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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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wären sie eben erst aus der bildenden Hand einer ungeheuern vulkanischen
Kraft hervorgegangen: Diese schroffen Eisnadeln oder runden Kegelformen,
diese dünngeschliffenen, überhängenden Krystallwände mit messerscharsen Kanten
auf breiten Unterlagen ruhend, die Burgen und Festen mit tausend Zinnen,
die wir so klar vor uus hatten, daß die Grenze des ewigen Schnees wie
eine weiße Decke erschien, die in vielen Zipfeln und Ausläufern sich in die
Waldregion hineinzog; der dunkle Cedernwald, welcher Alles umhüllte, was
nicht dürre Klippe ist, von breiten kahlen Streifen durchzogen, welche wie
eine Riesenspur bis zum Fluß hinabgehen, den Alles zerstörenden und zer¬
trümmernden Sturz einer Lawine andeutend; der brausende Strom in der
Tiefe mit seinen zahlreichen Stromschnellen und schäumenden Wasserfällen."--
Am Gefährlichsten war der Zug über den Lama Kagapaß. "Wir hatten
kaum die höchste Spitze erreicht, als ein feuchter und kalter Nebel, der sich
allmälig in ein Schloßenschauer auflöste, uns einhüllte, und zwar so dicht,
daß die Ersten im Zuge von den Uebrigen gänzlich abgeschnitten waren.
Dennoch kam Alles darauf an, sobald als möglich hinuuterzugelangen, denn
der Tag neigte sich schon zum Eude, und im Finstern wäre es völlig un¬
möglich gewesen, den an sich so gefährlichen Weg zurückzulegen. Ebenso¬
wenig konnten wir ohne Lebensgefahr die Nacht ans diesen Höhen zubringen.
Unsere Führer, die selbst ungewiß und ängstlich schienen, wurden vorwärts ge¬
trieben. Wir gelangten glücklich an der ersten Schneewand hinab, hier aber zeigte
sich, daß der untere und grade der steilste Abhang derselben ans einer glat¬
ten Eismasse bestand, worauf wir durchaus nicht gerechnet hatten. Wir
fingen an, mit der Axt in der Hand, Stufe" hineinznhauen. Es dauerte
peinlich lange, und man mußte sich während der sauern Arbeit über einem
schwindelnden Abgrunde schwebend mit Händen und Füßen anklammern, um
nicht auszugleiten und hinunterzustürzen. Fast wäre dies dem Prinzen wi¬
derfahren; sein Stock, mit einer sehr starken eisernen Spitze versehen, hielt
jedoch den Fall auf. So erreichten wir mit den Führern glücklich das Ende
des Eises und eine weniger gefährliche Schneefläche. -- Endlich ließ der
Schneeregen etwas nach, der Nebel zerriß auf einen Augenblick, und wir
sahen auf dem Kamme, den wir vor einer Stunde verlassen hatten, die ganze
Reihe der Knlies. Keiner konnte sich entschließen, den Weg anzutreten; sie
schauten verzagt hinab. Als sie uns unten gewahr wurden, bequemten
sich endlich einige der muthigsten, uns zu folgen. Es ging ziemlich gut bis
zur Eiswand; hier aber verloren mehrere den festen Grund und fuhren mit
dem schweren Gepäck die Tiefe herab. Es sah gefährlich aus, doch kam
Keiner zu Schaden. Der übrige Weg im halbgeschmolzenen Schnee ging


wären sie eben erst aus der bildenden Hand einer ungeheuern vulkanischen
Kraft hervorgegangen: Diese schroffen Eisnadeln oder runden Kegelformen,
diese dünngeschliffenen, überhängenden Krystallwände mit messerscharsen Kanten
auf breiten Unterlagen ruhend, die Burgen und Festen mit tausend Zinnen,
die wir so klar vor uus hatten, daß die Grenze des ewigen Schnees wie
eine weiße Decke erschien, die in vielen Zipfeln und Ausläufern sich in die
Waldregion hineinzog; der dunkle Cedernwald, welcher Alles umhüllte, was
nicht dürre Klippe ist, von breiten kahlen Streifen durchzogen, welche wie
eine Riesenspur bis zum Fluß hinabgehen, den Alles zerstörenden und zer¬
trümmernden Sturz einer Lawine andeutend; der brausende Strom in der
Tiefe mit seinen zahlreichen Stromschnellen und schäumenden Wasserfällen."—
Am Gefährlichsten war der Zug über den Lama Kagapaß. „Wir hatten
kaum die höchste Spitze erreicht, als ein feuchter und kalter Nebel, der sich
allmälig in ein Schloßenschauer auflöste, uns einhüllte, und zwar so dicht,
daß die Ersten im Zuge von den Uebrigen gänzlich abgeschnitten waren.
Dennoch kam Alles darauf an, sobald als möglich hinuuterzugelangen, denn
der Tag neigte sich schon zum Eude, und im Finstern wäre es völlig un¬
möglich gewesen, den an sich so gefährlichen Weg zurückzulegen. Ebenso¬
wenig konnten wir ohne Lebensgefahr die Nacht ans diesen Höhen zubringen.
Unsere Führer, die selbst ungewiß und ängstlich schienen, wurden vorwärts ge¬
trieben. Wir gelangten glücklich an der ersten Schneewand hinab, hier aber zeigte
sich, daß der untere und grade der steilste Abhang derselben ans einer glat¬
ten Eismasse bestand, worauf wir durchaus nicht gerechnet hatten. Wir
fingen an, mit der Axt in der Hand, Stufe» hineinznhauen. Es dauerte
peinlich lange, und man mußte sich während der sauern Arbeit über einem
schwindelnden Abgrunde schwebend mit Händen und Füßen anklammern, um
nicht auszugleiten und hinunterzustürzen. Fast wäre dies dem Prinzen wi¬
derfahren; sein Stock, mit einer sehr starken eisernen Spitze versehen, hielt
jedoch den Fall auf. So erreichten wir mit den Führern glücklich das Ende
des Eises und eine weniger gefährliche Schneefläche. — Endlich ließ der
Schneeregen etwas nach, der Nebel zerriß auf einen Augenblick, und wir
sahen auf dem Kamme, den wir vor einer Stunde verlassen hatten, die ganze
Reihe der Knlies. Keiner konnte sich entschließen, den Weg anzutreten; sie
schauten verzagt hinab. Als sie uns unten gewahr wurden, bequemten
sich endlich einige der muthigsten, uns zu folgen. Es ging ziemlich gut bis
zur Eiswand; hier aber verloren mehrere den festen Grund und fuhren mit
dem schweren Gepäck die Tiefe herab. Es sah gefährlich aus, doch kam
Keiner zu Schaden. Der übrige Weg im halbgeschmolzenen Schnee ging


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/213>, abgerufen am 01.09.2024.