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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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schenkt, mit das Motiv gewesen sei zu der unsinnigen Vergrößerungssucht, von
der sich Nußland seit jeher verleiten ließ. Es gehört im Innern des Landes zur
Instruction der Unteroffiziere, ihren zugewiesenen Rekruten die Große Rußlands
sofort anf's Bestimmteste einzuprägen. Daher griff man auch wohl so hastig uach
dem Präsente, welches der Kosak Jermak mit Sibirien machte. Sibirien und drei
Hundert Kosaken, die es erobert haben wollten! Ein Land, dessen Einöden zum
Theil noch kein europäischer Fuß betrat, wo viele Völkerschaften keine Ahnung
weder von einem Kosaken Jermak, noch von einer Stadt Petersburg haben!

Sibirien also und größtentheils auch die europäischen Besitzungen sind weiter
nichts als eine Form, die keineswegs vom russischen Inhalt erfüllt ist, eine große
Coulisse, die man mit Panthern, Wölfen, Eisbären und andern Thier- und Meu-
schenungethümen bemalte, um damit den ansässigen Westeuropäern Schrecken ein¬
zujagen. Aber man sieht doch endlich einmal, was dahinter steckt. Rußland hat
einmal die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen. Denn Nichts versucht
mehr den Blick zu schärfen, als ein gewisses Zwielicht. Die bereits entdeckten
Sterne regen uus uicht so sehr an, als die großen dunklen Räume des Himmels,
in welchen jene nur als kleine Punkte erscheinen. England in Folge seiner Öf¬
fentlichkeit, die seit Jahrhunderten das ganze Staatsleben wie ein censurfreics
Buch mit klarer und verständlicher Schrift der ganzen Nation einhändigte, spannt
nicht so sehr die Aufmerksamkeit, als der goldene von vielen Klammern zusammen¬
gehaltene Schritt Rußlands, in dessen Fugen die spekulirende Neugier hineindringt,
um zu erfahre", ob der Kern eine solche brillante Farbe uach außen hin hervor¬
bringen könne, oder ob es nnr Schminke sei. O nein, man kann sich nicht mehr
verstecken, weder in Einöden, noch in Kabinetten. Was hilft es selbst dem schlauen
Louis Philipp, daß er seine Familieninteressen außerhalb der Controle der Staats¬
öffentlichkeit zu bringen sucht? Die westeuropäische Presse sprengt die Portefeuilles
der Minister, ja sie lagert sogar mit Dietrichen bewaffnet vor den Kanzleien der
russischen Behörden, und der Münster Perowsky strengt sich vergeblich an, seine
der lievländischen Ritterschaft vom Kaiser mitgetheilte Antwort vor der Veröffent¬
lichung zu bewahren. Und jene pompösen Gesaudtschastshtttels, jene großwvrtigen
Berichte über Cultur und Volksaufklärung, jene nur aus der Grenze zusammen-
gedrängten Streitkräfte! Es hilft Alles nichts. Und das Petersburger Kabinet,
welches so klug ist, es sollte uicht wissen, was für ein Unterschied zwischen Schein
und Wahrheit, zwischen Papierkraft und wirklicher Kraft, zwischen Goliath'schen
und David'schen Größen? Nur zu gut weiß es, uach welcher Seite dieser Niese
zu fassen ist, der allerdings nur auf thönernen Füßen steht, die so hohl sind, daß
sie nicht von Millionen von Tschinowuiks und ebensoviel Geldbeuteln, die das
Publikum jenen in die Tasche mitgibt, an Gediegenheit gewinnen und vor Schwan¬
kungen gesichert werden können. Dort das glatte Eismeer und hier die südlichen
Steppen, durchschwärmt von nomadisirenden Wilden, begrenzt und umlagert von


schenkt, mit das Motiv gewesen sei zu der unsinnigen Vergrößerungssucht, von
der sich Nußland seit jeher verleiten ließ. Es gehört im Innern des Landes zur
Instruction der Unteroffiziere, ihren zugewiesenen Rekruten die Große Rußlands
sofort anf's Bestimmteste einzuprägen. Daher griff man auch wohl so hastig uach
dem Präsente, welches der Kosak Jermak mit Sibirien machte. Sibirien und drei
Hundert Kosaken, die es erobert haben wollten! Ein Land, dessen Einöden zum
Theil noch kein europäischer Fuß betrat, wo viele Völkerschaften keine Ahnung
weder von einem Kosaken Jermak, noch von einer Stadt Petersburg haben!

Sibirien also und größtentheils auch die europäischen Besitzungen sind weiter
nichts als eine Form, die keineswegs vom russischen Inhalt erfüllt ist, eine große
Coulisse, die man mit Panthern, Wölfen, Eisbären und andern Thier- und Meu-
schenungethümen bemalte, um damit den ansässigen Westeuropäern Schrecken ein¬
zujagen. Aber man sieht doch endlich einmal, was dahinter steckt. Rußland hat
einmal die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen. Denn Nichts versucht
mehr den Blick zu schärfen, als ein gewisses Zwielicht. Die bereits entdeckten
Sterne regen uus uicht so sehr an, als die großen dunklen Räume des Himmels,
in welchen jene nur als kleine Punkte erscheinen. England in Folge seiner Öf¬
fentlichkeit, die seit Jahrhunderten das ganze Staatsleben wie ein censurfreics
Buch mit klarer und verständlicher Schrift der ganzen Nation einhändigte, spannt
nicht so sehr die Aufmerksamkeit, als der goldene von vielen Klammern zusammen¬
gehaltene Schritt Rußlands, in dessen Fugen die spekulirende Neugier hineindringt,
um zu erfahre», ob der Kern eine solche brillante Farbe uach außen hin hervor¬
bringen könne, oder ob es nnr Schminke sei. O nein, man kann sich nicht mehr
verstecken, weder in Einöden, noch in Kabinetten. Was hilft es selbst dem schlauen
Louis Philipp, daß er seine Familieninteressen außerhalb der Controle der Staats¬
öffentlichkeit zu bringen sucht? Die westeuropäische Presse sprengt die Portefeuilles
der Minister, ja sie lagert sogar mit Dietrichen bewaffnet vor den Kanzleien der
russischen Behörden, und der Münster Perowsky strengt sich vergeblich an, seine
der lievländischen Ritterschaft vom Kaiser mitgetheilte Antwort vor der Veröffent¬
lichung zu bewahren. Und jene pompösen Gesaudtschastshtttels, jene großwvrtigen
Berichte über Cultur und Volksaufklärung, jene nur aus der Grenze zusammen-
gedrängten Streitkräfte! Es hilft Alles nichts. Und das Petersburger Kabinet,
welches so klug ist, es sollte uicht wissen, was für ein Unterschied zwischen Schein
und Wahrheit, zwischen Papierkraft und wirklicher Kraft, zwischen Goliath'schen
und David'schen Größen? Nur zu gut weiß es, uach welcher Seite dieser Niese
zu fassen ist, der allerdings nur auf thönernen Füßen steht, die so hohl sind, daß
sie nicht von Millionen von Tschinowuiks und ebensoviel Geldbeuteln, die das
Publikum jenen in die Tasche mitgibt, an Gediegenheit gewinnen und vor Schwan¬
kungen gesichert werden können. Dort das glatte Eismeer und hier die südlichen
Steppen, durchschwärmt von nomadisirenden Wilden, begrenzt und umlagert von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/498>, abgerufen am 01.09.2024.