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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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girrt seine Zurüstungen. Die Hänser werden neu angestrichen, die Zimmer aus¬
gemalt, die Möbel ausgepolstert. Die Läden der großen Gasthäuser, im Winter
dicht verschlossen, öffnen sich wieder; in ganzen Schaaren kommen Kellner, Koche,
Mädchen und Knechte, für den Winter alle entlassen, größtentheils ans dem na¬
hen Elsaß, wo die Meisten derselben ihre Heimat!) haben, wieder eingewandert.
Um die Mitte Mai werden die Spielsäle des Convcrsationshanscs wieder eröffnet
und gleich gierigen Raben kommt das Gezüchte der Croupiers, ihren Meister Be-
uazet an der Spitze, aus Paris wieder an, nach Beute zu haschen. Die Badener
begrüßen dieselben mit jener Freude, mit der mau in naiven Gegenden die ersten
Schwalben empfängt; daß diese öffentlichen Banken eine Schmach für Deutschland
sind, will man in Baden-Baden nicht recht begreife". Benazet ist ein gar ange¬
sehener Mann daselbst, ebenso angesehen wie Waugerow oder Mittermaier in Hei¬
delberg, denn Beide führen ja ihren Städten neue Gäste zu und bereichern so die
Beutel der Bürger.

Allmälig beginnt das Fremdenverzeichniß einige Namen neu angekommener
Gäste auszuweisen. Noch sind dieselben zu zählen und ihre Persönlichkeit ist ein
Gegenstand der Theilnahme für Alt und Jung. Man erkundigt sich sorgsam bei
ihnen, ob wohl noch Mehrere aus ihren Gegenden nachkommen werdeu. Alle
politischen Ereignisse, Frieden und Krieg, Mißwachs oder fruchtbare Ernte, Alles
interessirt sie nur, insofern es auf die Saison günstig oder nachtheilig einwirken könnte.
Jetzt ziehen schon die Hausbesitzer sich in Hiutcrstubeu und DaclMmmerleins zurück,
ihre besten Zimmer und Mobilien den Fremden zu vermiethen, und es gibt fast kein
Hans, an dem nicht die weiße Tafel mit dem in riesigen Lettern gedruckten "^In>n>dro
F-unIes u Imier," denen oft noch eine englische, selten aber eine deutsche Ueberse¬
tzung beigefügt ist, befestigt wäre. Alles was deutsch ist, steht überhaupt in
Baden-Baden nicht in sonderlicher Geltung, es verzehrt nicht Geld genug und
der Russe, der so und so viel Realen zu vergeuden hat, ist dem Baden-Badener
eine viel rcspectirlichere Person. -- Französisch si"d alle Annoncen und Ladenschil-
dcr, französisch spricht jeder Kellner, Handwerker, ja selbst Bcttclbuben, und es
kann Einem ereignen, daß, wenn man einen Badener in gutem ehrlichem Deutsch
anredet, er in schlechtem Französisch antwortet. Gegen Ende Juni wird es voller
und voller, die Eisenbahnzüge sind reichlich besetzt, die Omnibusse rollen schwer
durch die Gassen, inzwischen die Karossen hoher Herrschaften vom Eisenbahnhofe
abgeholt werden. Die eigentliche "Saison", welche den Juli und August, und
einigermaßen auch den September umschließt, säugt an sich zu entfalten. Der
Badener reibt sich vergnügt die Hände; die Zimmer steigen nun täglich im Preise,
da die Nachfrage stärker und stärker wird. Jetzt entfaltet Baden seinen vollen großartigen
Charakter, es ist ein Keodk!2-v"us Ort für ganz Europa. Ab und zu rauschen
die Schwärme der Gäste; 3 -- 400 neue Ankommende zeigt täglich das Fremden¬
blatt; ein schwirrendes Gewühl herrscht in allen Hotels, Sälen, Vergnügungsorten,


girrt seine Zurüstungen. Die Hänser werden neu angestrichen, die Zimmer aus¬
gemalt, die Möbel ausgepolstert. Die Läden der großen Gasthäuser, im Winter
dicht verschlossen, öffnen sich wieder; in ganzen Schaaren kommen Kellner, Koche,
Mädchen und Knechte, für den Winter alle entlassen, größtentheils ans dem na¬
hen Elsaß, wo die Meisten derselben ihre Heimat!) haben, wieder eingewandert.
Um die Mitte Mai werden die Spielsäle des Convcrsationshanscs wieder eröffnet
und gleich gierigen Raben kommt das Gezüchte der Croupiers, ihren Meister Be-
uazet an der Spitze, aus Paris wieder an, nach Beute zu haschen. Die Badener
begrüßen dieselben mit jener Freude, mit der mau in naiven Gegenden die ersten
Schwalben empfängt; daß diese öffentlichen Banken eine Schmach für Deutschland
sind, will man in Baden-Baden nicht recht begreife». Benazet ist ein gar ange¬
sehener Mann daselbst, ebenso angesehen wie Waugerow oder Mittermaier in Hei¬
delberg, denn Beide führen ja ihren Städten neue Gäste zu und bereichern so die
Beutel der Bürger.

Allmälig beginnt das Fremdenverzeichniß einige Namen neu angekommener
Gäste auszuweisen. Noch sind dieselben zu zählen und ihre Persönlichkeit ist ein
Gegenstand der Theilnahme für Alt und Jung. Man erkundigt sich sorgsam bei
ihnen, ob wohl noch Mehrere aus ihren Gegenden nachkommen werdeu. Alle
politischen Ereignisse, Frieden und Krieg, Mißwachs oder fruchtbare Ernte, Alles
interessirt sie nur, insofern es auf die Saison günstig oder nachtheilig einwirken könnte.
Jetzt ziehen schon die Hausbesitzer sich in Hiutcrstubeu und DaclMmmerleins zurück,
ihre besten Zimmer und Mobilien den Fremden zu vermiethen, und es gibt fast kein
Hans, an dem nicht die weiße Tafel mit dem in riesigen Lettern gedruckten „^In>n>dro
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tzung beigefügt ist, befestigt wäre. Alles was deutsch ist, steht überhaupt in
Baden-Baden nicht in sonderlicher Geltung, es verzehrt nicht Geld genug und
der Russe, der so und so viel Realen zu vergeuden hat, ist dem Baden-Badener
eine viel rcspectirlichere Person. — Französisch si«d alle Annoncen und Ladenschil-
dcr, französisch spricht jeder Kellner, Handwerker, ja selbst Bcttclbuben, und es
kann Einem ereignen, daß, wenn man einen Badener in gutem ehrlichem Deutsch
anredet, er in schlechtem Französisch antwortet. Gegen Ende Juni wird es voller
und voller, die Eisenbahnzüge sind reichlich besetzt, die Omnibusse rollen schwer
durch die Gassen, inzwischen die Karossen hoher Herrschaften vom Eisenbahnhofe
abgeholt werden. Die eigentliche „Saison", welche den Juli und August, und
einigermaßen auch den September umschließt, säugt an sich zu entfalten. Der
Badener reibt sich vergnügt die Hände; die Zimmer steigen nun täglich im Preise,
da die Nachfrage stärker und stärker wird. Jetzt entfaltet Baden seinen vollen großartigen
Charakter, es ist ein Keodk!2-v»us Ort für ganz Europa. Ab und zu rauschen
die Schwärme der Gäste; 3 — 400 neue Ankommende zeigt täglich das Fremden¬
blatt; ein schwirrendes Gewühl herrscht in allen Hotels, Sälen, Vergnügungsorten,


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[0476] girrt seine Zurüstungen. Die Hänser werden neu angestrichen, die Zimmer aus¬ gemalt, die Möbel ausgepolstert. Die Läden der großen Gasthäuser, im Winter dicht verschlossen, öffnen sich wieder; in ganzen Schaaren kommen Kellner, Koche, Mädchen und Knechte, für den Winter alle entlassen, größtentheils ans dem na¬ hen Elsaß, wo die Meisten derselben ihre Heimat!) haben, wieder eingewandert. Um die Mitte Mai werden die Spielsäle des Convcrsationshanscs wieder eröffnet und gleich gierigen Raben kommt das Gezüchte der Croupiers, ihren Meister Be- uazet an der Spitze, aus Paris wieder an, nach Beute zu haschen. Die Badener begrüßen dieselben mit jener Freude, mit der mau in naiven Gegenden die ersten Schwalben empfängt; daß diese öffentlichen Banken eine Schmach für Deutschland sind, will man in Baden-Baden nicht recht begreife». Benazet ist ein gar ange¬ sehener Mann daselbst, ebenso angesehen wie Waugerow oder Mittermaier in Hei¬ delberg, denn Beide führen ja ihren Städten neue Gäste zu und bereichern so die Beutel der Bürger. Allmälig beginnt das Fremdenverzeichniß einige Namen neu angekommener Gäste auszuweisen. Noch sind dieselben zu zählen und ihre Persönlichkeit ist ein Gegenstand der Theilnahme für Alt und Jung. Man erkundigt sich sorgsam bei ihnen, ob wohl noch Mehrere aus ihren Gegenden nachkommen werdeu. Alle politischen Ereignisse, Frieden und Krieg, Mißwachs oder fruchtbare Ernte, Alles interessirt sie nur, insofern es auf die Saison günstig oder nachtheilig einwirken könnte. Jetzt ziehen schon die Hausbesitzer sich in Hiutcrstubeu und DaclMmmerleins zurück, ihre besten Zimmer und Mobilien den Fremden zu vermiethen, und es gibt fast kein Hans, an dem nicht die weiße Tafel mit dem in riesigen Lettern gedruckten „^In>n>dro F-unIes u Imier," denen oft noch eine englische, selten aber eine deutsche Ueberse¬ tzung beigefügt ist, befestigt wäre. Alles was deutsch ist, steht überhaupt in Baden-Baden nicht in sonderlicher Geltung, es verzehrt nicht Geld genug und der Russe, der so und so viel Realen zu vergeuden hat, ist dem Baden-Badener eine viel rcspectirlichere Person. — Französisch si«d alle Annoncen und Ladenschil- dcr, französisch spricht jeder Kellner, Handwerker, ja selbst Bcttclbuben, und es kann Einem ereignen, daß, wenn man einen Badener in gutem ehrlichem Deutsch anredet, er in schlechtem Französisch antwortet. Gegen Ende Juni wird es voller und voller, die Eisenbahnzüge sind reichlich besetzt, die Omnibusse rollen schwer durch die Gassen, inzwischen die Karossen hoher Herrschaften vom Eisenbahnhofe abgeholt werden. Die eigentliche „Saison", welche den Juli und August, und einigermaßen auch den September umschließt, säugt an sich zu entfalten. Der Badener reibt sich vergnügt die Hände; die Zimmer steigen nun täglich im Preise, da die Nachfrage stärker und stärker wird. Jetzt entfaltet Baden seinen vollen großartigen Charakter, es ist ein Keodk!2-v»us Ort für ganz Europa. Ab und zu rauschen die Schwärme der Gäste; 3 — 400 neue Ankommende zeigt täglich das Fremden¬ blatt; ein schwirrendes Gewühl herrscht in allen Hotels, Sälen, Vergnügungsorten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/476>, abgerufen am 27.07.2024.