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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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den Trümmern der Freiheit, die sich unverwüstlich nach neuem Aufbau seine! Vom
Piedestal bis zum Haupte hinauf sind seine Gliedmaßen von maschinenmäßiger
aber dcrivationsmäßigcn Persönlichkeiten formirt, die trotz ihrer Behänge von Or¬
den ihr Dasein größtentheils ans Nebenaccidenzien fristen, die ihnen von den seit¬
wärts stehenden Mächten zweiten Ranges, den Inhabern materiellen Besitzthumes,
den Magnaten und Gutsherrn, geboten werden. Die dünne Ehre nach oben hin
lind die Lebensnothdurft, die von unten her durch Vertrag oder List befriedigt wer¬
den muß, zerreißt die Beamten und macht sie durchaus schwankend. Also Schwäche,
nichts als Schwäche! So lange das Kabinet von Se. Petersburg als Kabinet ei¬
nem andern gegenüberstand, ja da war es eine ganz andere Sache, da kam Al¬
les aufs Jntriguireu, Occupiren und unverschämtes Zugreifen an. Jetzt aber
wär' es möglich, daß auch andere Kabinette als englische und ftauzöfische, wenn
sie ihre Schlußacten durch Couriere befördern lassen, die Rechnung ohne den Wirth
machten, welcher in der Gestalt des Volkes Einsicht und Rechenschaft verlangt.

Genug: aus dem Bewußtsein seiner Scheingröße entspringt die Furcht Ru߬
lands vor der in Deutschland sich äußernden kleinen aber wirklichen Größe, die
aus der VvlkSt'rast entspringt. Und mag diese anfangs noch so klein sei", das
Kabinet vou Se. Petersburg nimmt dennoch Rücksicht darauf, wenn es sich auch
noch sehr anstrengt, dieselbe zu ignoriren. Denn als vorzugsweise rationalistischer
Staat baut Rußland in systematischer Weise, ohne auf Revolutionen und sonstige
kleine Zufälligkeiten zu rechnen, die aus der Naivität des Schicksals entspringen,
seine politische Brücke über die Nationen hinweg in die fernste Zukunft hinein
und begegnet schon jetzt mit berechnender Vorsicht dem Zeitpunkte, wo sich Deutsch¬
land als gefährliche organische Macht einer blos mechanischen entgegenstellen möchte.
Daher muß mau sich, wie auf alleil übrigen Grenzen, so vorzüglich ans der deut¬
schen sicher zu stellen suchen. Und grade jetzt, wo man spürt, daß sich da etwas
regt, geschieht dies deutlicher, als es jemals der Fall war. Auf die deutschen
Elemente der Ostseeprovinzen ist es abgesehn, welche als dem Slaventhum ent¬
gegengesetzt bei etwaigen germanische" Uebergriffen diesem über die westliche Grenze
hinüber mit hülfreicher Hand entgegenkommen könnten. Um daher jene erstere zu
entkräften, versucht man die Arme vom dominirenden Körper zu hauen, damit die¬
ser vertheidigungslos dastehe, oder mit andern Worten: die dem Deutschthum in
den Ostseeprovinzen untergeordneten slavischen Bestandtheile will man jenem ent¬
gehen und in'ö Nnssenthnm verwandeln. Zu diese"! Zwecke bedient man sich zu¬
vorderst in friedlicher Weise der Religion und thut dies in der richtigen Berech¬
nung, daß vou der umgewandelten Masse die sporadisch über das Land verstreute
Adelsklasse im Verlause der Zeit nachgezogen würde.

Die Aushebung der Leibeigenschaft im Jahre 18 l 7 war ein früheres Mittel
zur Erreichung desselben Zweckes. Denn man glaube nicht, daß die Befreiung
der Persönlichkeit ans feudalistischer Zwingherrschaft vom Kaiser Alexander ledig-


den Trümmern der Freiheit, die sich unverwüstlich nach neuem Aufbau seine! Vom
Piedestal bis zum Haupte hinauf sind seine Gliedmaßen von maschinenmäßiger
aber dcrivationsmäßigcn Persönlichkeiten formirt, die trotz ihrer Behänge von Or¬
den ihr Dasein größtentheils ans Nebenaccidenzien fristen, die ihnen von den seit¬
wärts stehenden Mächten zweiten Ranges, den Inhabern materiellen Besitzthumes,
den Magnaten und Gutsherrn, geboten werden. Die dünne Ehre nach oben hin
lind die Lebensnothdurft, die von unten her durch Vertrag oder List befriedigt wer¬
den muß, zerreißt die Beamten und macht sie durchaus schwankend. Also Schwäche,
nichts als Schwäche! So lange das Kabinet von Se. Petersburg als Kabinet ei¬
nem andern gegenüberstand, ja da war es eine ganz andere Sache, da kam Al¬
les aufs Jntriguireu, Occupiren und unverschämtes Zugreifen an. Jetzt aber
wär' es möglich, daß auch andere Kabinette als englische und ftauzöfische, wenn
sie ihre Schlußacten durch Couriere befördern lassen, die Rechnung ohne den Wirth
machten, welcher in der Gestalt des Volkes Einsicht und Rechenschaft verlangt.

Genug: aus dem Bewußtsein seiner Scheingröße entspringt die Furcht Ru߬
lands vor der in Deutschland sich äußernden kleinen aber wirklichen Größe, die
aus der VvlkSt'rast entspringt. Und mag diese anfangs noch so klein sei», das
Kabinet vou Se. Petersburg nimmt dennoch Rücksicht darauf, wenn es sich auch
noch sehr anstrengt, dieselbe zu ignoriren. Denn als vorzugsweise rationalistischer
Staat baut Rußland in systematischer Weise, ohne auf Revolutionen und sonstige
kleine Zufälligkeiten zu rechnen, die aus der Naivität des Schicksals entspringen,
seine politische Brücke über die Nationen hinweg in die fernste Zukunft hinein
und begegnet schon jetzt mit berechnender Vorsicht dem Zeitpunkte, wo sich Deutsch¬
land als gefährliche organische Macht einer blos mechanischen entgegenstellen möchte.
Daher muß mau sich, wie auf alleil übrigen Grenzen, so vorzüglich ans der deut¬
schen sicher zu stellen suchen. Und grade jetzt, wo man spürt, daß sich da etwas
regt, geschieht dies deutlicher, als es jemals der Fall war. Auf die deutschen
Elemente der Ostseeprovinzen ist es abgesehn, welche als dem Slaventhum ent¬
gegengesetzt bei etwaigen germanische» Uebergriffen diesem über die westliche Grenze
hinüber mit hülfreicher Hand entgegenkommen könnten. Um daher jene erstere zu
entkräften, versucht man die Arme vom dominirenden Körper zu hauen, damit die¬
ser vertheidigungslos dastehe, oder mit andern Worten: die dem Deutschthum in
den Ostseeprovinzen untergeordneten slavischen Bestandtheile will man jenem ent¬
gehen und in'ö Nnssenthnm verwandeln. Zu diese»! Zwecke bedient man sich zu¬
vorderst in friedlicher Weise der Religion und thut dies in der richtigen Berech¬
nung, daß vou der umgewandelten Masse die sporadisch über das Land verstreute
Adelsklasse im Verlause der Zeit nachgezogen würde.

Die Aushebung der Leibeigenschaft im Jahre 18 l 7 war ein früheres Mittel
zur Erreichung desselben Zweckes. Denn man glaube nicht, daß die Befreiung
der Persönlichkeit ans feudalistischer Zwingherrschaft vom Kaiser Alexander ledig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/499>, abgerufen am 01.09.2024.