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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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grünen Tisch, die vielleicht das Erbe des unglücklichen Polenkindes gewesen
sind, das an den Ufern des Schalls die Reveille des französischen Tambours
aus seinem Schlummer weckt, der ihm die einzige Erholung ist bei seinem
mühevollen, kriegerischen Tagewerke. Ja, aus den: Schlummer, in welchem
es geträumt hat vou seiner Heimath, von seiner Mutter, der schönen Edel-
frau, die längst der Kummer aufgezehrt hat, und von seinem Vater, der
die Heldenschaarcn Schamyl Bey's führt, glühend vom Hasse gegen die
Unterdrücker seines Vaterlandes. Solche Betrachtungen drängen sich uns
unwillkürlich ans, wenn wir das Treiben der russischen vornehmen Welt in
und außerhalb der deutsche" Bäder sehen, eigene Zeichen unserer Zeit, die
wie eine Waruungssiimme durch ganz Deutschland tönen sollten. Aber frei¬
lich Deutschland, was hat das zu fürchten in der Gegenwart? Seine Gren¬
zen sind ja befestigt, Wohlstand und Handel heben sich von Tag zu Tage,
wie wir unaufhörlich in gewissen Blättern mit gesperrter Schrift lesen müssen,
seine Gold- und Silberflvttcu schwimmen auf allen Meeren und verdunkeln
den Glanz der weiland spanischen, und bald werden seine Kriegsschiffe kühn
des Engländers spotten, der jetzt gerade in Helgoland dem deutschen Volke
eine Bremse setzt. Ein leichter Ueberfall über Nacht und ein paar Menschenleben
wird es kosten und auf dem Felseneilande weht die denrsche Nationalflagge
wieder, geschützt von deutscher Wehrmannschaft und deutschen Kriegsfahr-
zeugeir!! Doch kehren wir zu dem eigentlichen Gegenstande unserer Betrach¬
tungen zurück, vou dem wir abgewichen sind, um Entschuldigung für unseren
Seitensprung nachsuchend.

Kissingen, das Kizziche der Alten, ist nicht mehr das bescheidene Badle,
zu dem Würzburger Domherren in heißen Soimnertagen zogen, um im
Vereine mit ihren zahlreichen Vettern und Basen aus dem fränkischen Adel
fröhlicher Kurzweil zu pflegen und sich des Lebens zu freuen. Es war ein
munteres Gesindel, was sich damals an dem Bade alljährlich zusammenfand,
zwar der Vergnügungen des grünen Tisches entbehrend, aber dafür an hei¬
terem Zechgelage und lustigen SingeSweisen sich ergötzend, oder in den wild¬
reichen Forsten des Saalgaucs dem edlen Waidwerke obliegend. Da ver¬
gaßen die gnädigen und gestrengen Herren Matntiu und Landes und die
staubigen Acten eines fürstbischöflichen Cvnsistorii, voll heiteren Humors
Erholung und Zerstreuung an der Heilquelle suchend. Das hat sich alles
verändert, seit Kissingen ein Wcltbad geworden; ans dem Kurplatze wandeln
nicht mehr die gravitätischen Herren in Alongcperrücken und die Damen in
Reifröcken, lachend und schwatzend nach Herzenslust, an ihre Stelle ist der
Dandy getreten, der im feinsten, englischen Frack herumschlendert, den feinen


grünen Tisch, die vielleicht das Erbe des unglücklichen Polenkindes gewesen
sind, das an den Ufern des Schalls die Reveille des französischen Tambours
aus seinem Schlummer weckt, der ihm die einzige Erholung ist bei seinem
mühevollen, kriegerischen Tagewerke. Ja, aus den: Schlummer, in welchem
es geträumt hat vou seiner Heimath, von seiner Mutter, der schönen Edel-
frau, die längst der Kummer aufgezehrt hat, und von seinem Vater, der
die Heldenschaarcn Schamyl Bey's führt, glühend vom Hasse gegen die
Unterdrücker seines Vaterlandes. Solche Betrachtungen drängen sich uns
unwillkürlich ans, wenn wir das Treiben der russischen vornehmen Welt in
und außerhalb der deutsche» Bäder sehen, eigene Zeichen unserer Zeit, die
wie eine Waruungssiimme durch ganz Deutschland tönen sollten. Aber frei¬
lich Deutschland, was hat das zu fürchten in der Gegenwart? Seine Gren¬
zen sind ja befestigt, Wohlstand und Handel heben sich von Tag zu Tage,
wie wir unaufhörlich in gewissen Blättern mit gesperrter Schrift lesen müssen,
seine Gold- und Silberflvttcu schwimmen auf allen Meeren und verdunkeln
den Glanz der weiland spanischen, und bald werden seine Kriegsschiffe kühn
des Engländers spotten, der jetzt gerade in Helgoland dem deutschen Volke
eine Bremse setzt. Ein leichter Ueberfall über Nacht und ein paar Menschenleben
wird es kosten und auf dem Felseneilande weht die denrsche Nationalflagge
wieder, geschützt von deutscher Wehrmannschaft und deutschen Kriegsfahr-
zeugeir!! Doch kehren wir zu dem eigentlichen Gegenstande unserer Betrach¬
tungen zurück, vou dem wir abgewichen sind, um Entschuldigung für unseren
Seitensprung nachsuchend.

Kissingen, das Kizziche der Alten, ist nicht mehr das bescheidene Badle,
zu dem Würzburger Domherren in heißen Soimnertagen zogen, um im
Vereine mit ihren zahlreichen Vettern und Basen aus dem fränkischen Adel
fröhlicher Kurzweil zu pflegen und sich des Lebens zu freuen. Es war ein
munteres Gesindel, was sich damals an dem Bade alljährlich zusammenfand,
zwar der Vergnügungen des grünen Tisches entbehrend, aber dafür an hei¬
terem Zechgelage und lustigen SingeSweisen sich ergötzend, oder in den wild¬
reichen Forsten des Saalgaucs dem edlen Waidwerke obliegend. Da ver¬
gaßen die gnädigen und gestrengen Herren Matntiu und Landes und die
staubigen Acten eines fürstbischöflichen Cvnsistorii, voll heiteren Humors
Erholung und Zerstreuung an der Heilquelle suchend. Das hat sich alles
verändert, seit Kissingen ein Wcltbad geworden; ans dem Kurplatze wandeln
nicht mehr die gravitätischen Herren in Alongcperrücken und die Damen in
Reifröcken, lachend und schwatzend nach Herzenslust, an ihre Stelle ist der
Dandy getreten, der im feinsten, englischen Frack herumschlendert, den feinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/231>, abgerufen am 28.07.2024.