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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ziemlich gefahrlos hinab bis zu einer Geröllschürre von 390 Fuß Tiefe, an
der wir hinabsteigen mußten, um in die Thalebene zu gelangen. -- Das
Thal war durch einen Gletscher, ausgefüllt, der mit eiuer Menge Geröll von
buntem, sandsteinartigen Schiefer, welcher alle Schattirnngen vom Violett bis
zum Gelbroth hatte und oft wie faules Holz aussah, bedeckt war. Die Seiten¬
wände des Thals hatten ein grausenerregendes, zerrissenes und wüstes Ansehen.
Wir schritten auf einer etwas geneigten Ebene hinab, bald über festen oder
halbgeschmolzenen Schnee, bald über Eismassen, die durch unergründlich tiefe
Spalten und Schlünde durchfurcht waren. Wassergerinne liefen zwischen
unsern Füßen aus der Oberfläche, während wir tief uuter uns das dumpfe
Brause" von Flusse" vernahmen. Merkwürdig waren die Massen von todten
Heuschrecken, die allenthalben zerstrent lagen; sie mochten wohl schon vom
vergangenen Jahre oder noch älter sein, denn vergebens suchte mau eine
bestimmte Farbe an ihnen zu erkennen. -- Nach etwa anderthalb Stunden
kamen wir an eine Wendung des Thales,. wo wir an einer mit Steintrüm-
mern bedeckten Eismauer hinabrutscheud den festen Boden erreichten. Es
war hier das Ende des Gletschers und wir entdeckten den Fluß, der uuter
demselben fortströmeud hier ans einem niedrigen Gletscherthor in einer
Breite von zehn Ellen tobend und brausend hervorschoß. Wir folgten sei¬
nem Laufe am lockern User, welches noch hin und wieder Schneebrücken
trug. Endlich machte der Fluß eine zweite .Krümmung. Das klippige Bissa-
hirthal lag in der röthlichen Beleuchtung des Sonuemmtergaugs vor uus;
die Schuecpicks standen in Nebel und Dunst gehüllt, durch welchen sie in
undeutlicher Ferne golden glänzten. Unsere Station war erreicht." -- Der¬
gleichen Schilderungen finden sich häusig.

Der Zug geht darauf am Ufer des Sutletsch, an der thibetanischen
Grenze, weiter, und darauf in das Gebiet dieses wunderlichen Volks hin¬
ein. Seltsam genug macht sich dann, in der Mitte der eigenthümlichsten
und fremdartigsten Nationalitäten, die Ankunft in Simlah, dem englischen
Badeorte. "Wir kamen in Folge der langen Bergreihe in etwas verwilder¬
ten Kostüm hier in dem neuen, schönen, englischen Hütel an, statt des
Rockes mit einem Mittelding von Mantel und Waffenrock aus grobem Wol¬
lenzeuge angethan, einen breiten Gürtel um den Leib und den Hirschfänger
darin, statt der Schuh Sandalen an den Füßen, das lange Haar rückwärts
über den Kopf gekämmt, mit struppigen, ungeordneten Barte. Die Haut
im Gesicht hatte sich bei mir durch deu Schneereflex zweimal ganz abgeschält,
und dunkelbraun wieder ersetzt. -- Jetzt zieht mau Glacehandschuh über die
braunen Hände, zwingt die breitgetrcteuen Füße in zarte Tanzstiefelchen und


ziemlich gefahrlos hinab bis zu einer Geröllschürre von 390 Fuß Tiefe, an
der wir hinabsteigen mußten, um in die Thalebene zu gelangen. — Das
Thal war durch einen Gletscher, ausgefüllt, der mit eiuer Menge Geröll von
buntem, sandsteinartigen Schiefer, welcher alle Schattirnngen vom Violett bis
zum Gelbroth hatte und oft wie faules Holz aussah, bedeckt war. Die Seiten¬
wände des Thals hatten ein grausenerregendes, zerrissenes und wüstes Ansehen.
Wir schritten auf einer etwas geneigten Ebene hinab, bald über festen oder
halbgeschmolzenen Schnee, bald über Eismassen, die durch unergründlich tiefe
Spalten und Schlünde durchfurcht waren. Wassergerinne liefen zwischen
unsern Füßen aus der Oberfläche, während wir tief uuter uns das dumpfe
Brause» von Flusse» vernahmen. Merkwürdig waren die Massen von todten
Heuschrecken, die allenthalben zerstrent lagen; sie mochten wohl schon vom
vergangenen Jahre oder noch älter sein, denn vergebens suchte mau eine
bestimmte Farbe an ihnen zu erkennen. — Nach etwa anderthalb Stunden
kamen wir an eine Wendung des Thales,. wo wir an einer mit Steintrüm-
mern bedeckten Eismauer hinabrutscheud den festen Boden erreichten. Es
war hier das Ende des Gletschers und wir entdeckten den Fluß, der uuter
demselben fortströmeud hier ans einem niedrigen Gletscherthor in einer
Breite von zehn Ellen tobend und brausend hervorschoß. Wir folgten sei¬
nem Laufe am lockern User, welches noch hin und wieder Schneebrücken
trug. Endlich machte der Fluß eine zweite .Krümmung. Das klippige Bissa-
hirthal lag in der röthlichen Beleuchtung des Sonuemmtergaugs vor uus;
die Schuecpicks standen in Nebel und Dunst gehüllt, durch welchen sie in
undeutlicher Ferne golden glänzten. Unsere Station war erreicht." — Der¬
gleichen Schilderungen finden sich häusig.

Der Zug geht darauf am Ufer des Sutletsch, an der thibetanischen
Grenze, weiter, und darauf in das Gebiet dieses wunderlichen Volks hin¬
ein. Seltsam genug macht sich dann, in der Mitte der eigenthümlichsten
und fremdartigsten Nationalitäten, die Ankunft in Simlah, dem englischen
Badeorte. „Wir kamen in Folge der langen Bergreihe in etwas verwilder¬
ten Kostüm hier in dem neuen, schönen, englischen Hütel an, statt des
Rockes mit einem Mittelding von Mantel und Waffenrock aus grobem Wol¬
lenzeuge angethan, einen breiten Gürtel um den Leib und den Hirschfänger
darin, statt der Schuh Sandalen an den Füßen, das lange Haar rückwärts
über den Kopf gekämmt, mit struppigen, ungeordneten Barte. Die Haut
im Gesicht hatte sich bei mir durch deu Schneereflex zweimal ganz abgeschält,
und dunkelbraun wieder ersetzt. — Jetzt zieht mau Glacehandschuh über die
braunen Hände, zwingt die breitgetrcteuen Füße in zarte Tanzstiefelchen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/214>, abgerufen am 01.09.2024.