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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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den Gebieten gesehen, auf welche bei der Zertrümmerung des Kleinodes einige
Seitensplitter fielen!

Dennoch aber nimmt Rußland auf diese Hindeutungen in Betreff seiner Ost-
seeprovinzen sehr wohl Rücksicht. Es denkt sich den möglichen Fall, daß das El
gelegt, von der Fülle der in Deutschland sich offenbarenden Intelligenz bebrütet
und daraus endlich der Phönix mit heroischen Kräften könnte entbunden werden.
Wann? wie? ist noch unbestimmt! aber so viel weiß es, daß sich da in Deutsch¬
land jedenfalls etwas regt. Es ist für dasselbe schon ein Verlust, daß vor dem
Einflüsse der westlichen Sonne, welche von den Küsten des atlantischen Meeres
sich immer mehr gegen Osten ausbreitet, die europäische und respective deutsche
Scheu vor einem Gespenste verschwindet, das man so riesig wie möglich vor den
Blicken eines blos staunenden PubliknniS emporsteigen ließ. Dies Gespenst ist die
eigne physische Größe Rußlands, welche über der in der Stadt Petersburg und
noch enger in der Person eines einzigen Autokraten sich concentrirenden Staat mit
unorganischen und daher todten und daher unschädlichen Gliedmaßen hinauswucherte.
Aber die Politik verstand aus einem Nichts ein Alles zu machen. Was ist z. B.
Sibirien im Verhältniß zum europäischen Rußland, zum Petersburger Kabinet?
nichts weiter als ein ungeheurer Schweif, den sich der politische Fuchs am Hinter¬
theile befestigte, um gelegentlich mit seinem Umfange prahlen zu können. Deun
kann er ihn schütteln und gelenkig hin und her bewege" wie der Löwe? Nimmer¬
mehr ! er steckt eingeklemmt zwischen Wald, Sumpf und starrem Eis. Aber immer¬
hin! große Schweife setzen gewisse Leute nicht minder in Angst als Kometen, ob¬
wohl es diesen sehr wahrscheinlich an allem Inhalt, sicherlich aber nicht an vielem
Dunste gebricht. Als es nach der Julirevolution in Polen losging, wurde in
den kleinen Städten Deutschlands viel hin und wieder gestritten, ob Polen oder
Rußland gewinnen würde. Mau entschied sich fast allgemein für Nußland, und
warum? weil es so ungeheuer groß sei: Sibirien, Kaukasien, Gouvernements,
von denen viele so groß seien, wie die ganze preußische Monarchie! -- es wäre
doch ganz unerhört, wenn ein so großer Block von einem so kleinen Steinwurfe
umgeworfen werden sollte. Man verwies dann freilich auf die Bücher des alten
Testamentes, auf die interessante Debatte zwischen David und Goliath, aber zu
spät! Der Coloß hatte bereits alle Demonstrationen niedergetreten. So viel
Streiter erfocht sich Rußland mit Sibirien, mit einer Kolbe, die sich doch nicht
vom Boden heben ließ. Und wenn solche Goliathprahlcreicn im Munde so vieler
Philister hundert Meilen weit bis dicht an die Grenze eines von dem Hauche der
Freiheit entzündeten Volkes vordringen, sollte es nicht möglich sein, daß da viele
Fnnkenatome entkräftet ans ihren Heerd zurückfielen. Denn die Begeisterung zieht
allerdings zumeist Nahrung aus der eignen Brust, dann aber auch ans der Stim¬
mung des sie umstehenden Publikums. Fürwahr, man sollte glauben, daß die
Rücksicht ans die Theilnahme, welche das Heer der Philister auswendigen Größen


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den Gebieten gesehen, auf welche bei der Zertrümmerung des Kleinodes einige
Seitensplitter fielen!

Dennoch aber nimmt Rußland auf diese Hindeutungen in Betreff seiner Ost-
seeprovinzen sehr wohl Rücksicht. Es denkt sich den möglichen Fall, daß das El
gelegt, von der Fülle der in Deutschland sich offenbarenden Intelligenz bebrütet
und daraus endlich der Phönix mit heroischen Kräften könnte entbunden werden.
Wann? wie? ist noch unbestimmt! aber so viel weiß es, daß sich da in Deutsch¬
land jedenfalls etwas regt. Es ist für dasselbe schon ein Verlust, daß vor dem
Einflüsse der westlichen Sonne, welche von den Küsten des atlantischen Meeres
sich immer mehr gegen Osten ausbreitet, die europäische und respective deutsche
Scheu vor einem Gespenste verschwindet, das man so riesig wie möglich vor den
Blicken eines blos staunenden PubliknniS emporsteigen ließ. Dies Gespenst ist die
eigne physische Größe Rußlands, welche über der in der Stadt Petersburg und
noch enger in der Person eines einzigen Autokraten sich concentrirenden Staat mit
unorganischen und daher todten und daher unschädlichen Gliedmaßen hinauswucherte.
Aber die Politik verstand aus einem Nichts ein Alles zu machen. Was ist z. B.
Sibirien im Verhältniß zum europäischen Rußland, zum Petersburger Kabinet?
nichts weiter als ein ungeheurer Schweif, den sich der politische Fuchs am Hinter¬
theile befestigte, um gelegentlich mit seinem Umfange prahlen zu können. Deun
kann er ihn schütteln und gelenkig hin und her bewege» wie der Löwe? Nimmer¬
mehr ! er steckt eingeklemmt zwischen Wald, Sumpf und starrem Eis. Aber immer¬
hin! große Schweife setzen gewisse Leute nicht minder in Angst als Kometen, ob¬
wohl es diesen sehr wahrscheinlich an allem Inhalt, sicherlich aber nicht an vielem
Dunste gebricht. Als es nach der Julirevolution in Polen losging, wurde in
den kleinen Städten Deutschlands viel hin und wieder gestritten, ob Polen oder
Rußland gewinnen würde. Mau entschied sich fast allgemein für Nußland, und
warum? weil es so ungeheuer groß sei: Sibirien, Kaukasien, Gouvernements,
von denen viele so groß seien, wie die ganze preußische Monarchie! — es wäre
doch ganz unerhört, wenn ein so großer Block von einem so kleinen Steinwurfe
umgeworfen werden sollte. Man verwies dann freilich auf die Bücher des alten
Testamentes, auf die interessante Debatte zwischen David und Goliath, aber zu
spät! Der Coloß hatte bereits alle Demonstrationen niedergetreten. So viel
Streiter erfocht sich Rußland mit Sibirien, mit einer Kolbe, die sich doch nicht
vom Boden heben ließ. Und wenn solche Goliathprahlcreicn im Munde so vieler
Philister hundert Meilen weit bis dicht an die Grenze eines von dem Hauche der
Freiheit entzündeten Volkes vordringen, sollte es nicht möglich sein, daß da viele
Fnnkenatome entkräftet ans ihren Heerd zurückfielen. Denn die Begeisterung zieht
allerdings zumeist Nahrung aus der eignen Brust, dann aber auch ans der Stim¬
mung des sie umstehenden Publikums. Fürwahr, man sollte glauben, daß die
Rücksicht ans die Theilnahme, welche das Heer der Philister auswendigen Größen


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[0497] den Gebieten gesehen, auf welche bei der Zertrümmerung des Kleinodes einige Seitensplitter fielen! Dennoch aber nimmt Rußland auf diese Hindeutungen in Betreff seiner Ost- seeprovinzen sehr wohl Rücksicht. Es denkt sich den möglichen Fall, daß das El gelegt, von der Fülle der in Deutschland sich offenbarenden Intelligenz bebrütet und daraus endlich der Phönix mit heroischen Kräften könnte entbunden werden. Wann? wie? ist noch unbestimmt! aber so viel weiß es, daß sich da in Deutsch¬ land jedenfalls etwas regt. Es ist für dasselbe schon ein Verlust, daß vor dem Einflüsse der westlichen Sonne, welche von den Küsten des atlantischen Meeres sich immer mehr gegen Osten ausbreitet, die europäische und respective deutsche Scheu vor einem Gespenste verschwindet, das man so riesig wie möglich vor den Blicken eines blos staunenden PubliknniS emporsteigen ließ. Dies Gespenst ist die eigne physische Größe Rußlands, welche über der in der Stadt Petersburg und noch enger in der Person eines einzigen Autokraten sich concentrirenden Staat mit unorganischen und daher todten und daher unschädlichen Gliedmaßen hinauswucherte. Aber die Politik verstand aus einem Nichts ein Alles zu machen. Was ist z. B. Sibirien im Verhältniß zum europäischen Rußland, zum Petersburger Kabinet? nichts weiter als ein ungeheurer Schweif, den sich der politische Fuchs am Hinter¬ theile befestigte, um gelegentlich mit seinem Umfange prahlen zu können. Deun kann er ihn schütteln und gelenkig hin und her bewege» wie der Löwe? Nimmer¬ mehr ! er steckt eingeklemmt zwischen Wald, Sumpf und starrem Eis. Aber immer¬ hin! große Schweife setzen gewisse Leute nicht minder in Angst als Kometen, ob¬ wohl es diesen sehr wahrscheinlich an allem Inhalt, sicherlich aber nicht an vielem Dunste gebricht. Als es nach der Julirevolution in Polen losging, wurde in den kleinen Städten Deutschlands viel hin und wieder gestritten, ob Polen oder Rußland gewinnen würde. Mau entschied sich fast allgemein für Nußland, und warum? weil es so ungeheuer groß sei: Sibirien, Kaukasien, Gouvernements, von denen viele so groß seien, wie die ganze preußische Monarchie! — es wäre doch ganz unerhört, wenn ein so großer Block von einem so kleinen Steinwurfe umgeworfen werden sollte. Man verwies dann freilich auf die Bücher des alten Testamentes, auf die interessante Debatte zwischen David und Goliath, aber zu spät! Der Coloß hatte bereits alle Demonstrationen niedergetreten. So viel Streiter erfocht sich Rußland mit Sibirien, mit einer Kolbe, die sich doch nicht vom Boden heben ließ. Und wenn solche Goliathprahlcreicn im Munde so vieler Philister hundert Meilen weit bis dicht an die Grenze eines von dem Hauche der Freiheit entzündeten Volkes vordringen, sollte es nicht möglich sein, daß da viele Fnnkenatome entkräftet ans ihren Heerd zurückfielen. Denn die Begeisterung zieht allerdings zumeist Nahrung aus der eignen Brust, dann aber auch ans der Stim¬ mung des sie umstehenden Publikums. Fürwahr, man sollte glauben, daß die Rücksicht ans die Theilnahme, welche das Heer der Philister auswendigen Größen 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/497>, abgerufen am 26.09.2024.