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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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zeigte von frühester Jugend an einen wüthende" Haß gegen Räuber und
Diebe. Als Knabe schon konnte er einen Hund, der ein Stück Fleisch ent¬
wendet, mit der Wuth und Hurtigkeit eines Tigers verfolgen. Er war der
Schrecken der Ratten in dem Hanse, wo er wohnte. Sein scharfes Auge
entdeckte die Spuren dieser Räuber, sein feines Ohr erlauschte sie in ihren
Schlupfwinkeln und er war unglaublich erfinderisch in den Mitteln zu ihrer
Vertilgung.

Cyriak wurde zu einem Schneider in die Lehre gegeben. Nach Been¬
digung der Lehrjahre trat er die Wanderschaft an. Seine unüberwindliche
Abneigung gegen Diebstahl aller Art trieb ihn von einem Meister zum andern;
denn er konnte es nicht ansehen, wie die Meister beim Zuschneiden ein Stück
von dem Stoffe ihrer Kunden sich zueigneten.

Ein ähnlicher Umstand führte ihn endlich nach Pesth. Ans der Her¬
berge zu Temesvar vermißte er eines Morgens beim Erwachen sein Taschen¬
tuch. Nur ein einziger Geselle hatte die Nacht über mit ihm die Stube
getheilt, und dieser war bereits weiter gewandert. Er mochte das Taschen¬
tuch aus Versehen oder als leichte Bente mit sich genommen haben. Es
war dies das erste Mal, daß Cyriak auf solche Art etwas von seinem Ei¬
genthum einbüßte. Er wollte sich nicht gleich dem Gedanken an Diebstahl
hingeben, da er mit dem Kameraden den Abend zuvor freundschaftlich ge¬
gessen und getrunken. Er sann daher lange nach, wann er sein Tuch zum
letzten Male in Händen gehabt, ob er es vielleicht verloren hätte. Als er
endlich überzeugt zu sein glaubte, daß er das Tuch kurz vor dem Einschlafen
auf den Sessel neben dem^Lette gelegt, wollte er sich überreden, der Ka¬
merad habe das Tuch wohl nur ans Versehen mitgenommen. Dennoch
konnte er sich die Sache nicht aus dem Kopfe schlagen, und in der darauf
folgenden Nacht sah er im Traum den Gesellen, wie ihm der Zipfel seines
Tuches aus der Rocktasche hing, oder wie er es üblicher Weise benutzte.
Cyriak wälzte sich ruhelos auf dem Lager, und er kam endlich zu dem festen
Entschlüsse, den Dieb zu verfolgen und ihm sein Eigenthum zu entreißen.
Der Geselle harte ihm gesagt, daß er nach Pesth gehen wolle, dahin eilte
er ihm in starken Tagemärschen nach. Unterwegs erkundigte er sich in den
Wirthshäusern an der Straße nach dein Gesellen, indem er seine Person
genau beschrieb, und erfuhr auch wirklich, daß dieser -dagewesen und Auf der
Straße nach Pesth weitergegangen sei. Cyriak würde ihn gewiß eingeholt
haben, aber der Geselle mußte wahrscheinlich Fechtens halber in die anlie¬
genden Dörfer einen Abstecher gemacht haben.

Als Cyriak von den Höhen Ofens die weitgcstreckten zwei Städte über-


zeigte von frühester Jugend an einen wüthende» Haß gegen Räuber und
Diebe. Als Knabe schon konnte er einen Hund, der ein Stück Fleisch ent¬
wendet, mit der Wuth und Hurtigkeit eines Tigers verfolgen. Er war der
Schrecken der Ratten in dem Hanse, wo er wohnte. Sein scharfes Auge
entdeckte die Spuren dieser Räuber, sein feines Ohr erlauschte sie in ihren
Schlupfwinkeln und er war unglaublich erfinderisch in den Mitteln zu ihrer
Vertilgung.

Cyriak wurde zu einem Schneider in die Lehre gegeben. Nach Been¬
digung der Lehrjahre trat er die Wanderschaft an. Seine unüberwindliche
Abneigung gegen Diebstahl aller Art trieb ihn von einem Meister zum andern;
denn er konnte es nicht ansehen, wie die Meister beim Zuschneiden ein Stück
von dem Stoffe ihrer Kunden sich zueigneten.

Ein ähnlicher Umstand führte ihn endlich nach Pesth. Ans der Her¬
berge zu Temesvar vermißte er eines Morgens beim Erwachen sein Taschen¬
tuch. Nur ein einziger Geselle hatte die Nacht über mit ihm die Stube
getheilt, und dieser war bereits weiter gewandert. Er mochte das Taschen¬
tuch aus Versehen oder als leichte Bente mit sich genommen haben. Es
war dies das erste Mal, daß Cyriak auf solche Art etwas von seinem Ei¬
genthum einbüßte. Er wollte sich nicht gleich dem Gedanken an Diebstahl
hingeben, da er mit dem Kameraden den Abend zuvor freundschaftlich ge¬
gessen und getrunken. Er sann daher lange nach, wann er sein Tuch zum
letzten Male in Händen gehabt, ob er es vielleicht verloren hätte. Als er
endlich überzeugt zu sein glaubte, daß er das Tuch kurz vor dem Einschlafen
auf den Sessel neben dem^Lette gelegt, wollte er sich überreden, der Ka¬
merad habe das Tuch wohl nur ans Versehen mitgenommen. Dennoch
konnte er sich die Sache nicht aus dem Kopfe schlagen, und in der darauf
folgenden Nacht sah er im Traum den Gesellen, wie ihm der Zipfel seines
Tuches aus der Rocktasche hing, oder wie er es üblicher Weise benutzte.
Cyriak wälzte sich ruhelos auf dem Lager, und er kam endlich zu dem festen
Entschlüsse, den Dieb zu verfolgen und ihm sein Eigenthum zu entreißen.
Der Geselle harte ihm gesagt, daß er nach Pesth gehen wolle, dahin eilte
er ihm in starken Tagemärschen nach. Unterwegs erkundigte er sich in den
Wirthshäusern an der Straße nach dein Gesellen, indem er seine Person
genau beschrieb, und erfuhr auch wirklich, daß dieser -dagewesen und Auf der
Straße nach Pesth weitergegangen sei. Cyriak würde ihn gewiß eingeholt
haben, aber der Geselle mußte wahrscheinlich Fechtens halber in die anlie¬
genden Dörfer einen Abstecher gemacht haben.

Als Cyriak von den Höhen Ofens die weitgcstreckten zwei Städte über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/386>, abgerufen am 01.09.2024.