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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Duft der Manilla nachlässig von sich blasend, und auf den Bänken, unter
den alten, schattenreichen Bäumen sitzen Damen, die von deu Liedern der
Karschin und dem schöne" Geschmacke des Gottsched nichts mehr wissen, sie
lesen voller Sammlung in den Romanen der Fran von Paalzow und er¬
bauen sich an "Martin dem Findelkinde." Dort schreitet mit langsamem,
unsicherem Schritte dem Brunnen ein StaatShämorrhvidariuS zu, der viele
bunte Bäudleiu in seinem Knopfloche trägt, er will im Bade deu Unterstand
abwaschen und sich kräftigen für sein bevorstehendes Jubiläum, deun im
nächsten Jahre werden es fünfzig Jahre, daß er als bescheidener Oberlaudes-
gerichtöreferendarius die glänzende Carriere angetreten, die ihn zu Ehren
und Würden geführt hat. Man sieht es dem Manne an, daß das papierne
Handwerk die Kraft seiner Jahre gebrochen und die vielen offiziellen Zweck-
essen, amüsanten Theegesellschaften und Picknicks, denen er seiner hohen
Stellung wegen beiwohnen muß, seine Verdauungsorgane geschwächt haben.
Er will jetzt ein paar Gläser hcilspcndenden Rakoczy's trinken und dann
im Lesezimmer des Kurhauses seiner Lieblingslektüre, der "preußischen All¬
gemeinen" eine Morgenstunde weihen. Geschäftige Badearzte eilen auf und
ab, freundliche, geschickte Männer, die nach allen Seiten hin grüßen und
in allen Zungen des Abendlandes sich nach dem Wohlbefinden ihrer hohen
Patienten erkundigen. Sie halten jetzt ihre goldene Ernte und haben kom¬
menden Winter Muße genug, eine neue Schrift über die Vorzüge Kissingenö
in die Welt zu schicken. Bis zur Unkenntlichkeit hat sich das frühere Städt¬
lein, jetzt die Stadt Kissingen, verändert, neue Straßen mit prächtigen
Gebäuden sind erstanden und zahlreiche Gasthäuser sind zur Aufnahme der
vielen Fremden bereit, ein, wenn auch nicht billiges, doch den Bedürfnissen
sehr entsprechendes Unterkommen und eine reichlich besetzte Tafel zu mäßigem
Preise bietend. Vergnügungen aller Art findet der Zerstreuung Suchende,
von den glänzenden Neuuionen und Tanzvergnügungen des Knrsaales an,
bis zu dem bescheidenen Kegelspiele, an dem sich oft hochgestellte Kurgäste
in deu zahlreichen Wirthschaftsgärten belustigen. Doch wenden wir uns
hinweg von diesen oft so theuern Vergnügungen, die fast an allen Bädern
ein und dieselben sind und deren Physiognomie nur zu oft das Gepräge
der Langeweile trägt, und werfen wir einen Blick ans Kissingens herrliche
Umgebungen, die ihres Gleichen suchen und Freunden der Natur so reichen
Genuß gewähren. Ein fetter Wiesengrund, den die Saale durchschlängelt,
fruchtbare Saatfelder, wohlgehaltene Gärten, sanfte Anhöhen, ans deren
sonnigen Lagen die Rede gedeiht, umlagern in harmonischem Wechsel den
schönen Badeort und bieten dem Auge die reizendsten Ansichten dar. Das


Duft der Manilla nachlässig von sich blasend, und auf den Bänken, unter
den alten, schattenreichen Bäumen sitzen Damen, die von deu Liedern der
Karschin und dem schöne» Geschmacke des Gottsched nichts mehr wissen, sie
lesen voller Sammlung in den Romanen der Fran von Paalzow und er¬
bauen sich an „Martin dem Findelkinde." Dort schreitet mit langsamem,
unsicherem Schritte dem Brunnen ein StaatShämorrhvidariuS zu, der viele
bunte Bäudleiu in seinem Knopfloche trägt, er will im Bade deu Unterstand
abwaschen und sich kräftigen für sein bevorstehendes Jubiläum, deun im
nächsten Jahre werden es fünfzig Jahre, daß er als bescheidener Oberlaudes-
gerichtöreferendarius die glänzende Carriere angetreten, die ihn zu Ehren
und Würden geführt hat. Man sieht es dem Manne an, daß das papierne
Handwerk die Kraft seiner Jahre gebrochen und die vielen offiziellen Zweck-
essen, amüsanten Theegesellschaften und Picknicks, denen er seiner hohen
Stellung wegen beiwohnen muß, seine Verdauungsorgane geschwächt haben.
Er will jetzt ein paar Gläser hcilspcndenden Rakoczy's trinken und dann
im Lesezimmer des Kurhauses seiner Lieblingslektüre, der „preußischen All¬
gemeinen" eine Morgenstunde weihen. Geschäftige Badearzte eilen auf und
ab, freundliche, geschickte Männer, die nach allen Seiten hin grüßen und
in allen Zungen des Abendlandes sich nach dem Wohlbefinden ihrer hohen
Patienten erkundigen. Sie halten jetzt ihre goldene Ernte und haben kom¬
menden Winter Muße genug, eine neue Schrift über die Vorzüge Kissingenö
in die Welt zu schicken. Bis zur Unkenntlichkeit hat sich das frühere Städt¬
lein, jetzt die Stadt Kissingen, verändert, neue Straßen mit prächtigen
Gebäuden sind erstanden und zahlreiche Gasthäuser sind zur Aufnahme der
vielen Fremden bereit, ein, wenn auch nicht billiges, doch den Bedürfnissen
sehr entsprechendes Unterkommen und eine reichlich besetzte Tafel zu mäßigem
Preise bietend. Vergnügungen aller Art findet der Zerstreuung Suchende,
von den glänzenden Neuuionen und Tanzvergnügungen des Knrsaales an,
bis zu dem bescheidenen Kegelspiele, an dem sich oft hochgestellte Kurgäste
in deu zahlreichen Wirthschaftsgärten belustigen. Doch wenden wir uns
hinweg von diesen oft so theuern Vergnügungen, die fast an allen Bädern
ein und dieselben sind und deren Physiognomie nur zu oft das Gepräge
der Langeweile trägt, und werfen wir einen Blick ans Kissingens herrliche
Umgebungen, die ihres Gleichen suchen und Freunden der Natur so reichen
Genuß gewähren. Ein fetter Wiesengrund, den die Saale durchschlängelt,
fruchtbare Saatfelder, wohlgehaltene Gärten, sanfte Anhöhen, ans deren
sonnigen Lagen die Rede gedeiht, umlagern in harmonischem Wechsel den
schönen Badeort und bieten dem Auge die reizendsten Ansichten dar. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/232>, abgerufen am 28.07.2024.