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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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wohnten Quartiere wieder einigermaßen in den Stand gesetzt. Besonderer Luxus
pflegt uicht dabei entfaltet zu werden, denn der Student legt selten viel Werth
auf eine schön meublirte und tappezirte Wohnung und würde dieselbe auch in
kurzer Frist nur vollständig verderben, da Schonung der Sachen nicht seine
Haupteigenschaft ist. Ju deu ersten Tagen des Semesters herrscht viel Aufregung
unter den Bürgern, geschäftig laufen die Zimmervcrmiethcr umher, ihre leeren
Quartiere möglichst gut an den Mann zu bringen, die Handwerker sich neue
Kunden zu suche", die Stiefelputzer die Zahl ihrer Herrett zu vermehren. Jeder
will sich der neuen Ankömmlinge bemächtigen. Nach den ersten acht Tagen legt
sich dies Treiben, die neue" Studenten sind fast alle eingetroffen, die alten von
den Ferienreisen wieder eingerückt; was jetzt jeder Philister hat, das behält er
für 6 Monate und neuen Zuwachs bekommt er schwerlich noch. Jetzt beginnt
auch das "Gekneipe" unter deu Männern wieder, alle Bier- und Weinstuben
sind fast den ganzen Tag und gar des Abends von den zechenden Bürgern voll
besetzt.

Wie der Badener Bürger es liebt, den vornehmen Herren möglichst nachzuah^
men, sich so viel es seine Mittel erlauben, nach der Mode desselben zu kleiden
und gern einige französische Brocken im Gespräch anbringt, so dient dem Heidel¬
berger der Student als Vorbild. Die Jugend kleidet sich gern einigermaßen nach
studentischen Brauch und führt im Wirthszimmer gern burschikose Redensarten
und Betheuerungen; der Philister kennt den Comment ebensogut wie der Badener
die Regeln des HazardS. Im Anfang des Semesters spielt die Frequenz der
Universität die Hauptrolle bei alleu Gesprächen des Heidelberger Bürgers; man
klagt, wenn die Zahl der Studenten abgenommen hat, man ist zwar erfreut, wenn
sie gestiegen, aber nie und nimmer ganz damit zufrieden, deun nach seiner Mei¬
nung thut die Regierung lange nicht genug für den Flor der Universität, und es
dürfte keinen nur einigermaßen berühmten Professor in ganz Europa geben, den
sie uicht, wenn auch mit unermeßlichen Summen dahin berufen müßte. Ueber
Verdienst und Unwerth der Professoren, was er natürlich lediglich darnach berech¬
net, wie stark ihre Kollegien besucht sind, obgleich dies gewiß ein sehr trügerischer
Maaßstab ist, urtheilt er in sehr absprechender Weise, wie er sich denn überhaupt
als Bürger einer berühmten Universität, bei dem vielleicht ein Professor und vier
bis sechs Studenten zur Miethe wohnen, für sehr gebildet hält, und in dieser Be¬
ziehung verächtlich auf die Bewohner anderer Städte herabblickt. Hat er sonst
nichts weiter zu sprechen, so politisire er. Der Heidelberger Bürger war früher
unendlich liberal gesinnt, und selbst die äußerste linke Seite der badischen Kam¬
mer ging ihm oft nicht weit genng. In letzter Zeit aber, wo sich das Gerücht
verbreitete, einige norddeutsche Staaten und besonders Preußen wollten ihren
Angehörigen den Besuch vou Heidelberg verbiete", aus der ziemlich ungegründe-
ten Furcht, daß sie dort zu viel liberale Ideen einsogen, was die Frequenz der


wohnten Quartiere wieder einigermaßen in den Stand gesetzt. Besonderer Luxus
pflegt uicht dabei entfaltet zu werden, denn der Student legt selten viel Werth
auf eine schön meublirte und tappezirte Wohnung und würde dieselbe auch in
kurzer Frist nur vollständig verderben, da Schonung der Sachen nicht seine
Haupteigenschaft ist. Ju deu ersten Tagen des Semesters herrscht viel Aufregung
unter den Bürgern, geschäftig laufen die Zimmervcrmiethcr umher, ihre leeren
Quartiere möglichst gut an den Mann zu bringen, die Handwerker sich neue
Kunden zu suche», die Stiefelputzer die Zahl ihrer Herrett zu vermehren. Jeder
will sich der neuen Ankömmlinge bemächtigen. Nach den ersten acht Tagen legt
sich dies Treiben, die neue» Studenten sind fast alle eingetroffen, die alten von
den Ferienreisen wieder eingerückt; was jetzt jeder Philister hat, das behält er
für 6 Monate und neuen Zuwachs bekommt er schwerlich noch. Jetzt beginnt
auch das „Gekneipe" unter deu Männern wieder, alle Bier- und Weinstuben
sind fast den ganzen Tag und gar des Abends von den zechenden Bürgern voll
besetzt.

Wie der Badener Bürger es liebt, den vornehmen Herren möglichst nachzuah^
men, sich so viel es seine Mittel erlauben, nach der Mode desselben zu kleiden
und gern einige französische Brocken im Gespräch anbringt, so dient dem Heidel¬
berger der Student als Vorbild. Die Jugend kleidet sich gern einigermaßen nach
studentischen Brauch und führt im Wirthszimmer gern burschikose Redensarten
und Betheuerungen; der Philister kennt den Comment ebensogut wie der Badener
die Regeln des HazardS. Im Anfang des Semesters spielt die Frequenz der
Universität die Hauptrolle bei alleu Gesprächen des Heidelberger Bürgers; man
klagt, wenn die Zahl der Studenten abgenommen hat, man ist zwar erfreut, wenn
sie gestiegen, aber nie und nimmer ganz damit zufrieden, deun nach seiner Mei¬
nung thut die Regierung lange nicht genug für den Flor der Universität, und es
dürfte keinen nur einigermaßen berühmten Professor in ganz Europa geben, den
sie uicht, wenn auch mit unermeßlichen Summen dahin berufen müßte. Ueber
Verdienst und Unwerth der Professoren, was er natürlich lediglich darnach berech¬
net, wie stark ihre Kollegien besucht sind, obgleich dies gewiß ein sehr trügerischer
Maaßstab ist, urtheilt er in sehr absprechender Weise, wie er sich denn überhaupt
als Bürger einer berühmten Universität, bei dem vielleicht ein Professor und vier
bis sechs Studenten zur Miethe wohnen, für sehr gebildet hält, und in dieser Be¬
ziehung verächtlich auf die Bewohner anderer Städte herabblickt. Hat er sonst
nichts weiter zu sprechen, so politisire er. Der Heidelberger Bürger war früher
unendlich liberal gesinnt, und selbst die äußerste linke Seite der badischen Kam¬
mer ging ihm oft nicht weit genng. In letzter Zeit aber, wo sich das Gerücht
verbreitete, einige norddeutsche Staaten und besonders Preußen wollten ihren
Angehörigen den Besuch vou Heidelberg verbiete», aus der ziemlich ungegründe-
ten Furcht, daß sie dort zu viel liberale Ideen einsogen, was die Frequenz der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/478>, abgerufen am 28.07.2024.