtages aus der Insel Oesel ließ der dortige Prediger
ein Lied absingen, in welchem folgende Stelle vorkommt:

Wir Menschen sind uns alle gleich,
Wir sind ja alle Brüder,
Du Bruder an Verdiensten reich,
Du Schwester mit dem dunklen Mieder.

Nach Beendigung des Gottesdienstes sagte beim Herausgehe" ein Gutsbesitzer in
Beziehung auf jene Worte: "Das wird die Oesel'sche Ritterschaft nimmermehr zu¬
lassen." Wir bemerken, daß sich die Edelleute unter einander Brüder nennen, un¬
ter der Schwester mit dein dunklen Mieder aber eine Bäuerin verstanden wird.

Dies zuvörderst nur als ein paar Fälle zum Beleg einer allgemeinen Be¬
hauptung.

Macht man einmal so einen Spaziergang weiter in's Laud hinein, so sieht
Ulan die einzelnen Hcrrenwvhnungen mit stattlichen Schornsteinen über die Fich¬
tenwälder hervorragen. In weiten Umkreisen vertheilen sich die Bauergchöfte oder
Gesinde, die sich sehr selten zu einem Dorfe zusammenschließen, weil man bei
der Weitläufigkeit eines Gntöbesitzes darauf scheu muß, die einzelnen Kräfte ge¬
hörig zu vertheilen, Man könnte, um sich vermittelst eines Bildes das gegensei¬
tige Verhältniß von Herrenwvhuung und Gesinde zu verdeutliche", erstern den
Kern nehme" und letztern die Schale, welche man beim Genusse abseits wirft und
ihrem Schicksale überläßt, obwohl sie durch Herbeiziehen von Säften dazu diente,
den Kern selber zu bilden.

Wir bemerken zuvörderst, daß die um die Herrenwohnung liegenden Felder
sich durch sorgfältigem Anbau und höhere Aehren auszeichnen. Der Bauer hat
sie gepflügt und besäet, die Frucht für die Speicher des Herrn aufgestapelt und
hernach der benachbarten Handelsstadt zugeführt, Alles das an Tagen, welche dem
Herrn am sonnigsten und geeignetsten schienen. Dafür erhält Jener eine Wohnung
nebst einem Stücke Land, welches er mit denjenigen Kräften bebaut, welche ihm
nach der Hauptarbeit auf den Hofesfeldcrn übrig geblieben sind. Durchschnittlich
trägt eine Gesindestelle etwa achzig Silberrubel ein. Damit muß er seine Fami-
lie, seine Knechte und deren Familie" in Kost, Kleidung ^e. unterhalten! Dazu
kommt: dem Urbewohner wurde im Verlauf der Zeit Alles und Alles genommen,
Vieh, Pferde und Ackergeräthschaft kamen in den Besitz des Herrn, der sie dem
Bauer anch dg noch leihen mußte, als dieser nach Aufhebung der Leibcigeuschgst


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Ick bin er Licfflandisch Buer,
Min Leven ward my sucr,
Ick stieg up den Barcken-Bohm,
Davon haun ick mien Säbel und Thom,
Ick bird mien Sko mit Bast,
Ick full' mien Junkern de Kast,
Ick gcss den Payen de Pflicht
Und weht von GAde und sine Worte nicht.

Bei Eröffnung des Landtages aus der Insel Oesel ließ der dortige Prediger
ein Lied absingen, in welchem folgende Stelle vorkommt:

Wir Menschen sind uns alle gleich,
Wir sind ja alle Brüder,
Du Bruder an Verdiensten reich,
Du Schwester mit dem dunklen Mieder.

Nach Beendigung des Gottesdienstes sagte beim Herausgehe» ein Gutsbesitzer in
Beziehung auf jene Worte: „Das wird die Oesel'sche Ritterschaft nimmermehr zu¬
lassen." Wir bemerken, daß sich die Edelleute unter einander Brüder nennen, un¬
ter der Schwester mit dein dunklen Mieder aber eine Bäuerin verstanden wird.

Dies zuvörderst nur als ein paar Fälle zum Beleg einer allgemeinen Be¬
hauptung.

Macht man einmal so einen Spaziergang weiter in's Laud hinein, so sieht
Ulan die einzelnen Hcrrenwvhnungen mit stattlichen Schornsteinen über die Fich¬
tenwälder hervorragen. In weiten Umkreisen vertheilen sich die Bauergchöfte oder
Gesinde, die sich sehr selten zu einem Dorfe zusammenschließen, weil man bei
der Weitläufigkeit eines Gntöbesitzes darauf scheu muß, die einzelnen Kräfte ge¬
hörig zu vertheilen, Man könnte, um sich vermittelst eines Bildes das gegensei¬
tige Verhältniß von Herrenwvhuung und Gesinde zu verdeutliche», erstern den
Kern nehme» und letztern die Schale, welche man beim Genusse abseits wirft und
ihrem Schicksale überläßt, obwohl sie durch Herbeiziehen von Säften dazu diente,
den Kern selber zu bilden.

Wir bemerken zuvörderst, daß die um die Herrenwohnung liegenden Felder
sich durch sorgfältigem Anbau und höhere Aehren auszeichnen. Der Bauer hat
sie gepflügt und besäet, die Frucht für die Speicher des Herrn aufgestapelt und
hernach der benachbarten Handelsstadt zugeführt, Alles das an Tagen, welche dem
Herrn am sonnigsten und geeignetsten schienen. Dafür erhält Jener eine Wohnung
nebst einem Stücke Land, welches er mit denjenigen Kräften bebaut, welche ihm
nach der Hauptarbeit auf den Hofesfeldcrn übrig geblieben sind. Durchschnittlich
trägt eine Gesindestelle etwa achzig Silberrubel ein. Damit muß er seine Fami-
lie, seine Knechte und deren Familie» in Kost, Kleidung ^e. unterhalten! Dazu
kommt: dem Urbewohner wurde im Verlauf der Zeit Alles und Alles genommen,
Vieh, Pferde und Ackergeräthschaft kamen in den Besitz des Herrn, der sie dem
Bauer anch dg noch leihen mußte, als dieser nach Aufhebung der Leibcigeuschgst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/505>, abgerufen am 01.09.2024.