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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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man kann am Abend von dem Couversationshause sich kaum durch die Masse ele¬
ganter Herren und Damen durchdrängen. Der Badener selbst ist jetzt voller Geschäf¬
tigkeit, er hat alle Hände voll zu thun, die oft übertriebenen Ansprüchen der Fremden
besonders der Engländer und Nüssen zu genügen; hetzt sich den ganzen Tag ab
wie der geplagteste Lohndiener, und schläft des Nachts kaum auf elendem Stroh¬
sack, da er alle nur irgend entbehrlichen Bette" an Fremde vermiethet hat.

Gegen Mitte September wird es allmälig leerer, obgleich auch jetzt noch eine
nicht unbedeutende Gesellschaft hier weilt. Die großen Parfor^e-Jagden, die Be-
nazet alljährlich im. Herbste veranstaltet, fesseln noch Manche, und vornehme Ade¬
lige, sonst in stolzem aristokratischen, Uebermuthe auf alles Andere herabblickend,
verschmähen es nicht, den Piqnenr zu machen. Im October wird es stiller und
stiller, die Läden der Wirthshäuser schließen sich allmälig, die Anzeigetafeln vor
den Häusern verschwinden eine nach der andern. Ende October wird das Con-
versntionShans geschlossen, die Räume in und vor ihm, während des Sommers
der Schauplatz der glänzendsten Gesellschaft von Europa, sind verödet und statt
dein Geräusch der wogenden Menschenmenge hört man nur das Gerassel der dür¬
ren Blätter, mit denen der Wind ungehindert sein Spiel treibt. Einzelne wenige
Familien bleiben auch während des Winters "och hier, da sie theils ihr Reise¬
geld verspielt haben, und tief in Schulden sitzen, so daß sie deshalb nicht fortkom¬
men können, theils auch die Heimath ihnen zu weit ist und sie gleich die nächste
Saison hier abwarten wollen.

Jetzt aber beginnt für die Badener selbst die Zeit des Genusses. Die besten
Zimmer des Hauses werden bezogen und wo noch vor wenigen Wochen eine Für¬
stin wohnte, logirt letzt vielleicht ein Schuhmacher. Haben sie im Sommer für
die Fremden braten und backen müssen, so thun sie es jetzt für sich in Hülle und
Fülle. Ueppige Schmaußereien, Kaffeegesellschaften, Tanzparthieen, Schlittenfahr¬
ten, Vergnügungen, die sonst nnr die vornehme Welt kennt, finden jetzt unter den
Handwerkern und Wirthen statt. Die Frauen sind in Sammet und Seide geklei¬
det, die Männer trinken feine Weine und spielen hohes Spiel, wozu einzelne
der hier zurückbleibenden Croupiers ihnen nach Kräften behülflich sind; kurz man
sucht die vornehme Welt so viel als möglich in ihrer äußern Erscheinung und
verschwenderischen Lebensweise nachzuäffen und das gewonnene Geld auch möglichst
bald wieder auszugeben. Jetzt werden alle Begebenheiten der Saison so recht mit
Muße durchgeklatscht, und ein unerschöpfliches Thema der Unterhaltung bieten die
Borgänge an der Spielbank dar.

Anders in Heidelberg. Hier tritt die Ebbe und Fluth der fremden Gäste
nicht ein; mit Ausnahme der Ferien weilen die Studenten das ganze Jahr im
Ort. Der Heidelberger Bürger hat nicht wie der Badener die Eröffnung der
Saison, sondern die zweimalige des Semesters. nothdürftig sind während der
Ferien zwischen Schluß nud Anfang jedes Halbjahres die gar zu arg hermtterge-


6?*

man kann am Abend von dem Couversationshause sich kaum durch die Masse ele¬
ganter Herren und Damen durchdrängen. Der Badener selbst ist jetzt voller Geschäf¬
tigkeit, er hat alle Hände voll zu thun, die oft übertriebenen Ansprüchen der Fremden
besonders der Engländer und Nüssen zu genügen; hetzt sich den ganzen Tag ab
wie der geplagteste Lohndiener, und schläft des Nachts kaum auf elendem Stroh¬
sack, da er alle nur irgend entbehrlichen Bette» an Fremde vermiethet hat.

Gegen Mitte September wird es allmälig leerer, obgleich auch jetzt noch eine
nicht unbedeutende Gesellschaft hier weilt. Die großen Parfor^e-Jagden, die Be-
nazet alljährlich im. Herbste veranstaltet, fesseln noch Manche, und vornehme Ade¬
lige, sonst in stolzem aristokratischen, Uebermuthe auf alles Andere herabblickend,
verschmähen es nicht, den Piqnenr zu machen. Im October wird es stiller und
stiller, die Läden der Wirthshäuser schließen sich allmälig, die Anzeigetafeln vor
den Häusern verschwinden eine nach der andern. Ende October wird das Con-
versntionShans geschlossen, die Räume in und vor ihm, während des Sommers
der Schauplatz der glänzendsten Gesellschaft von Europa, sind verödet und statt
dein Geräusch der wogenden Menschenmenge hört man nur das Gerassel der dür¬
ren Blätter, mit denen der Wind ungehindert sein Spiel treibt. Einzelne wenige
Familien bleiben auch während des Winters »och hier, da sie theils ihr Reise¬
geld verspielt haben, und tief in Schulden sitzen, so daß sie deshalb nicht fortkom¬
men können, theils auch die Heimath ihnen zu weit ist und sie gleich die nächste
Saison hier abwarten wollen.

Jetzt aber beginnt für die Badener selbst die Zeit des Genusses. Die besten
Zimmer des Hauses werden bezogen und wo noch vor wenigen Wochen eine Für¬
stin wohnte, logirt letzt vielleicht ein Schuhmacher. Haben sie im Sommer für
die Fremden braten und backen müssen, so thun sie es jetzt für sich in Hülle und
Fülle. Ueppige Schmaußereien, Kaffeegesellschaften, Tanzparthieen, Schlittenfahr¬
ten, Vergnügungen, die sonst nnr die vornehme Welt kennt, finden jetzt unter den
Handwerkern und Wirthen statt. Die Frauen sind in Sammet und Seide geklei¬
det, die Männer trinken feine Weine und spielen hohes Spiel, wozu einzelne
der hier zurückbleibenden Croupiers ihnen nach Kräften behülflich sind; kurz man
sucht die vornehme Welt so viel als möglich in ihrer äußern Erscheinung und
verschwenderischen Lebensweise nachzuäffen und das gewonnene Geld auch möglichst
bald wieder auszugeben. Jetzt werden alle Begebenheiten der Saison so recht mit
Muße durchgeklatscht, und ein unerschöpfliches Thema der Unterhaltung bieten die
Borgänge an der Spielbank dar.

Anders in Heidelberg. Hier tritt die Ebbe und Fluth der fremden Gäste
nicht ein; mit Ausnahme der Ferien weilen die Studenten das ganze Jahr im
Ort. Der Heidelberger Bürger hat nicht wie der Badener die Eröffnung der
Saison, sondern die zweimalige des Semesters. nothdürftig sind während der
Ferien zwischen Schluß nud Anfang jedes Halbjahres die gar zu arg hermtterge-


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[0477] man kann am Abend von dem Couversationshause sich kaum durch die Masse ele¬ ganter Herren und Damen durchdrängen. Der Badener selbst ist jetzt voller Geschäf¬ tigkeit, er hat alle Hände voll zu thun, die oft übertriebenen Ansprüchen der Fremden besonders der Engländer und Nüssen zu genügen; hetzt sich den ganzen Tag ab wie der geplagteste Lohndiener, und schläft des Nachts kaum auf elendem Stroh¬ sack, da er alle nur irgend entbehrlichen Bette» an Fremde vermiethet hat. Gegen Mitte September wird es allmälig leerer, obgleich auch jetzt noch eine nicht unbedeutende Gesellschaft hier weilt. Die großen Parfor^e-Jagden, die Be- nazet alljährlich im. Herbste veranstaltet, fesseln noch Manche, und vornehme Ade¬ lige, sonst in stolzem aristokratischen, Uebermuthe auf alles Andere herabblickend, verschmähen es nicht, den Piqnenr zu machen. Im October wird es stiller und stiller, die Läden der Wirthshäuser schließen sich allmälig, die Anzeigetafeln vor den Häusern verschwinden eine nach der andern. Ende October wird das Con- versntionShans geschlossen, die Räume in und vor ihm, während des Sommers der Schauplatz der glänzendsten Gesellschaft von Europa, sind verödet und statt dein Geräusch der wogenden Menschenmenge hört man nur das Gerassel der dür¬ ren Blätter, mit denen der Wind ungehindert sein Spiel treibt. Einzelne wenige Familien bleiben auch während des Winters »och hier, da sie theils ihr Reise¬ geld verspielt haben, und tief in Schulden sitzen, so daß sie deshalb nicht fortkom¬ men können, theils auch die Heimath ihnen zu weit ist und sie gleich die nächste Saison hier abwarten wollen. Jetzt aber beginnt für die Badener selbst die Zeit des Genusses. Die besten Zimmer des Hauses werden bezogen und wo noch vor wenigen Wochen eine Für¬ stin wohnte, logirt letzt vielleicht ein Schuhmacher. Haben sie im Sommer für die Fremden braten und backen müssen, so thun sie es jetzt für sich in Hülle und Fülle. Ueppige Schmaußereien, Kaffeegesellschaften, Tanzparthieen, Schlittenfahr¬ ten, Vergnügungen, die sonst nnr die vornehme Welt kennt, finden jetzt unter den Handwerkern und Wirthen statt. Die Frauen sind in Sammet und Seide geklei¬ det, die Männer trinken feine Weine und spielen hohes Spiel, wozu einzelne der hier zurückbleibenden Croupiers ihnen nach Kräften behülflich sind; kurz man sucht die vornehme Welt so viel als möglich in ihrer äußern Erscheinung und verschwenderischen Lebensweise nachzuäffen und das gewonnene Geld auch möglichst bald wieder auszugeben. Jetzt werden alle Begebenheiten der Saison so recht mit Muße durchgeklatscht, und ein unerschöpfliches Thema der Unterhaltung bieten die Borgänge an der Spielbank dar. Anders in Heidelberg. Hier tritt die Ebbe und Fluth der fremden Gäste nicht ein; mit Ausnahme der Ferien weilen die Studenten das ganze Jahr im Ort. Der Heidelberger Bürger hat nicht wie der Badener die Eröffnung der Saison, sondern die zweimalige des Semesters. nothdürftig sind während der Ferien zwischen Schluß nud Anfang jedes Halbjahres die gar zu arg hermtterge- 6?*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/477>, abgerufen am 28.07.2024.